Название: Das schmale Fenster
Автор: Friedrich Haugg
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783844253658
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Miriam war seit ihrem gemeinsamen Kurzurlaub bedrückt und ein wenig abwesend. Zu Martin war sie vertraut wie immer, so dass er den Gedanken gleich wieder verwarf, sie würde den kleinen Ausflug bereuen. Es hatte wohl nichts mit ihm zu tun. August war noch nervöser und Frank ging allen auf die Nerven. Seine Selbstsicherheit und sein arrogantes Auftreten störten das gewohnte harmonische Miteinander. Aber objektiv konnte man ihm nichts vorwerfen.
Die Ermittlungen von Berner und seinem Team kamen nicht voran. Leutnant Paul, der Berner zugeteilt war, ließ sich ein paar Mal in der Firma sehen. Er war wie immer eingebildet und ständig missmutig, vollkommen humorfrei und durchaus unhöflich, was für einen Schweizer sehr untypisch war. Erfolgreicher war er aber auch nicht. Man hatte das Vor - und Privatleben der drei gründlich durchleuchtet, Martins wohl auch, ohne dass er etwas davon bemerkte. Berner fand nichts, was einen Anfangsverdacht begründen würde. Dass Frank häufig mit seinen alten Studienkollegen zusammenkam und August seine Freizeit mit einer Ökogruppe gegen die Ausbeutung von irgendwas verbrachte, bewertete er als nicht besonders relevant und so beschloss er eines Tages, die Akte wegen Geringfügigkeit zu schließen. Auch gab es keine erkennbaren Auswirkungen, die der Firma hätten schaden könnten. Er sandte den Bericht auch an die Anwälte des Vorstands und wandte sich anderen Aufgaben zu.
An einem Montag Morgen wurde Martin vor den Vorstand zitiert. Er wunderte sich, weil er eigentlich die ganze Sache für sich schon abgehakt hatte. Sogar Jean Paul Maurus, der Vorstandsvorsitzende war neben Sean anwesend. Auch der Entwicklungsvorstand, der alte und gutmütige Prof. Peter Brocks und der Produktionsvorstand Schulte saßen da im illustren Kreis.
„Guten Morgen, Herr Dr. Hohenstein. Danke, dass sie sich die Zeit nehmen“, sagte Maurus. Als ob er eine Wahl gehabt hätte.
„NeuroX entwickelt sich ja prächtig. Und wir wissen, Ihren Beitrag einzuordnen.“ 'Einordnen' klang irgendwie ambivalent. Aber er war ja in der Schweiz. Worauf er wohl hinauswollte, dachte Martin.
„Wie sie vielleicht wissen, geht Prof. Brocks in den Ruhestand.“ Martin wusste es nicht und wunderte sich über die Wendung.
„Und da haben wir uns wegen der Nachfolge Gedanken gemacht. Der Verwaltungsrat wollte jemanden von außen anheuern.“ So what, dachte Martin, machte aber ein ernstes und interessiertes Gesicht. Er hatte mit Brocks kaum etwas zu tun, obwohl er sein Vorgesetzter war und mit einem Neuen wird das nicht anders sein.
„Wir haben uns aber entschlossen, jemand aus eigener Aufzucht zu nehmen. Unsere Wahl ist auf sie gefallen. Dr. Frank Thomsen wird dann ihre Stelle übernehmen Bitte überlegen sie es sich und teilen uns ihren Entschluss innert der nächsten Woche mit. Das wär's dann. Vielen Dank und einen erfolgreichen Tag. Wir wollen sie nicht länger von ihren Aufgaben abhalten.“
Peng-peng-fertig. Martin nickte höflich, Worte fielen ihm gerade nicht ein und er zog sich in leichter Trance zurück. Er, der Kleingeist hatte geglaubt, sie würden ihn wegen des USB-Sticks zitieren und seine Karriere für beendet erklären und dann das. Er fühlte erst einmal ausgeprägte Leere und nur langsam wurde ihm das Geschehene bewusst. Er war in den Vorstand befördert worden. Auf Schweizer Art: Schlicht und klar. Einfache Dinge wurden einfach vermittelt. Widerspruch zwecklos. Ablehnen war gleichbedeutend mit hinausgeworfen werden ohne Zukunft – zumindest in der Schweiz und wahrscheinlich auch weit darüber hinaus. Und Frank würde seine Stelle bekommen. Für Miriam war das eine berufliche Katastrophe. Seine Ablehnung würde Miriam aber auch nicht helfen.
Am Nachmittag kam Sean grinsend ins Labor. „Das hättest du nicht erwartet, oder?“ Martin verdrehte die Augen. „Du hast keine Chance, Kollege“, lachte Sean. „Jetzt heißt es Abschied nehmen vom besinnlichen Kuscheldasein.“
Er hatte recht. Darüber hatte er noch gar nicht nachgedacht. Er war ein Vollblutentwickler, introvertiert und lieber alleine. Alles würde sich ändern. Ein Termin den anderen jagen, Reisen in Fülle und an die exotischsten Orte, Komfort bis zum Abwinken. Er würde fachlich stehen bleiben und nach einigen Jahren nicht mehr mitkommen. Warum nur machten sie immer wieder den Fehler des Peter's Prinzips: Menschen solange befördern, bis sie die Stufe der Inkompetenz erreicht hatten. Er war doch von Natur aus kein Manager.
Sean spürte seine Bedenken. „Kopf hoch, alter Junge. Das geht jedem erst einmal so. Aber denk' dran, was du alles bewirken kannst. Vorstand ist Macht und die kannst du zum Guten nutzen.“ Instinktiv hatte er den einzigen Punkt erwischt, der auf Martin einen Reiz ausüben konnte. Er war zwar kein Machtmensch, aber er hatte Überzeugungen, die er in so einer Position leichter durchsetzen konnte. Das war tatsächlich interessant und schon fühlte er sich besser. Nicht schlecht, Sean. Du bist ein guter Psychologe. Hoffentlich hast du nicht gelogen. Aber auch dann würde er einen Weg finden können – als Vorstand sollte das kein Problem sein.
„Ich werde mich wohl positiv entscheiden. Ist ja auch alternativlos.“ Sean breitete die Arme aus und grinste geradezu unverschämt.
“Und jetzt müssen wir den Verwaltungsrat nur noch dazu kriegen, uns eine vernünftige Bonusregelung anzubieten und nicht nur ein weihnachtliches Almosen. Alle großen Unternehmen machen das inzwischen so. Dann werden wir durch dein NeuroX beide stinkreich und können uns alles kaufen“, träumte Sean glückselig vor sich hin. Martin reizte diese Aussicht nicht besonders.Viele Stellen auf seinem Konto vor dem Komma waren für ihn nichts weiter als vom Computer berechnete und angezeigte Abfolgen von Ziffern. Da er sich immer leisten konnte, was er wollte, nahm er die negative Entscheidung des Verwaltungsrats gelassen zur Kenntnis. Sean schäumte vor Wut.
Drei
Sein Leben war jetzt anders, völlig anders. Er war umgezogen ins Hochhaus, nicht in ein Büro, sondern in eine Suite im zehnten Stock mit Glaswänden und Blick auf den See wie vorher, nur etwas höher. Über ihm nur noch das Penthouse-Büro des Vorsitzenden. Er verdiente drei Mal mehr als vorher und verbrauchte halb so viel, weil er zum einen keine Zeit zum Geld ausgeben hatte und zum anderen mit fast allem kostenlos versorgt wurde. Er hatte zwei Sekretärinnen zugeteilt bekommen. Anfangs konnte er sie schwer unterscheiden, so perfekt gleich gestylt waren beide. Nicht nur äußerlich, auch ihr Gang und ihre dezente Stimmlage waren identisch. Ihnen gegenüber fühlte er sich klein und provinziell. Sie ließen sich nichts anmerken. Sie tuschelten nicht einmal. Zudem wusste er gar nicht, was er mit Ihnen anfangen sollte. Er konnte ja schlecht sagen, dass sie einmal aufräumen sollten oder die Ablage machen. So etwas funktionierte von selbst. Sie mussten denken, dass er nicht die geringste Eignung zum Chef hatte.
Bald merkte er, wie es wirklich lief. Nicht er schaffte an, sondern sie bestimmten seinen Tag. Die eine führte unter anderem seinen Terminkalender und teilte ihm auf einem feinen Blättchen Papier jeden Morgen mit, wie sein Tag ablaufen würde. Ein langer Tag, minutiös, wörtlich genommen auf die Minute genau geplant. Sogar über das, was er früher ignorant als Freizeit betrachtete, wurde er eines Besseren belehrt. Die Mittagspause diente nur nebenbei dem Essen – es wurde in diesem Punkt akzeptiert, dass auch Vorstände menschliche Schwächen haben - und war integriert in ein übergeordnetes Programm, dessen Sinn er nicht durchschaute. Es bestand aus scheinbar willkürlich aneinandergereihten Terminen ohne erkennbaren Zusammenhang. Als er einmal probehalber anfragte, ob er einen СКАЧАТЬ