Название: Das schmale Fenster
Автор: Friedrich Haugg
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783844253658
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Er bestellte sich bei der freundlichen Dame des Clubservice einen Single Malt pur. Das war der einzige Makel an der perfekten Kopie eines englischen Clubs: Es gab eine adrette weibliche Bedienung statt eines alten schlurfenden Butlers und man konnte hie und da auch Frauen als Gäste sehen. In einer Ecke saßen zwei Herren, deren gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedeutung Jahre zurücklagen, die aber diesen Habitus als selbst geschaffenes Gnadenbrot finanziell aufrecht erhalten konnten, vulgo: Man sah ihnen an, dass sie ordentlich Geld hatten.
Jeder hatte die Züricher Allgemeine vor sich (die London Times wäre stilvoller gewesen) und sie lasen sich gegenseitig Artikel vor, was Martin als eine Form des Smalltalks interpretierte.
„Schau mal, Lorenz, was da auf Seite 3 steht: Die Menschen jeden Alters werden immer dümmer. Das hat eine amerikanische Studie herausgefunden. Was dich betrifft, wundert es ja nicht, aber die Jungen?“
Das kam Martin bekannt vor. Vielleicht gab es ja noch mehr Studien zu diesem Thema.Wenn ich schon 'amerikanische Studie' höre, dachte Martin. Alle machten Studien, nur um bekannt zu werden. Praktisch daran ist aber, dass man für jedes Vorurteil der Welt eine Studie als Beleg finden konnte, weil sich für jede Meinung ein Sponsor fand.
„Hör mir bloß auf mit amerikanischen Studien“, sagte Lorenz, “Die gibt es ja für alles. Butter ist gesund, Butter tötet, Vitamin E ist gefährlich, Vitamin E hilft gegen vorzeitiges Altern, was immer du willst. Aber das mit dem dümmer werden, glaube ich sofort. Ich kann sagen, was ich will, die Jungen wissen alles besser und haben dabei keine Ahnung davon, weil sie noch gar nichts erlebt haben.“
„Wie wahr, wie wahr“, nickte sein Gegenüber angelegentlich und ein bisschen zu oft. Er sah tatsächlich ein wenig senil aus, fand Martin, was gar nicht zu seiner eleganten und gepflegten Gesamterscheinung passte. Martin stand altersmäßig zwischen den beiden und der gescholtenen Jugend, was bei ihm derzeit noch zu einer differenzierteren Beurteilung führte. Für das Phänomen, dass die Mehrheit der Menschen trotz der essentiell besseren Bildungsmöglichkeiten immer dümmer wurde, machte er die Medien mit schuldig. Die orientierten sich heute ausschließlich an den Quoten und damit an den Werbeeinnahmen. Der share holder value musste stimmen, und er dachte dabei an Sean. Einen Bildungsauftrag oder die Verpflichtung, objektiv Bericht zu erstatten oder die Meinungsvielfalt zu gewährleisten, sah Martin immer weniger. Der ausschließlich kommerzielle Maßstab lieferte aber auch ein verlässliches Bild, was die Menschen tatsächlich konsumieren wollten. Sie waren allesamt Voyeure, Schadenfreude war eines ihrer größten Vergnügen und die Pseudoberühmtheit völlig unbegabter und belangloser Menschen, ließen ihnen den Traum, selbst berühmt zu werden, als völlig realistisch erscheinen. Insbesondere sehr junge Menschen waren davon angesteckt. Martin war es nur nicht klar, ob es sich um ein 'Henne-Ei-Problem' handelte. Waren die Angebote so, weil die Menschen sie tatsächlich wollten oder wollten die Menschen das, weil sie auf den Mist konditioniert waren und sich gar nicht vorstellen konnten, etwas anderes zu wollen. Ein wesentlicher Faktor schien ihm das Letztere zu bestätigen: Der Mensch neigt zur Bequemlichkeit, auch im geistige Sinne. Leichte und schnell zu konsumierende Kost war angenehmer und man konnte aufkommende Langeweile einfach durch 'Zappen' auf ein anderes Angebot bekämpfen. Das nährte die zunehmend katastrophale Oberflächlichkeit, die heute auch die Denkenden befiel. Das wiederum erinnerte ihn an viele Verschwörungstheoretiker, die glaubten, das alles sei von unerkannten Mächten oder Mächtigen gesteuert. Die römischen Kaiser mit ihrem 'panem et circenses' hatten das schon gut verstanden. Satte Menschen, die sich nicht langweilen sind so gut wie nicht zur Revolution zu bewegen. Martin glaubte aber nicht an verborgene Mächte, sondern höchstens an ein stillschweigendes Einvernehmen zwischen Politik und Geld. Er selbst wäre ja auch völlig ungeeignet für eine Revolution. Dazu war er viel zu bequem, arrangierte sich gerne mit seinem Umfeld, obwohl er die Situation glasklar analysierte. Es war ihm eben lieber, seine Maske aufzusetzen und seine Gedanken für sich zu behalten und vor allem keine Energie mit nutzlosen Aktionen zu vergeuden.
Dann fiel ihm ein, dass er ein aktuelles Problem hatte. Er mochte das nicht. Angesichts des angenehmen Ambientes hatte er den Einfall, dass ein gemütliches Gespräch an diesem Ort mit Berner als Gast keine schlechte Sache wäre.
Also rief er Berner ein, der sich über den seit langem eingeschlafenen Kontakt sichtlich freute und nach einer halben Stunde da war.
„Auch ein Whisky? Du bist ja nicht im Dienst.“
„Eigentlich nicht mein Getränk, aber hier kann man ja gar nicht anders. Also bitte, aber mit etwas Soda.“
Sie genossen den ersten Whisky bei einer feinen Zigarre nahezu schweigend.
„Also, du hast doch einen besonderen Anlass gehabt?“ Berner nahm es Martin nicht übel. Er wusste, dass Geselligkeit ohne intellektuellen oder sonstigen Nutzen nicht Martins Sache war, was seiner Sympathie keinen Abbruch tat.
„Tut mir leid, in der Tat gibt es etwas Heikles“, Martin machte eine Pause und blies ein paar Rauchkringel gegen die Decke. Berner unterbrach ihn nicht. „Der USB-Stick wurde mit voller Absicht gestohlen.“
„Das überrascht mich gar nicht. Aber wie kommst du gerade jetzt darauf?“
„Ich bin mir natürlich nicht sicher. Aber der Zufall wäre doch zu groß.“ Martin erzählte von seiner Vermutung.
„Das klingt schon sehr plausibel“, stimmte Berner ihm zu. “Auch dass den Vortrag niemand aus deiner Firma gehalten hat, glaube ich sofort. Du hättest ihn doch gekannt.“ Na ja, dachte Martin beschämt, nicht unbedingt. Aber an einen Karriere-Selbstmörder glaubte er wirklich nicht.
„Was soll ich machen? Ich habe keine vernünftige Idee.“
„Ich kann ohne neue Erkenntnisse den Fall nicht wieder aufmachen. Was du vermutest, ist einfach zu wenig konkret. Versteh' mich nicht falsch. Ich war nie der Meinung, dass es nur eine Schlamperei war. Auf jeden Fall sehe ich mir die Akten noch einmal genau an, insbesondere in Bezug auf die Kontakte. Sprich erst einmal mit niemandem darüber, okay?“
In den nächsten Tagen hörte Martin nichts von Berner. Alles lief wie immer, nur er wurde zunehmend unruhig. Eines Morgens sah er einen Gast in Begleitung des Werkschutzes die Glasröhre queren. Neugierig folgte er und fühlte sich dabei ein wenig lächerlich. Wie ein Privatdetektiv im eigenen Haus, dachte er. Die beiden traten durch den gesicherten Laboreingang und nach einer Minute kam der Werkschutzmann wieder heraus. Jetzt wollte Martin unbedingt wissen, wer der Besucher war und betrat selbst den Laborbereich. Er nannte sich einen Narren, weil natürlich Mitarbeiter von Subunternehmen den Labors immer wieder Besuche abstatteten. Er schlenderte durch die Gänge, so als ob er einfach einmal einen unangemeldeten Kontrollbesuch machte, was er eigentlich nie tat. Jetzt müsste ich nur noch ein wenig pfeifen, dann wäre der Lächerlichkeit endgültig genüge getan, dachte er und war von sich selbst peinlich berührt. Er nahm wenigstens die Hände aus den Hosentaschen. Hinter der Glaswand eines kleinen Besprechungsraums sah er August sitzen mit Leutnant Paul, dem Mitarbeiter von Berner. Das war sehr ungewöhnlich, fand Martin. Er ging schnell wieder in seine Bürosuite und bat B-Hörnchen ihn sofort mit Kommissar Berner zu verbinden.
„Hallo Dylan, hier Martin.“
„Hallo, Martin, was gibt es so früh?“
„Was zum Teufel macht dein Lieutenant bei uns im Büro?“
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