Das schmale Fenster. Friedrich Haugg
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Название: Das schmale Fenster

Автор: Friedrich Haugg

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783844253658

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СКАЧАТЬ Dann fahre ich jetzt und komme morgen bepackt wieder.“

      „Du kannst jetzt nicht mehr fahren. Zu viel Schnee und zu viel Alkohol. Der Glühwein war schrecklich.“ Miriam hatte einen kleinen Schock, ließ es sich aber nicht anmerken. Sie schaute ihn nur fragend und wortlos an, konnte aber nichts entdecken.

      „Du kannst dann ja morgen deine Sachen holen oder besser: Wir fahren einfach bei dir vorbei und sammeln alles ein.“ Er sah ihr Erstaunen und ihr ungläubiges Gesicht.

      „Nein, nein, keine Angst. Ich habe sogar eine neue Zweitzahnbürste und das Bett im Gästezimmer ist schnell gemacht. Nur Nachthemd habe ich keines. Ein Frühstück bekommst du auch, gratis.“

      „Dann mach' noch einen Fendant auf oder sonst irgendetwas.“ Sie hatte sich entschieden.“ Agathe war gegangen und diesmal wusste er wohin.

      Er schlief diese Nacht ruhig und traumlos. Am Morgen war das Frühstück schon fertig, weil morgens für beide ein unterschiedlicher Begriff war. Sie gaben ein interessantes Paar ab, er in Jeans und Pullover, sie im kleinen und eleganten Schwarzen.

      Er bepackte sein Auto und sie fuhren hintereinander nach Luzern zu Miriams Wohnung. Miriam war erstaunlich schnell fertig, der Subaru Justy war bis unter das Dach voll und sie starteten gut gelaunt und nun passend gekleidet Richtung Entlebuch und dann durchs Flühlital nach Sörenberg. Kein Mensch außerhalb kannte Sörenberg, geschweige denn wusste er, dass man da Skifahren konnte. Dabei war es bei den Luzernern sehr beliebt. Es bestand eigentlich nur aus Ferienhäusern und ein paar mehr oder weniger gemütlichen Restaurants. Die Spezialität in diesem Tal war Käse. Käse in jeder Form und Zubereitungsart, die einen immer wieder überraschte. Anscheinend war dies das Tal der Vegetarier, denn irgendein Gericht mit Fleisch suchte man auf den Speisekarten vergeblich. Oder es war nicht möglich, im Winter Fleisch dahin zu schaffen. In der kleinen Ortschaft Flühli, fünf Kilometer vor Sörenberg gab es den einzigen Metzger weit und breit. Martin kaufte mit Miriams fachlicher Unterstützung so viel ein, dass sie die Tage überleben würden. Bei den Eiern achtete er darauf, nicht die günstigeren, ausländischen Eier zu nehmen. Sie waren als solche extra gekennzeichnet, klein und runzelig und schmeckten nach Fischmehl. Ganz offensichtlich kam hier eine grundsätzliche, politische Absicht ans Tageslicht. Was mussten die Schweizer eigentlich von uns Deutschen halten, dachte Martin. Glauben die wirklich, dass wir so etwas essen würden? Und woher, zum Teufel, bezogen sie solche grässlichen Eier? Es musste da eine eigene, geheime Produktionsstätte geben.

      Das Appartement, das Martin gemietet hatte, war eines der home sharing – Wohnungen von Happymag, dem einzigen größeren Gebäude in Sörenberg. Die Eigentümer eines der Zwei-Wochen-pro-Jahr-Anteile konnten ihren Anspruch auch untervermieten. Er hatte allen, auch Miriam, verschwiegen, dass er in einem kleinen Seitental, nur einen guten Kilometer hinter der Jugendherberge von Salwidili, eine nicht mehr bewirtschaftete Almhütte ohne Zufahrtsstraße langjährig gepachtet und diesen völlig einsamen Platz für sich hergerichtet hatte. Es gab fließendes Wasser, weil ein Bächlein neben der Hütte vorbeifloss und eine Badewanne, die das Wasser nach einem Sturz über einen größeren Stein selbst hergestellt hatte. Ein wenig Strom wurde erzeugt von einem Solarpanel und gespeichert in ein paar Akkus, die ihm Licht und Satelliten-Fernsehen ermöglichten. Die Heizung war zentral für den einzigen Raum in Form eines alten, holzbefeuerten, Herds mit Warmwasserkessel wie in einem alpenländischen Bauernhofmuseum. Holz gab es rundum genug. Er war schon lange nicht mehr dagewesen, schätzte aber die potentielle Möglichkeit, sich vollständig zurückzuziehen. Da das Tal am Anfang eines großen Naturparks lag, streifte nicht einmal ein Jäger an der Hütte vorbei. Möglicherweise wusste auch niemand mehr, dass da überhaupt eine Hütte war. Da die Schweiz genügend schöne Täler hatte, konnte sie es sich leisten, dieses Tal einfach zu vergessen.

      Er hatte kurz überlegt, ob er Miriam zur Hütte mitnehmen sollte, aber diesen Gedanken gleich wieder fallen gelassen. Das wäre entschieden zu intim gewesen. Die Happymag - Wohnung hatte zwei Schlafzimmer, weil die Standardfamilie zwei Kinder hatte. Das war praktisch, weil dann nicht durch die Diskussion über den Schlafplatz zweideutige, kritische Situationen heraufbeschworen wurden. Er bot Miriam das größere Zimmer an und richtete sich selbst ein. Es war schon später Nachmittag und so begnügten sie sich mit einem Spaziergang in der verschneiten Welt, die die eigentliche Hässlichkeit des Ortes gnädig verbarg. Einmal das schmale Tal hinauf bis zur Rothornbahn und dann wieder hinunter. Einen richtigen Rundweg gab es nicht. Am Ortsanfang, an der für Jugendliche aufwändig präparierten Piste mit Half Pipe und Schanzen, sozusagen dem modernen Teil von Sörenberg, fanden sie ein alpin eingerichtetes Lokal mit Disko-Anmutung, aber ganz netten Plätzchen zum Essen und Verweilen. Sie aßen Käse-Fondue in Ermangelung einer wirklichen Alternative und gingen dann schwer gesättigt, aber zufrieden in ihre Wohnung. Es war eine sternenklare Nacht geworden und sie setzten sich dick in Decken eingehüllt auf den Balkon und tranken schon wieder – für Martin völlig ungewohnt – Alkohol, diesmal aus dem dreizehn-prozentigen Anteil in einem herb-fruchtigen Rotwein. Dazu rauchten sie kubanische Zigarren, deren Rauchschwaden einen betörenden Duft von luxuriöser Gemütlichkeit verbreiteten. Die Sterne funkelten und die Milchstraße breitete in der klaren, trockenen Luft ein durchsichtiges Seidenchiffonband über den Himmel. Am Horizont stieg gerade riesengroß der fast volle Mond in prächtigem Orange auf. Martin konnte es nicht lassen.

      „Weißt du eigentlich, warum der Mond am Horizont viel größer aussieht, als wenn er oben am Himmel steht?“

      Miriam schreckte aus ganz anderen Gedanken auf.

      „Nein“, antwortete sie höflich. Ihr vollkommenes Desinteresse nicht bemerkend, sah sich Martin ermuntert, eine Erklärung abzugeben. Er berichtete, dass das Problem lange ungelöst war und auch heute noch Gelehrte entzweien würde. Aber, dass es mittlerweile für ihn klar sei, dass es sich um eine reine Täuschung des Gehirns handelte, das entgegen der Wirklichkeit davon ausging, dass die Wölbung des Himmels stark abgeflacht sei und es Gegenstände am Horizont viel weiter weg vermutete und in Einklang zu bringen versuchte, mit Gegenständen bekannter Größe wie Bäume oder Häuser. Da alles das im Zenit fehlte, würde dort der Mond zur wahren optischen Größe schrumpfen. Sie könne das am besten feststellen, wenn sie ein Foto des aufgehenden Mondes machen würde oder den Mond durch die zu einem kleinen Loch gewinkelten Finger betrachten würde. Höflich machte Miriam diese Geste nach.

      „Tatsächlich. Das ist ja großartig.“ Diese Antwort ließ ihn endlich an ihrem augenblicklichen wissenschaftlichen Interesse zweifeln. Er unterließ es, die Täuschbarkeit des Gehirns mit weiteren Beispielen zu belegen, um dann bei seinem Lieblingsthema, der evolutionären Erkenntnistheorie zu landen. Er musste anders weitermachen oder schweigen. Er wollte gar nicht als interessanter Gesprächspartner dastehen oder sie gar als Mann beeindrucken. Er wollte, dass sie sich wohlfühlte, spürte geradezu eine Verantwortung, ihr den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen. Er fand Miriam ungemein sympathisch und genoss ihre bloße Anwesenheit. Ihre Attraktivität nahm er mit seinem Sinn fürs Schöne wahr wie ein gutes Gemälde oder das gelungene Design eines Möbelstücks.

      „Schau dir mal die Sterne an. Was mich am meisten dabei in Staunen versetzt, ist die Tatsache, dass wir nicht nur in den Raum schauen, sondern genauso in die Zeit. Das Licht oder besser die Signale eines Sterns sind die vor einer Stunde oder die vor Tausenden von Jahren. Wenn wir genauer sehen könnten, würde wir jetzt gerade das Treiben auf einem Planeten vor vielen Jahrhunderten oder Millionen Jahren beobachten. Wir wissen nicht einmal, ob er jetzt noch existiert.“ Er spürte, ihr Interesse war geweckt.

      „Heißt das, dass die, wenn sie uns sehen könnten, auch nur das sehen, was bei uns vor – sagen wir mal - zweitausend Jahren geschah?“

      „Genau. Wegen der absoluten Grenze der Lichtgeschwindigkeit gibt es somit auch nicht die geringste Möglichkeit mit denen zu kommunizieren. Wenn wir eine Nachricht empfangen würden, könnte die schon zum Beispiel hundert Jahre alt sein. Dann antworten wir und das dauert dann wieder hundert Jahre. СКАЧАТЬ