Faber. Matthias Schroder
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Название: Faber

Автор: Matthias Schroder

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783750218291

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СКАЧАТЬ seiner selbst gewesen, griff der Dunkle ihn auf:

      „Ich bin der, mit dem du heute eine Verbindung eingehst. Unsere Geschicke haben sich in dem Augenblick miteinander verwoben, da du deine Zeit im Alkohol aufzulösen begonnen hast. Sowenig nämlich wie Energie kann die Zeit verloren gehen. Sie kann nur geordneter oder chaotischer werden. Gewissermaßen gibt es einen Zeiterhaltungssatz. Und wenn es Kräfte gibt, die für die Ordnung der Zeit stehen, mit einem Anfang und einem Ende und einer möglichst geraden Verbindung vom einen zum anderen, so stehe ich für die Unordnung der Zeit. Anfang und Ende sind mir gleichgültig. Ich liebe es, in der Zeit herumzurühren und für Verwirbelungen zu sorgen, wo es nur geht.“

      „Warum?“, fragte Faber mit einer größer werdenden Klarheit, die daher rührte, dass er sich jetzt auf den Einfluss des Anderen einließ.

      „Weil – und hier ist mir das Klischeehafte meines Gedankens fast peinlich – weil daraus so viel Neues entstehen will; wirklich neues, das den Namen des Neuen auch verdient. Nicht nur mit neuer Schale, sondern auch mit neuer Substanz; nicht nur mit neuem Aussehen, sondern auch mit neuen Regeln.“

      „Wie soll das gehen? Soll ich mich zu Tode saufen?“

      Der Dunkle zog die Stirn verständnislos zusammen. „Das wäre freilich der gerade Weg“, sagte der Dunkle mit einem Anflug von Humor. „Du könntest es, wenn dir dieser spießbürgerliche Weg der liebere ist, auch bewerkstelligen, indem du dir eine Kugel durch den Kopf jagst. Die geladene Waffe dazu hast du ja schon in deinem Nachttisch liegen. Damit würde uns aber wertvolle Zeit verloren gehen. HANS!“, rüttelte ihn der Dunkle auf. „Es gibt so viele Möglichkeiten, sich gegen die Zeit zu stellen und wirklich neu anzufangen. Du musst dich dazu nicht umbringen. Ich kann dir Wege zeigen, aus dem Leben zu springen, ohne dass du dich dazu selbst aufgeben musst.“

      Mit seinem Namen hatte man ihn schon lange nicht mehr angesprochen. Und ihm war jetzt auch bewusst geworden, dass der Dunkle längst bei dem sehr unüblichen Du angekommen war. „Wie soll das funktionieren?“

      „Durch meine Gastfreundschaft. Ich vermag in der Zeit mehr zu bewerkstelligen, als du dir jetzt noch vorstellen kannst. Die Welt ist voll von verlorenen Seelen. Bei manchen ist schon in der Schulzeit, bei andern schon mit der Geburt die eigentliche Zeit abgelaufen, weil sich dort nichts mehr zu bewegen vermag und bei manchen sogar der Verfall schon in den ersten Jahren einsetzt. Wir leben in einer Zeit der Fremdbestimmung, der Obrigkeitshörigkeit, der Kaisertreue, der Amtsgläubigkeit. Der Deutsche kommt nur zu sich selbst, wenn er sich in einer größeren Ordnung wiederfinden darf. Über dies hinaus vermag er nicht sich eigenständig zu orientieren. Muss er es trotzdem, fühlt er sich verloren, und zwar im wahrsten Sinne dieses in seiner Bedeutung inzwischen sehr verblassten Wortes. Das war schon immer so, wird immer so sein. Und es wird in der Zukunft sogar noch schlimmer werden. Aber das ist ein anderes Thema, das auf einem ganz anderen Blatt Papier verhandelt werden wird. Tatsache ist, dass die Zahl derer, die schon früh das Zeitliche segnen, schier unendlich ist. Du kennst sie aus deinem Berufsalltag. Es sind die Studenten, die ohne wirkliche Begeisterung für ihr Fach studieren, sich mit Stoff füllen, Prüfungen absolvieren, weil sie das Gefühl haben, dass sie das müssen ohne wirklich zu wissen, warum das so sein muss. Es sind die Schüler, die in der Schule herumsitzen und brav alles tun, was man von ihnen verlangt; die Schüler, die das Sprechen verlernt haben und es auch nicht lernen wollen. Infolge dessen stehen sie in mehr als spärlichem Austausch mit der Umwelt und wirken recht tumb; mit der Zeit werden sie das meistens auch. Ich will nicht lamentieren, aber wir leben in einer Welt, die so eingerichtet ist, dass die eigentlich vitalen Kräfte der Menschen nicht recht zum Ausdruck kommen dürfen, weil man es ihnen zuhause nicht anerzieht, weil man es in der Öffentlichkeit verbietet, weil man es im Berufsleben nicht fordert, weil das Leben heute nur aus Rollen und damit aus Hüllen besteht, die es auszufüllen gilt. Alles ist auf Erhaltung und Bewahrung ausgerichtet, auf Akzeptanz und Hinnehmen. Die wirklich verändernden Kräfte werden mit größtem Argwohn betrachtet, weil deren heilsames Wirken, das sich häufig erst nach Generationen offenbart, von den meisten Menschen nicht ansatzweise für möglich gehalten wird. Viele haben Glück und dürfen ihre Hülle mit Leben füllen und mit einer gewissen Vollständigkeit. Zu viele aber haben das Glück nicht und beschränken schon früh ihr Leben nur auf das Notwendigste. Und ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass deren Leben im Grunde schon in der Kindheit vertan ist.“

      „Was für eine düstere Vision das ist, die du da schilderst.“

      „Düster ist sie für den, der das Leben bisher nur von der Seite des Lebens kennt. Glaubst du daran, dass der Mensch eine Seele besitzt?“

      „Ich weiß es nicht. Gewiss gibt es etwas Innerliches an uns Menschen. Aber …“

      „… man kann es“, fiel ihm der Dunkle ins Wort, „leider nicht im Labor durch einen passenden Versuchsaufbau nachweisen, nicht wahr?“

      „Wie soll man hier Gewissheit erlangen? Es würde alles ändern. Wenn wir wüssten, dass der Mensch eine vom Körper unterschiedene Seele hat …“

      „… dann wäre die Welt um ein paar Bausteine reicher und ihr Wissenschaftler hättet neues Land gewonnen, das es zu erforschen gilt. Eine Gewissheit mehr, die euch spätestens in dem Augenblick um den Verstand bringt, da ihr merkt, dass sie mehr neue Probleme schafft, als man damit lösen kann. Denn wenn man weiß, woraus eine Seele besteht, heißt das noch lange nicht, dass man sie damit auch besser versteht. Ein verrückter Mensch bleibt ein verrückter Mensch, auch wenn man nun weiß, dass dies nicht auf stoffliche Ursachen zurückzuführen ist, sondern alleine eine Sache der Seele ist.“

      „Was schlägst du vor? Mir scheint, du weißt bereits die Antwort und möchtest mir einen Vorschlag unterbreiten.“ Hans hatte sich schnell an die Vertrautheit des Du gewöhnt, erschrak aber auch angesichts des Maßes an Bereitwilligkeit ein wenig, mit dem er sich auf die Andeutungen des Dunklen einließ. Dieses Du drang tiefer in seine Seele, so schien es ihm. Sollte er auf einem erneuten Sie bestehen?

      „Ich biete dir eine Erweiterung der Beobachtungen, mit denen du bisher kaum über den spärlichen Bereich der Empirie deines Labors hinausgekommen bist. Ich biete dir die unmittelbare Erfahrung an. Ich kann es dir ermöglichen, dein Leben, das hier an ein Ende gekommen ist, an fast jedem beliebigen Ort fortzusetzen, bis du seiner satt und überdrüssig es selbst beenden möchtest.“

      „Fast?“, fragte er misstrauisch.

      „Es gibt wie überall Einschränkungen und Opfer, auf die man sich einlassen muss.“

      Hans wohnte dem Gespräch eher in einer passiven Haltung und in einer hypothetischen Einstellung bei. All das, was der Dunkle zu erzählen hatte, fühlte sich ernst und tiefgreifend, ja aufwühlend an, aber doch auch unwirklich. Es war wie eine gute oder zumindest berührende Lektüre, die man sobald nicht weglegen mochte, weil sie etwas mit einem anstellt und Erwartungen weckt. Daher ließ er sich auf all das Phantastische ein, das er hier zu hören bekam; auch wenn es jetzt Andeutungen von Verbindlichkeiten gab.

      „Ich kann dir anbieten“, fuhr der Dunkle fort, „dein Leben in einem neuen, frischen Körper fortzusetzen; in einem jungen Menschen, einem jener Menschen, von denen ich eben geredet habe. Freilich würde das auch bedeuten, dass du dich auf ein wirklich neues Leben einlässt. In dem Augenblick, wo du als neuer Mensch, das erste Mal die Augen öffnest, gibt es kein Zurück mehr. Du hast eine neue, wenn auch kürzere und noch offenere Geschichte, mit der du leben musst und die dich in jedem Augenblick deines neuen Lebens verfolgt und Forderungen an dich stellt. Du hast eine Familie mit neuen Beziehungen und Erwartungen. Du hast Lehrer und wirst eine ganze Reihe von Erfahrungen machen, die du bereits hast durchleben müssen. Du wirst plötzlich Freunde haben wie auch Feinde. Von alledem weißt du vorher nichts. Du wirst eventuell in einer neuen Umgebung leben, die du nicht kennst und die vielleicht sogar nicht die Eigenschaften deines Standes besitzt. Du wirst in neuen Kleidern СКАЧАТЬ