Faber. Matthias Schroder
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Название: Faber

Автор: Matthias Schroder

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783750218291

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СКАЧАТЬ Vieles kam ihm trivial vor. Er musste über Dinge reden, die er schon unzählige Male durchdacht und abgeschlossen hatte, wenngleich sie für jeden seiner Studenten doch ein neues Problem waren. Das verlangte ihm viel Geduld ab. Vor allem aber waren ihm die Sprechstunden verhasst, weil es auch die Fälle gab, in denen er gezwungen war, zu tadeln und zu streiten, in denen er auf Unverständnis stieß und sich darum ganz menschlich geben musste, was er nur ungern als Teil seines Berufes betrachtete, weil er gerade dafür nicht diesen Beruf ergriffen hatte. Heute aber war es anders. Mühelos bewältigte er diese Situationen höchster Kontingenz. Es ging schnell. Und sogar dort, wo es normalerweise einen Disput hätte geben müssen, brachte er Humor auf. Er schaute in interessierte, glückliche, in manche dankbare Augen. Er spendete sogar Trost und munterte auf, wo es Schwierigkeiten gab. So verbrachte er Stunden, die wie mit einem Wimpernschlage vergingen.

      Als er die Menge abgearbeitet hatte, blieb noch einer übrig. Ein dunkel und etwas außer der Mode gekleideter Student, dessen Alter nicht abzuschätzen war und den er zuvor noch nie gesehen hatte. Ihn umgab eine spürbare Leere, als dämpften sich die Eindrücke um ihn herum. Auch die Straßengeräusche schienen ferner zu klingen als bisher. Er spürte einen schwachen Widerhall in sich, den er aber nicht zuordnen konnte. Etwas Unruhiges regte sich in ihm und er hatte das Gefühl, auf der Hut sein zu müssen. Schließlich begrüßte er den Dunklen und bat ihn in sein Zimmer, dessen Tür er offenließ. Dieser setzte sich und fing ohne Umschweife an zu reden.

      „Das Frühjahr scheint uns doch manchmal zu verstellen. Wir fühlen uns gut. Wir fühlen Lebenskraft. Wir packen Dinge an, die wir eigentlich hätten liegen lassen wollen. Wir entschließen uns sogar dazu. Doch das Merkwürdige dabei ist – und das beschäftigt mich schon gefühlte Ewigkeiten –, dass es sich so anfühlt, als wäre es unser Entschluss, unser Gefühl, als wären es gar wir selbst, die sich aufraffen. Dabei hätten wir zu anderen Zeitpunkten keinen Finger gerührt. Und das führt mich zu der Frage, mit was für einem Phänomen wir es hier eigentlich zu tun haben. Ich meine, woher wissen wir eigentlich, wer wir sind, wenn wir innerhalb von 365 Tagen in so ganz gegensätzlicher Weise denken, fühlen und entscheiden können? Ich frage mich ferner, ob es sich hierbei überhaupt um ein natürliches Phänomen handeln kann. Die Natur arbeitet nach festen Gesetzen. Lässt man Natrium und Chlor miteinander reagieren, so bekommt man Kochsalz. Uralte Salzvorkommen beweisen, dass das schon vor tausenden von Jahren so war. Erhitzt man eine Flüssigkeit, wird sie zu Dampf, kühlt man sie ab, kondensiert sie und wird wieder flüssig. In den einen Prozess muss man Energie stecken, aus dem anderen Prozess kann man Energie ableiten. Nichts vermag hieran etwas zu ändern. Aber der Frühling“, sagte er mit einem Lachen, das Faber unbehaglich war und das er als deplatziert empfand, „aber der Frühling macht irgendwie alles neu.“

      „Arbeiten Sie über Salze oder über Jahreszeiten?“ Er wurde etwas ungeduldig.

      „Beides“, entgegnete der Dunkle. „Beides. Es ist wie mit so vielen Dingen, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben. Oftmals führen die Dinge ein über lange Strecken unbemerktes Dasein; egal, wie wichtig sie eigentlich sind. Und dann tritt an einer ganz anderen Stelle durch einen fast schon chaotischen Zufall etwas anderes ins Dasein und sorgt dafür, dass das eine in ungewohnt klarer Weise ins Bewusstsein dringt und Konturen bekommt, die es vorher nicht hatte. Was ist schon Kochsalz! Ewig, beständig und gerade dadurch unauffällig. Und der Mensch? Vergänglich, weniger beständig und sich selbst gerade dadurch auffällig. Treffen beide aufeinander, bekommt Salz auf einmal Geschmack, den es vorher nicht hatte. So ist das Leben selbst; eine Chemie, die auf Bestehendes zurückgreift und dabei Neues schafft. Man möchte meinen – und oft hoffen wir das ja gerade in den Naturwissenschaften –, dass der Bereich der Natur einmal geschaffen ein fixer Bereich ist. So war es nie! Die Schöpfung ist nicht abgeschlossen, sondern findet in jeder Sekunde statt, indem Dinge einander begegnen, die vorher noch nie einander begegnet sind. Und in eben dieser Begegnung entstehen neue Gesetze, von denen sich zukünftige Begegnungen derselben Art fortan nicht mehr freimachen können.“

      „Dafür gibt es einen Ausdruck, Kontingenz. Wollen Sie mir bitte Ihr Anliegen mitteilen. Ansonsten möchte ich Sie nicht länger aufhalten“, versuchte er höflich, aber bestimmt, seinen Standpunkt zu verdeutlichen.

      „Gab es bereits eine Chemie Ihrer Beziehung, als Sie Ihre Frau kennenlernten?“ Bei dieser Frage war es, als griffe der Dunkle ihm ins Innerste und als hielte er es zwischen zwei Händen fest umklammert. „Oder entstand nicht das Geschick dieser Beziehung erst in dem Augenblick, da sie zu existieren begann? Zwei junge und frisch promovierte Akademiker treffen am Beginn des 20. Jahrhunderts aufeinander. Sie sprühen vor Tatendrang. Angefüllt mit Idealen und der Faszination auf Ihrer Seite für eine Frau, die es ebenfalls geschafft hatte. Sie konnten sich in dem anderen gleichsam wiederfinden. Bestätigungsprobleme hat man in solch einer Konstellation nicht. Diese beiden taufrischen Moleküle wirft man nun in den Erlenmeyerkolben, wo sie gewissen Standartbedingungen unterworfen sind; die ja nun wirklich nicht vorhersehbar waren. Familiengründung mit Hochzeit und Kindern, standesgemäßer Auftritt an den Öffentlichkeiten, entsprechendes Ambiente, in dem man auch Gäste empfangen kann. Gestatten Sie mir die eine kleine rhetorische Frage! Haben Sie wirklich geglaubt, Ihre Frau bliebe an Ihrer Seite immer dieselbe? Nein! Mit Ihrer Liebeserklärung haben Sie Masse und Valenz Ihrer Frau verändert; freilich in einer Art und Weise, die nur in Verbindung mit Ihnen möglich war. Sicherlich haben Sie damit nicht ihren Kern verändert, der fortan sein Recht forderte und dieses merkwürdige Hin-und-Her von Anziehung und Abstoßung hervorgerufen hat, das Sie beide dort hingebracht hat, wo Sie heute stehen.“

      Er war starr. Alles, was der Dunkle sagte, fühlte sich an, als stamme es aus einem uralten Wissen, das so alt war wie die Gesetze der Chemie selbst. Die Starre erfasste Brust, Nacken und Verstand und verband sich mit einem Gefühl, das irgendwo zwischen Angst und Neugier angesiedelt war. Der Dunkle redete über eine Beziehung, die er eigentlich nicht kennen konnte und doch zu verstehen schien. Er brachte diese Beziehung unter die ehernen Gesetze der Chemie und machte ihm unmissverständlich klar, wohin diese Beziehung hatte laufen müssen. Stück für Stück setze sie sich vor Fabers innerem Auge zusammen als ein zeitloses Gebilde, als ein Molekül mit seinen begrenzten Entwicklungs- und Veränderungsfähigkeiten. Seine Ehe schrumpfte in seiner Vorstellung zu einem unendlich kleinen und bedeutungslosen Etwas zusammen, das bereits in seiner Entstehung sein kolossales Scheitern enthielt.

      „Sie rauben mir meine Zeit“, versuchte er mit einem letzten Rest von Widerstand gegen den größer werdenden Einfluss des Dunklen vorzubringen, wobei er merkte, dass seine Stimme dabei ungewöhnlich schwach war und keinen gewohnten Widerhall in seinem Büro fand, als sauge der Dunkle ihre Energie in sich hinein. Und als wenn er von der Bedeutung dieser Worte lebte, erheiterte sich der Dunkle mit leuchtenden Augen, atmete tief ein wie ein Mensch, dem man in einem Gespräch ein wichtiges und sehnsüchtig erwartetes Stichwort gegeben hat und entgegnete:

      „Gewissermaßen haben Sie damit Recht. In einer gewissen Weise haben Sie sie mir aber auch angeboten. Ich bin schon vor langer Zeit auf Sie aufmerksam geworden“, wurde er jetzt offener. „Sie tauchten sozusagen in meinem Horizont auf und wurden in diesem immer deutlicher, als sich die Zeichen dafür verdichteten, dass Ihnen Ihr Leben zu entgleiten begann oder, wie ich es viel lieber sage, wo Sie sich dazu entschlossen haben, den Entwicklungen Ihres Daseins freien Lauf zu lassen. Ich sage das lieber, weil ich in dieser Hinsicht gerne positiv denke. Denn es gehört schon einiges dazu, seine eigenen Kräfte an die Welt abzugeben und ihr den Hauptteil am eigenen Geschick zu überlassen. Wenn Sie aber Ihre Kräfte der Welt übergeben, bleibt die Frage, was mit der Zeit geschieht, die hierbei entsteht. Sie haben damit ein schier unendliches Potenzial an ungenutzten Möglichkeiten entstehen lassen, von denen ich mich offen gestanden stark angezogen fühlte, was allen Wesen so geht, die sich mit der Zeit immer nur am Rande ihrer ansonsten eher zeitlosen Existenz befassen dürfen.“

      „Wer … sind … sie?“, entfuhr es Faber in einer letzten großen Anstrengung, bei der er nicht einmal genau hätte sagen können, ob sie aus seinem Inneren oder aus der Gegenwart des Dunklen herrührte. Er wollte es sicherlich wissen. Doch kam dieses Wissen-Wollen aus einer Verbindung, die sein Innerstes СКАЧАТЬ