Faber. Matthias Schroder
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Название: Faber

Автор: Matthias Schroder

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783750218291

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СКАЧАТЬ bereits für immer verschlossen. Seine Ehe war Geschichte. Er wusste nicht mehr, ob es der Alkohol war, der die Ehe zerstört hatte oder ob es der Alkohol war, mit dessen Hilfe er seine gescheiterte Ehe und damit einen Teil seines eigenen Unvermögens hinnehmen und ertragen wollte. Eine Tatsache war aber ihr Ende, das sich vor Langem schon als ein beharrlich ausbreitendes Schweigen andeutete und die unverrückbaren Regularien sichtbar werden ließ, von denen die Ehe seit langem bestimmt wurde. Er hatte nie die Kraft gehabt, gegen die Schatten zu kämpfen, die auf dem Alltag lagen, und die Ehe zu retten. Er hatte es geschehen lassen, dass seine Frau und später auch seine zwei Kinder sich immer weiter von ihm entfernten, bis die Ferne zuerst eine emotionale, später dann auch eine räumliche wurde. Er hatte nichts unternommen, als er ahnte, wie es um seine Familie stand, weil er es nicht wirklich wollte. Der Weg seiner Profession war einfacher, gradliniger, erhebender. Erfüllen konnte ihn nur seine Berufung, die er in der Wissenschaft fand; dies glaubte er jedenfalls eine Zeit lang, bis er merkte, dass auch sein Berufsleben unter der Last der neuentstandenen Leere zu leiden begann. Zwar verlor er nicht auch den Blick für sein berufliches Dasein gänzlich, aber mehr und mehr sein Ansehen unter den Kollegen, denen sein erlöschender Ehrgeiz und sein vermindertes Berufsethos nicht verborgen blieben. Zwar übernahm er noch Aufgaben und Forschungsaufträge, aber es waren mehr und mehr solche, die auch seine Studenten hätten bewältigen können. Stabilität hatte seine Karriere noch, aber sie war einem Schwung zu verdanken, der aus einer Zeit höherer Reputation entstammte. Immer weiter begab er sich selbst in Spezialbereiche, von denen er wusste, dass er in ihnen nicht brillieren musste, um erfolgreich zu sein, sondern in denen er aufgrund ihrer geringen Popularität zu den wenigen Sonderlingen und geduldeten Geringgeachteten gehörte. Damit trug er noch den Titel Ehemann und Professor der Chemie, aber diese fanden in der Wirklichkeit seines Daseins nur noch spärlichste Entsprechungen. Und so saß er also eines Tages wieder einmal in einem zwischenzeitlich zu seiner Stammkneipe gewordenen Gasthaus und vertrank sein nicht geringes Einkommen in einer Starre der Unfähigkeit, sich gegen die Türen zu stemmen, die sich hinter ihm schlossen und in einem undeutlichen Bewusstsein davon, dass ihm nicht mehr viel blieb, das er zu verlieren hatte.

      Es waren nur noch wenige Tage, bis er hier seinen Stammplatz verlieren sollte. Er fiel nicht dadurch auf, dass er laut oder gar körperlich bedrohlich wurde, wie man das von vielen notorischen Trinkern kannte. Aber das Leben, das ihm mehr und mehr aus der Hand glitt, begann seine Spuren zu hinterlassen. Er trank immer größere Mengen und verlor immer häufiger die Beherrschung dabei; sei es, dass er nur sein Bewusstsein verlor, sei es, dass er sich übergab oder sich einnässte. Bisweilen sprach er auch andere Gäste auf eine Weise an, die diesen unangenehm war. Nicht, weil sie sich belästigt fühlten, sondern weil er ihnen leidtat und bei manchem das von einem Anflug schlechten Gewissens begleitete Gefühl weckte, dass man ihm eigentlich hätte helfen müssen. Häufiger vergaß er sein Geld und blieb die Rechnung schuldig. All dies wurde durch den Eindruck verstärkt, den seine nachlässiger werdende Hygiene hervorrief. Er wusch sich mit wenig Sorgfalt für die wenigen Momente, in denen er Menschenkontakte beruflicher Natur nicht vermeiden konnte. Er benutzte bisweilen auch seine mit Urinspuren kontaminierte Kleidung und roch oft ein wenig nach einer Mischung aus Schweiß, Urin, Fusel und Zigarettenrauch. In ein paar Tagen würde mit dem Hausverbot, das er hier erhalten sollte, einer der wenigen öffentlichen Orte verlorengehen, an denen er sich noch aufhalten konnte, an denen er eine Existenz hatte.

      Als Chemiker wusste er, was er sich antat. Der Alkohol und sein Stoffwechsel, dessen Wechselwirkung mit allem, was am klaren Denken beteiligt war. Die Bakterien auf seiner Haut und deren übelriechende Stoffwechselprodukte. Seine mangelhafte Ernährung und deren Wirkung auf Vitalität und allgemeine Klarheit. Er wusste über all dies Bescheid, doch war es ihm eher Beruhigung, solange es ihm das dumpfe Gefühl gab, noch irgendetwas unter Kontrolle zu haben; auch wenn er hier Kenntnis und Kontrolle gründlich miteinander verwechselte.

      Seine fortschreitende Übersättigung mit Alkohol, die manches Mal bereits am frühen Nachmittag begann, erfüllte ihn mit einem beständigen Gefühl von Ekel, das ihn isolierte. War es anfangs noch eine Abneigung, die aus dem Bewusstsein resultierte, dass man ihn mehr und mehr mied, war der Ekel ein Endresultat, das dieses Bewusstsein durch das Bedürfnis nach Einsamkeit ersetzte und durch eine diffus empfundene Abscheu vor dem Rest der Welt, die nur durch den Genuss von noch mehr Alkohol erträglich wurde. An den Vormittagen geistiger Klarheit waren es seine zunehmende Isolation und die Art, wie man ihn behandelte, die ihm das Gefühl vermittelten, dass er immer weniger ein Teil dieser Welt war. Die Menschen machten ihm nur durch ihre zunehmende Reserviertheit deutlich, dass seine Gesellschaft nicht erwünscht war, geschweige denn genossen wurde. Und so zog er sich weitgehend zurück und sehnte sich auf eine merkwürdig ambivalente Weise nach dem häufig schon am frühen Nachmittag beginnenden Vollrausch.

      So dumpf wie den Ekel fühlte er die wenigen Anwesenden in seiner Kneipe. Seit Langem schon öffnete ihn der Alkohol nicht mehr, indem er ihn gesprächig, lustig vielleicht oder gar interessant machte. Die Wirkung des Alkohols hatte sich seiner Nähe zum Ende angepasst. Er machte ihn träge. Kaum einen von ihnen nahm er klar unterschieden wahr. Gesichtslos. Sie drangen durch zum ihm in ihren Stimmen, die sich wie eine rasselnde Kette von menschlichen, aber nicht artikulierten Lauten, durch sein Bewusstsein zogen. Unterschiedslos. Er nahm eine Reihe von Stimmungen wahr. Überhaupt schien das das Einzige zu sein, das noch bewusst zu ihm vordrang: Eindrücke, die für etwas standen. Doch zuordnungslos. Die Stimmen schienen ihm hell und heiter, wie auch die glänzenden heiteren Tupfen ihrer Gesichter, die sein Gesichtsfeld erfüllten und damit für den Gegensatz zu seiner dunklen Dumpfheit standen. Sie waren der Hintergrund, auf dem er sich abzeichnete; in seiner gesichtslosen Leerheit, als hohles Rauschen.

      Lediglich einer schien sich etwas von den anderen zu unterscheiden. Er unterhielt sich nicht und war ebenso wie er alleine. Unauffällig. Das alleine war es aber nicht, wodurch er auffiel, denn er fühlte sich schon seit Längerem nicht einmal mehr den anderen Einsamen verbunden. Es war die Dunkelheit, die diesen Anderen umgab. Eine Dunkelheit, die sich auszubreiten schien und die in der Lage war, sich und den Anderen zu umschließen. Sie war wie ein Raum, in den jemand beide auf eine merkwürdige Weise einschloss. Ihm war es nicht unangenehm, denn dadurch verschwanden auch die anderen Menschen aus seinem Gesichtsfeld und er musste ihnen gegenüber keinen Ekel mehr empfinden. Das Wort „Tod“ kam ihm in den Sinn. Von drückender Angst angegangen, aber auch erleichtert betrachtete er es. Denn auf einmal konnte er etwas sehen, dass er schon lange nicht mehr betrachtet hatte. Er wurde seiner selbst bewusst. Ein Tod schien zu ihm alleine zu sprechen. Zu lange standen die anderen Mitmenschen schon am Rande seiner Existenz und bildeten den Rahmen seines Endes, in dem er nur sehen konnte, was sie ihn sehen machten. Jetzt, wo ihn Dunkelheit umschloss, sah er sich alleine an und ein alter und fast vergessener Vers, den er in seiner Schulzeit hatte auswendig lernen müssen, trat in sein Bewusstsein:

       Der Menschen müde Scharen verlassen Feld und Werk. Wo Tier und Vögel waren, trauert jetzt die Einsamkeit. Wie ist die Zeit vertan!

      Doch gleichsam, als würde er sich selbst antworten, kam ihm wie zugeworfen ein anderer Vers in den Sinn und setzte sich vor das Vorige.

       Lass, wenn der müde Leib entschläft, die Seele wachen!

      Fast unwillkürlich musste er sich zu dem dunklen Anderen umwenden. Der sprach mit unerwartet lebhafter Stimme: „Möchtest du das?“

      „Wer bist du?“, fragte er träge in die Ecke hinein, aus der sich nun noch mehr Dunkelheit auszubreiten schien, als müsste er die Worte mühsam von sich wegstoßen.

      „Wer ich bin, ist nicht wichtig. Viel wichtiger ist doch, wer du bist und warum ich bin.“ Nach einer Pause, in der die Worte langsam Halt in dem alkoholisierten Verstand fanden, fuhr der Andere auf eine unerwartet offene Weise fort: „Ich sehe dich dort, wo du angekommen bist. Dein Leben scheint rum. Man kann es riechen. Merklich zerfällst du. Und weil sich dein Verfall nun auch körperlich manifestiert, scheint er unumkehrbar. Darum hast du dich auch in dein Schicksal gefunden und folgst ihm, indem du loslässt. Ich mag das. Ich komme von Zeit zu Zeit zu Menschen, denen es ähnlich geht. Das Bestehende lässt СКАЧАТЬ