Название: Faber
Автор: Matthias Schroder
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783750218291
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„Aha, ich sehe, da hat jemand in der Schule gut aufgepasst! Schon oft hat die Literatur versucht, meinesgleichen nachzugestalten. Aber wenn ich ehrlich bin, war ich nie gut getroffen. Ich ziehe es vor, das Offensichtliche nicht unnötig durch Zelebration zu festigen. Unterschriften, vielleicht durch Blut, Handschlag, mystische und magische Rituale, Zauberformeln und dergleichen sind für Menschen mit verminderter Denkfähigkeit. Sie benötigen etwas, das sie sich vorstellen können, damit es wahr wird; sowie die Hostie, die ihnen ihre Gerechtigkeit glaubhaft macht oder eine Nationalhymne, die ihnen gemeinschaftliches Verbundensein ins Hirn singt, weil man es plötzlich zu fühlen meint. Die Wirklichkeit hat ihren Ursprung alleine in deiner Entscheidung. Einen Vertrag schließt man nicht durch eine Unterschrift, sondern durch das Wollen der Regeln dieses Vertrages. Merke dir das bitte! Dazu benötigt man kein Blatt Papier und erst recht keinen goldenen Füllfederhalter. Ob du Teil des Vertrages bist, wirst du immer daran erkennen, dass du ein Teil einer Welt bist, die sich durch deinen Entschluss verändert.“
Wann war man entschlossen? Woran merkte man, dass man sich zu etwas entschlossen hatte? Hans Faber versank für einen Moment in Gedanken und merkte nicht, dass der Dunkle verschwunden war. War er wirklich gerade einen Vertrag mit einem Mephisto eingegangen? Er musste bei dem Gedanken schmunzeln; einerseits, weil es ihm noch unwirklich erschien, andererseits, weil er dem Dunklen einen Namen gegeben hatte. Wie war das noch gleich? Gut getroffen hatte ihn die Literatur nie? Dazu gehörte zweifellos ein Name. Nun gut! Aber das war doch nur menschlich, wenn wir eine Bezeichnung brauchten. Nein, eine Bezeichnung war das aber nicht. Es war ein Name. Dahinter steckt immer ein Subjekt; jemand, der Entscheidungen treffen und den man dafür verantwortlich machen kann. Hans sah recht klar, was der Dunkle mit seiner Lektion hatte sagen wollen: Er bot sich als Vehikel der Zeitlichkeit an. Darüber hinaus hatte er offensichtlich nichts zu bieten. Das Ja zu einem Vertrag lag in den Händen dessen, der sich dazu entschloss und damit in dessen Verantwortlichkeit. Und sobald man in Anerkennung dieses Vertrages durch sein Entschlossen-Sein etwas in der Welt veränderte, hing man in der Sache, war man ihr verhaftet. Entschlossen-Sein war das Gegenteil von Zweifel. Entschlossen-Sein zeigte sich immer schon in der Tat, in der Zielstrebigkeit, aber auch im Zulassen. Er fand das alles umso banaler, je länger er darüber nachdachte. Und weil es so banal war, wurde ihm auch klar, worin die Verlockung der Macht lag, die ihm der Dunkle in Aussicht stellte. Wer vermögend war, konnte sich über die moralische Anklage hinwegsetzen, je mehr Macht man besaß, desto weniger Anklage würde einem begegnen. Für einen kurzen Augenblick fragte sich Faber, ob der Dunkle ihm an Ende nicht eine Falle gestellt hatte. Aber so schnell, wie dieser Gedanke kam, wischte er ihn auch wieder beiseite und schüttelte dabei lächelnd den Kopf. Zu unwirklich schien ihm noch all das, was er gehört hatte. Zu fern, um es als greifbar zu begreifen.
Dunkel war es inzwischen geworden, früh am Abend. Das Gespräch erschien ihm in einer kurzen Weile verstrichen zu sein, tatsächlich mussten Stunden vergangen sein. War das ein Vorgeschmack auf die Macht über die Zeit, von der der Dunkle sprach? Wo war er überhaupt? Würde er ihm wiederbegegnen? Faber ordnete seinen Schreibtisch und dachte darüber nach, was er jetzt tun würde. Normalerweise war er um diese Zeit regelmäßig in einem Zustand, in dem er sich über solche Fragen den Kopf nicht mehr zerbrechen konnte; in einem Zustand, der er nur als dumpf, träge und langsam zu beschreiben war. Das war das ziemlich genaue Gegenteil von dem, was er jetzt empfand. Er fühlte sich leicht, er fühlte sich - erhaben. Ihm war, als würde er nicht wirklich in diese Welt gehören. Alles war wie in einem größer gewordenen Abstand. Er hatte den Geschmack von Alkohol auf der Zunge. Das war ein untrügliches Zeichen für den starken Appetit auf hochprozentige Getränke, die ihm Betäubung versprachen. Aber es bereitete ihm in diesem Augenblick keine Schwierigkeiten, dieses Gefühl zu ignorieren. Ganz im Gegenteil! In einem gewissen Sinne war es mit einem weiteren Hochgefühl verbunden, von diesem Appetit zu wissen, ihn wahrzunehmen, ihn ins Bewusstsein zu heben und ihm nachzuspüren. Es war ein kleines Kribbeln in den Mundwinkeln, das er nun auf die Zunge schob, beobachtete und seines Anspruches auf Befriedigung entledigte, bis nur noch eine leise Ahnung dieses Appetits übrig blieb und unter dem Einfluss eines sich öffnenden neuen Horizontes in Fabers Leben erstarb.
***
Einige Tage später stand er ratlos vor seinem Haus und sah seiner Gattin hinterher, die sich ohne zurückzublicken und mit wütendem und entschlossenem Schritt entfernte. Den Dunklen hatte Faber seit dem Treffen in der Universität nicht mehr gesehen. Und mit den Tagen stellte er sich immer häufiger die Frage, was nun eigentlich zu tun sei oder ob überhaupt etwas zu tun sei. Zwischendurch hatte er Phasen der Unsicherheit ob seines Vertrages und gelegentlich dachte er daran, sich wegen des Alkohols in Behandlung zu geben. Ebenso gut hatte er ja auch unter Wahnvorstellungen leiden können, unter einer Paranoia, in der sich gemäß der neuen psychoanalytischen Mode allerlei Wünsche Bahn brechen konnten und sich den halluzinativen Weg in die Welt der konkreten Erscheinungen suchten. Was lag aus dieser Sicht näher, als sich den Weg aus seiner Welt hinaus zu wünschen, ohne Sucht und ohne Sterben?
Er sah ihr hinterher und fühlte sich auf eine merkwürdig undurchschaubare Weise geprüft. War das der Fall, so musste er auf ganzer Strecke versagt haben, denn er hatte in den zehn Minuten, die sie vor seiner Tür stand und keinen Einlass begehrte und in denen sie die meiste Zeit ebenfalls schwieg, keinen einzigen Laut über die Lippen gebracht. Er konnte nichts sagen. Er hätte gerne die Wahrheit gesagt, aber diese lag weit außerhalb des in diesem Augenblick Mitteilungsmöglichen und sie hätte ihn für verrückt gehalten oder geschlossen, dass er sie verachtend zum Narren halten wollte. Doch was hätte er sonst sagen sollen? Jede andere Äußerung wäre eine leicht zu entlarvende Lüge gewesen und für sie in diesem Moment ein Eingeständnis seinerseits, dass er einen schweren moralischen Fehltritt begangen hatte, über den sich nicht einmal offen reden ließ. Denn offenbar wusste sie – woher auch immer – längst Bescheid über das, was er beruflich gerade tat. Sie verdeutlichte ihm ihre Vorstellungen von Berufsethik und machte ihm klar, dass sein Tun mit diesen nicht vereinbar war. Sie hielt ihm vor, sich als Wissenschaftler dem Geld und einer zweifelhaften Sorte von Erfolg verschrieben zu haben. Sie bezeichnete seine Arbeit als faustisch, als eine Perversion der Wissenschaft. Er würde all das, was er erreicht hatte und wofür ihm jede Ehre gebührte, entwerten und mit Füßen treten.
Er wusste sehr genau, wovon sie sprach. Sie redete in Resten noch mit einem Faber, den es so nicht mehr gab. Seit einiger Zeit hatte er seiner Arbeit eine andere Richtung gegeben. Hatte er bis vor Kurzem noch in nutzenbringender Weise daran gearbeitet, aus Luft Pflanzendünger zu gewinnen, so konzentrierte er sich jetzt darauf, die Luft als Träger des Todes zu verwenden. Und bei dieser Arbeit stieß er auf ein hohes politisches Interesse an seinen Ergebnissen, die sich nicht nur in einem gewissen Maß an Renommee in der Politik auszahlte, sondern auch finanziell einiges an Möglichkeiten für ihn und sein Institut barg, weshalb man ihn dort auch gewähren ließ, solange es mehr Nutzen versprach als Schaden.
Ebendies hatte sie ihm zum Vorwurf gemacht und bemerkenswert war, dass sie ihm den moralischen Vorwurf machte, obwohl seine Arbeit bislang noch von keinem sichtbaren Erfolg gekrönt war. Es ging ihr um Werte und deshalb hatten sich ihre Welten damit endgültig geschieden. Er konnte dies in ihren Augen sehen, in denen nichts als der klare immerwahre Ernst sich ausdrückte, dem er nichts entgegenzusetzen hatte. Sie hatte Recht. Und ein paar Jahre vorher hätte er dies auch noch akzeptieren können. Nun musste er ihr nachblicken in dem Gefühl, versagt zu haben, aber auch in dem Gefühl der Erleichterung, das mit der Tatsache einherging, dass sie sich nun endgültig von ihm abgewendet hatte. Er musste ihr nichts mehr vormachen und war gleichzeitig der Notwendigkeit enthoben, sich selbst in eigenen Worten zu erklären. Sie war jetzt der Träger eines Willens, der alles Weitere zu seinem Vorteil besorgen würde. Das fühlte sich bequem an. Er musste innerlich keine größeren Bewegungen machen.
Als er nachdenklich die Tür schloss, klatschte im Nebenzimmer jemand regelmäßig in die Hände. Der Dunkle empfing ihn mit einsamem Applaus, begeisterten Augen und einem gönnerhaft breiten Grinsen, das quer über sein ganzes Gesicht lief und den Ohren etwas Spitzes gab. „Bravo!“, rief er. „Braaaavo! Das СКАЧАТЬ