Название: Die Toten am Kleistgrab
Автор: Harro Pischon
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783737502290
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„Warum bist du so kratzbürstig?“
„Ich bin nicht kratzbürstig, ich bin nur nicht interessiert.“
Menzel sah sie an, seufzte und wandte sich zum Gehen. Warum mussten Frauen immer so viele Widerstände aufbauen, bevor sie sich einlassen konnten?
Februar 1802
Heute würde er sich trauen. Kleist stand am Aareufer in Scherzligen und blickte auf das Holzhaus auf der Insel. Es lag genau an der Spitze, die Terrasse bot den Blick über den See auf die Berge. Ein verwinkeltes, liebenswürdiges Häuschen. Ob jemand darin wohnte?
Kleist ging vorsichtig über die vereiste kleine Brücke auf die Insel hinüber, klopfte und rief. Nichts rührte sich. Er sah sich um, auf der anderen Flussseite befand sich eine Fischerkate. Er ging hinüber, hier stieg Rauch aus dem Schornstein.
Als er klopfte und hallo rief, öffnete eine junge Frau die Tür und fragte nach seinem Begehr. Kleist fragte, ob das benachbarte Haus zu mieten wäre. Die Fischerstochter rief nach hinten ins Haus: „Vater, chömed emol. Ein Herr fragt nach dem Haus.“
Kurz darauf erschien der Fischer in hüfthohen Stiefeln. „Was wünschen der Herr?“ - „Ich möchte gerne wissen, ob das Haus da drüben zu mieten ist, und an wen ich mich wenden soll.“
„Ja, da wohnt gerade niemand. Das Inseli gehört einem Berner Landvogt, Gatschet heißt er, Niklaus Gatschet. Wohnen Sie in Thun?“
„Ja, nahe beim Scherzliger Tor“, sagte Kleist.
„Dann fragen Sie am besten in Ihrem Haus, der Gatschet ist bekannt. Woher kommt der Herr, wenn ich fragen darf?“
„Aus dem Königreich Preußen, Heinrich von Kleist mein Name.“
„Herr von Kleist, wenn Sie das Häuschen mieten, biete ich Ihnen an, dass meine Tochter Ihnen im Haus zur Hand geht. Sie haben Sie schon gesehen.“
Noch am selben Tag stand Kleist vor dem Haus des Landvogts und gab dem Mädchen seine Karte. Sie bat ihn in die Eingangshalle. Kurz darauf erschien Niklaus Gatschet, ein fünfzigjähriger, korpulenter Mann mit freundlichen, gutmütigen Augen. „Herr von Kleist, was verschafft mir die Ehre?“ Kleist fragte, ob er das Haus auf dem Inseli mieten könne, er habe den Fischer gefragt, der ihn an den Herrn Landvogt verwiesen habe.
Gatschet lachte. „Das Inseli, ja das gehört uns, genauer gesagt meiner Frau. Sie hat die Insel von ihrem Vater geerbt, einem DeLosea. Deshalb heißt sie offiziell die Delosea-Insel.
Das Haus steht zur Zeit leer. Wie lange möchten Sie es haben, Herr von Kleist?“
Kleist vereinbarte eine Mietzeit von sechs Monaten ab März. Der Landvogt fragte ihn noch, was er denn in Thun zu tun gedenke. Kleist erzählte, dass er ursprünglich vorhatte, ein Landgut zu erwerben, um Bauer zu werden. Die politischen Verhältnisse und Turbulenzen hätten ihn aber davon Abstand nehmen lassen. Nun wolle er die schöne Landschaft genießen und wohl auch Muße gewinnen, um sich seiner schriftstellerischen Passion zu widmen.
„Ein Drama habe ich soeben in Thun fertiggestellt, an weiteren Ideen und Projekten möchte ich arbeiten.“
„Vom Bauer zum Schriftsteller, das ist ein weiter Weg, Herr von Kleist.“
„Ich möchte in meinem Leben, dass mir drei Dinge gelingen: ein Kind, ein schön Gedicht und eine große Tat. Vielleicht kann ich die letzten beiden vereinigen.“
Gatschet gab keinen Kommentar ab. Er ging zum Fenster und sah hinaus.
„Und wie gefällt Ihnen Thun, Herr von Kleist, obwohl es ja Winter ist?“
„Die Natur, Herr Landvogt, sieht unter den Schneeflocken aus wie eine 80-jährige Frau, aber man sieht ihr doch an, dass sie in ihrer Jugend schön gewesen sein mag.“ Kleist liebte diese Formulierung, er hatte sie schon in mehreren Briefen angebracht. Sie tat ihre Wirkung auch bei Gatschet, der nun sicher war, einen angehenden Schriftsteller vor sich zu haben.
Sie vereinbarten einen wohlfeilen Mietpreis, Kleist erhielt den Schlüssel und erwähnte das Angebot einer Haushaltshilfe durch die Fischerstochter. Gatschet beglückwünschte ihn: „Das Mädeli ist tüchtig und sehr angenehm im Umgang. Viel Glück und Erfolg, Herr von Kleist.“
6 Dienstag
Menzel parkte seinen Dienstwagen in der Dorotheenstraße, auf der Rückseite des Anton-Tschechow-Theaters. Hier parkte er oft, wenn er eine Aufführung besuchte, es sei denn, er riskierte die Fahrt mit der S-Bahn und nahm ausfallende Züge, gesperrte Teilstrecken und Verspätungen in Kauf.
Im Gegensatz zu seiner Chefin war Menzel häufiger Theaterbesucher. Die Czerny hatte er als Käthchen von Heilbronn gesehen, auch wenn er mit ihrer bedingungslosen Zuneigung nichts anfangen konnte. Er war realistisch genug, solche Gefühle von keiner Frau zu erwarten. Aber die Figur der Czerny war mehr gewesen als ein naives Kleinstadtmädchen, das den strahlenden Ritter bewundert. Sie liebte ernsthaft.
Wie kam sie an die Seite von Dehmel – als Tote?
Menzel ging am Festungsgraben die Treppe hinauf bis zum Vorzimmer und durch die geöffnete Tür. Lässig lehnte die rothaarige Sekretärin in ihrem Stuhl und lachte sympathisch ins Telefon. Er zückte seinen Dienstausweis, sie hob die Augenbrauen und brach das Gespräch ab. „Oh, der Herr Kommissar.“ Sie griff nach dem Ausweis.
„Herr Menzel, richtig?“
„In der Tat, und mit wem habe ich das Vergnügen?“
„Sind Sie zum Flirten gekommen, oder wollen Sie zu Herrn Preuß?“
„Zuerst zu Herrn Preuß, bitte.“
„Gehen Sie nur rein, er erwartet Sie. Bis später dann.“
Aufgeräumt und mit leicht gerötetem Gesicht betrat Menzel das Zimmer des Intendanten und schloss die Tür hinter sich.
„Na, hat Flirte-Dörte bei Ihnen zugeschlagen?“
„Äh, nein, keineswegs, Herr Preuß. Sie wissen, weshalb ich hier bin?“
„Ja, die arme Katharina. Ich kann es noch gar nicht fassen. Es ist so rätselhaft, wie sie auf einmal am Kleistgrab landen konnte. Der Presse habe ich entnommen, dass es kein Doppelselbstmord gewesen sein soll?“
„Wir haben begründete Zweifel. Können Sie mir sagen, ob Sie von einer Verbindung Frau Czernys mit Herrn Dehmel wissen?“
Der Intendant legte sein Gesicht in Falten.
„Also von einer Verbindung weiß ich nichts, aber sie kannten sich zweifellos.“
„Würden СКАЧАТЬ