Название: Lebenswege - Eine ostpreußische Familiengeschichte
Автор: Frank Hille
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783737538183
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Der Traktor, Ostpreußen, Ende der 1930iger Jahre
Sein Vater und der Großvater hatten ihren Sonntagsstaat angelegt und sahen ganz anders aus als die Männer die unter der Woche in alten Sachen auf dem Hof arbeiteten. Ihre Anzüge rochen leicht muffig, da sie sonst nur im Schrank hingen. Wenig getragen gaben sie ihnen aber ein ganz anderes Aussehen als das der anderen Bauern die sie neugierig ansahen, als sie mit dem Pferdewagen durch das Dorf fuhren. Es hatte sich natürlich herumgesprochen, dass sie einen Traktor kaufen wollten, eine kleine Sensation für das Dorf, sie würden der zweite Hof sein, der dann so eine Maschine besaß. Als das Dorf hinter ihnen lag sprach sein Vater mit dem Großvater.
„Meinst du, dass wir richtig handeln, Vater“ fragte er ihn etwas unsicher.
„Willst du jetzt noch einen Rückzieher machen, du bist doch sonst kein Hasenfuß“ blaffte ihn der Alte an.
Peter Becker war erstaunt, sonst war sein Vater der Entscheider und der Alt Bauer fügte sich dem was er bestimmte. Er wusste aber auch, dass sein Vater zwar kein furchtsamer Mensch war, aber kein Interesse daran hatte sich in Konflikte mit anderen zu begeben. Er verstand ihn schon, er selbst ging zum Unterricht bei Backmann, was eigentlich für einen Bauernjungen untypisch war, und dann wagte der Vater sich noch eine Maschine zu kaufen, die ihm die Arbeit im Vergleich zu den anderen deutlich erleichtern könnte. Kurzum: sein Vater hatte mächtige Bauchschmerzen vor dem möglichen Neid der anderen Bauern. Gut vorstellbar, dass die Männer in der Gastwirtschaft über ihn herziehen würden weil er etwas tat, wovor sie sich selbst scheuten. Peter wusste von seinen Freunden sehr genau, dass auch in deren Familien darüber diskutiert wurde ob man sich eine dieser Maschinen zulegen sollte. Am fehlenden Geld konnte es nicht liegen, die letzten Jahre hatten ihnen üppige Ernten beschert und auch die Preise waren gut gewesen. Im Vergleich zu den Fabrikarbeitern, die sich für einen schmalen Lohn in den immer mehr entstehenden Fabriken verdingen mussten, waren die Bauern wohlhabend. Generationen von Landwirten kannten es aber gar nicht anders, als mit ihren Händen und wenigen Geräten die Äcker zu bewirtschaften, und weit ab von den immer stärker und schneller wachsenden Industrien blieben sie mit ihrem geringen Bildungsstand lieber den herkömmlichen und ihnen vertrauten Arbeitstraditionen verhaftet. Allen Ernstes behaupteten einige von ihnen, dass die Maschinen ihre Felder so schädigen würden, dass der Boden bald unfruchtbar werden würde und die Geräte ohnehin fortlaufend reparaturbedürftig wären, somit wenig Nutzen hätten, und das Geld schlecht angelegt wäre. Was Peter nicht wusste war, dass sein Großvater den Vater schon lange dazu gedrängt hatte, sich einen Traktor zuzulegen.
1916 war der für ihn schon alte Mann in den Krieg gezogen und hatte in Frankreich einen Kettenschlepper gefahren der die Geschütze an die Front zog. Seltsamerweise war der Bauer für diese Tätigkeit eingeteilt worden, ein Industriearbeiter hätte leichteren Zugang zu der Maschine gehabt, aber der Großvater lernte schnell das Fahrzeug zu beherrschen, schon um nicht in der Knochenmühle der Schützengräben zu landen. Bis auf eine leichte Splitterverletzung kam er ungeschoren durch die Kriegszeit, vier andere Männer aus seinem Dorf blieben auf den Schlachtfeldern. In der harten Zeit nach dem Krieg war nicht daran zu denken gewesen Maschinen auf die Felder zu bringen, beim Großvater hatte sich jedoch tief eingeprägt, wie leicht die Arbeit damit werden würde. Jetzt war die richtige Zeit gekommen diesen Wunsch zu erfüllen, und der Vater war eigentlich derjenige, der der Sache skeptisch gegenüberstand, Peter hingegen war voller Erwartungen.
Die Vororte der Stadt wuchsen vor ihnen auf. Die Häuser waren noch klein und duckten sich an die Straße. Peter kamen sie schäbig vor, der Putz bröckelte von den Wänden und alles war grau. Bald nahmen die Häuser an Größe zu und bildeten Blöcke. Peter erinnerte sich an seinen kurzen Aufenthalt in der Stadt und nach der Fahrt über das freie Land befiel ihn wieder das erdrückende Gefühl der Steinmassen. Der Händler hatte sein Lager nahe einer kleinen Fabrik eingerichtet, auf dem Platz standen einige Maschinen und Männer in dreckigen Arbeitskombinationen schraubten in einer Halle an anderen herum. Als die drei noch vor der Mittagszeit mit dem Pferdewagen auf den Hof rollten ließen sie von ihrer Arbeit ab und schauten die Ankömmlinge spöttisch an. Peter sah sie tuscheln und er konnte sich vorstellen, dass sie sich über sie lustig machten. Aus ihrer Sicht war es sicher einleuchtend, sie, die Beherrscher dieser Maschinen, fühlten sich als Spezialisten, und die drei Bauern kamen ihnen wahrscheinlich vor wie Boten aus einer anderen Zeit. Der Vater rutschte unbehaglich auf dem Bock des Pferdewagens herum und seine Unsicherheit war mit Händen zu greifen, auch dem Großvater war dies nicht entgangen und er sprang vom Wagen und ging auf einen der Arbeiter zu.
„Feixe hier nicht blöd rum“ fuhr ihn an „sondern hole Herrn Richter, wir wollen den Traktor abholen.“
Der junge Mann hatte diesen Ton nicht erwartet und lief zu einem kleinen Nebengebäude, welches wie ein Schuppen an die Halle geklebt war, kurz darauf kam ihnen ein Mann entgegen der sich von den Arbeitern nicht nur durch seine Kleidung, sondern auch durch die Gestalt unterschied. Er trug einen makellosen Anzug und durch seine Größe war er eine beeindruckende Erscheinung. Sein Körper erschien jedoch seltsam ausgemergelt. Als er den Großvater ansprach war Peter über seine leise und heisere Stimme erstaunt, die so gar nicht zu dem hochaufgeschossenen Mann passen wollte.
„Entschuldigen Sie“ sprach er die drei an „sie müssen nah herankommen, ich kann nicht lauter reden, Gasvergiftung, sie verstehen.“
Der Großvater nickte verständnisvoll, hier trafen sich zwei Kriegsveteranen und er fragte Richter:
„Frankreich? Ich war auch dort.“
„Ja, 1917 hat es mich erwischt, die ersten Tage habe ich nur Blut gekotzt, dann wurde es besser. Sie meisten die in den Angriff kamen sind aber gestorben, viele haben das Augenlicht verloren. Ich habe Glück gehabt.“
Langsam gingen sie zu einer der Maschinen und Peter Becker war von deren Größe beeindruckt. Der Traktor verfügte über Räder die ihn fast überragten, zum Sitz führten Stufen hinauf, und von da oben musste man einen guten Überblick haben. Hinter den kleineren Vorderrädern sah er den Motor und der Auspuff ragte an der rechten Seite des Fahrzeuges empor. Die Räder waren rot lackiert, der Motor schwarz, und die Abdeckbleche in grün gehalten, er meinte noch die frische Farbe riechen zu können.
Richter erklärte.
„Ein Deutz, etwas besseres können Sie nicht bekommen. Sehr robuster Einzylinder Diesel mit 11 PS aus gut 2 Liter Hubraum, der geht nie kaputt, ich habe jedenfalls noch keine Beschwerden gehabt. An die Kupplung können Sie einen Pflug anhängen, seitlich können andere Geräte angebaut werden wie zum Beispiel einen Getreideschneider, der wird über eine Welle vom Motor angetrieben und die Scheren bewegen sich dann gegeneinander, so werden die Halme geschnitten. Vorn ist die Anlasser Kurbel, es gibt Pedale für Gas, Kupplung und Bremse, die Maschine hat zwei Vorwärts- und einen Rückwärtsgang. Sehen Sie sich die Maschine in Ruhe an und fragen Sie mich was Sie wissen wollen.“
Peter gefiel die ruhige und sachliche Art des Mannes, er spürte, dass er mit dem Maschinen bis ins letzte vertraut war. Ihm war aber nicht entgangen, dass der Großvater zunehmend nervöser wurde und den Traktor mit Respekt betrachtete.
„Wie wollen СКАЧАТЬ