Lebenswege - Eine ostpreußische Familiengeschichte. Frank Hille
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Название: Lebenswege - Eine ostpreußische Familiengeschichte

Автор: Frank Hille

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783737538183

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СКАЧАТЬ sollte, schließlich war eine Kurve zu nehmen um vor das Haus zu rollen. Den schwierigsten Teil der Strecke absolvierte der Vater souverän, er gab er Zwischengas, schaltete herunter, und nahezu elegant bog er auf den Hof ein, dort brachte er die Maschine zum Stehen. Der Motor ging aus und der Vater kletterte langsam von der Maschine herunter. Richter war bereits abgestiegen und sah ihn grinsend an, er klopfte ihm auf die Schulter, sagte etwas, und der Vater lachte lauthals. Dann ging er lässig auf seine Frau zu und küsste sie, so etwas tat er vor anderen sonst nie. Als er seine Mütze abnahm sah Peter, dass sein Haar klatschnass am Kopf klebte, das lag nicht nur an der Wärme die die Sonne noch ausstrahlte. Er hatte allen gezeigt, dass auch ein einfacher Bauer eine dieser neuen Maschinen beherrschen konnte.

      „Na bitte“ meinte Richter „das war doch eine perfekte Vorstellung. Morgen können Sie unbedrängt ohne Gaffer auf dem Feld weiter üben. Nach und nach werden Sie die Maschine immer besser beherrschen und Sie werden sehen, dass der Traktor eine große Hilfe sein wird.“

      „Das hast du gut gemacht, mein Junge“ sagte der dazugekommene Großvater zu Peters Vater „und auf dieses Ereignis sollten wir uns heute Abend ein paar Biere und Schnäpse gönnen. Wir können dann ja noch ein wenig über die alten Zeiten plaudern Herr Richter.“

      „Diese Zeiten sind für mich immer noch mit vielen schlechten Träumen verbunden“ sagte Richter und Peter hörte genau zu „ich sehe noch die Leichenberge vor mir, die zerstörte Landschaft, das Chaos. Als es in den Krieg ging war ich genauso begeistert wie alle anderen und dachte, das wird ein Spaziergang, eine Art Abenteuer eben. Dass dieses Abenteuer für Millionen dann im Massengrab geendet hat ist wenig später die Wirklichkeit gewesen. Ich war an der Westfront in Frankreich und habe monatelang dort im Trommelfeuer gelegen. Jeden Tag sind Männer aus meiner Kompanie gefallen. Erschossen, in Unterständen erstickt, von Granaten zerrissen, von Bajonetten aufgespießt. Trotz der riesigen Verluste kamen wir kaum voran, und wenn, dann warfen uns die Franzosen oder die Engländer bald wieder zurück. Wir stehen jetzt schon wieder kurz vor einem neuen Krieg und ich sage Ihnen, der wird für Deutschland nicht anders enden als der erste große. Glauben Sie mir, Hitler will Krieg.“

      „Wir kennen uns erst ein paar Stunden und Sie reden so mit uns“ sagte der Großvater überrascht „was wäre, wenn einer von uns Sie anzeigen würde?“

      „Das wäre mir egal“ antwortete Richter „ich habe vielleicht noch ein Jahr, so sagt es jedenfalls mein Arzt. Meine Lungen arbeiten nur noch mit ganz schwacher Leistung. Und was ich Ihnen gesagt habe wird so werden, glauben Sie mir.“

      Peter Becker würde die Worte Richters lange in Gedächtnis behalten. Dass sie für ihn und seine Familie zur schrecklichen Wahrheit werden würden ahnte er an diesem schönen Sommertag noch nicht.

      Die Kolonne der Pferdewagen bewegte sich langsam über die Straße. Die Alten saßen oben auf den mit Habseligkeiten vollgepackten Gefährten, die Frauen und die wenigen Männer gingen zu Fuß neben der Prozession einher, und die halbwüchsigen Kinder mussten den Boden auch unter ihre Füße nehmen. Nur ab und an durften sie ein Stück auf den Wagen mitfahren, schließlich galt es die Pferde zu schonen, denn ihr Ziel lag noch weit vor ihnen. Mit der Zeit hatte sich so etwas wie Routine eingeschlichen, und wenn wieder russische Flugzeuge erschienen flüchteten die Menschen in alle Richtungen, um den Jägern keine lohnenden Ansammlungen von Zielen zu bieten. Um ihr Hab und Gut kümmerten sie sich in solchen Momenten nicht mehr, vielmehr galt es jetzt nur noch mit heiler Haut davon zu kommen. Der Kolonnenführer, der Bürgermeister ihres Dorfes, war schon aufgrund seiner Statur eine Respektsperson, fast zwei Meter groß und mit Muskeln bepackt strahlte der Mann trotz aller Widrigkeiten eine Ruhe aus die sich auf die anderen übertrug. Peter Becker wusste, dass der Mann bei den Kämpfen in Stalingrad ein Bein verloren hatte, nicht etwa durch eine Kugel oder Granate, sondern durch den grimmigen russischen Winter. Seine Achtung vor diesem Mann wuchs noch mehr als er hörte, dass dieser mit einem schon schwarz angelaufenen und erfrorenen Bein mit anderen deutschen Soldaten auf eigene Faust aus dem Kessel ausgebrochen war. Erst nach knapp einer Woche stießen sie auf deutsche Truppen denen es nicht gelungen war, den Ring der russischen Truppen, der sich tödlich um die Stadt schloss, zu durchbrechen. Im Lazarett nahmen die Ärzte dem Mann das Bein ab um sein Leben zu retten, nach drei Monaten kehrte er in sein Dorf zurück, und da er seiner eigentlichen Arbeit als Landwirt nicht mehr nachgehen konnte wählten ihn die Menschen zum Bürgermeister und zahlten ihm gemeinsam ein schmales Geld für diese Tätigkeit.

      Zusammen mit der Gemeindeschwester hatte er bei einer vorrückenden deutschen Einheit so lange auf den Kommandeur eingeredet, bis dieser ihnen widerwillig wenigstens etwas medizinisches Material zur Verfügung stellte. Das half nur bei leichten Verletzungen und alle im Treck wussten, dass diejenigen, die bei den Angriffen schwer verletzt wurden, nur geringe Chancen hatten mit dem Leben davon zu kommen. Vor gut drei Wochen waren sie gestartet, bislang hatten sie um die zwanzig Menschen begraben müssen. Vielleicht kam es ihnen auch zugute, dass ihr Weg nicht in der Hauptstoßrichtung der Russen lag und sie sich mit jedem Tag weiter von der Front entfernten. Die deutschen Truppen kämpften verzweifelt gegen die Übermacht des Gegners an, aufhalten konnten sie ihn nicht mehr, nur seinen Vormarsch verlangsamen und somit den flüchtenden Menschen etwas Zeit verschaffen.

      Peter Becker war jetzt fünfzehn Jahre alt und er hatte festgestellt, dass die Truppen, denen sie begegneten, fast nur noch aus älteren Männern und Soldaten bestanden, die nur wenige Jahre mehr als er zählten. Die Uniformen ließen sie älter aussehen, aber ihre Staturen zeigten an, dass es eigentlich fast noch Kinder waren und die Frauen sahen sie mit Bedauern an. Manchmal überkam ihn der Wunsch sich den Soldaten anzuschließen und sein Land zu verteidigen, er wusste allerdings genau, dass dies nicht möglich war, seine Mutter hatte ihn und seine Schwester ohnehin immer im Blick.

      Auf dem Weg nach Westen passierte der Treck Orte, in denen noch Menschen lebten. Die Einheimischen, die sich noch nicht auf die Flucht begeben hatten beäugten sie misstrauisch und Peter hatte das Gefühl, dass sie froh waren, wenn die Kolonne ihr Dorf hinter sich ließ. Einem Tauschgeschäft waren sie allerdings nicht abgeneigt, und die Flüchtlinge gaben für Nahrungsmittel Kleidung und Hausrat. Am Nachmittag dieses Tages bewegte sich der Treck durch eine leicht hügelige Waldlandschaft und der Kolonnenführer suchte bereits nach einem günstigen Ort um die Nacht zu verbringen. Keine einfache Sache, für gut dreißig Wagen und knapp einhundertfünfzig Leute einen Platz zu finden. Auf sein Zeichen hin bewegte sich der Zug weg von der Straße in einen Waldweg hinein, nach kurzer Zeit stießen sie auf eine Bereitstellung deutscher Panzer. Der Kolonnenführer stieg von seinem Wagen und ging zu den Soldaten, dann setzte sich der Pulk wieder in Bewegung und rückte an den Fahrzeuge vorbei um einen knappen halben Kilometer hinten ihnen anzuhalten, hier würden sie die Nacht verbringen.

      Die Menschen ließen sich in Gruppen auf dem Boden nieder nachdem die Pferde ausgespannt waren. Erste Gespräche entspannen sich, denn nach der hinter ihnen liegenden deckungslosen Landschaft bot das dichte Dach des Waldes etwas Sicherheit vor den russischen Fliegern. Dennoch erinnerte sie das in der Ferne grollende Artilleriefeuer ständig daran, dass es nur ein Aufschub war, der ihnen hier vergönnt wurde. Die Wehrmacht stemmte sich mit allen Kräften gegen den Feind und hatte dessen Tempo in der letzten Zeit etwas vermindern können, trotzdem würden sie sich morgen wieder auf den Weg machen müssen und einen Ruhetag würde es nicht geben obwohl Menschen und Tiere erschöpft waren. Peter Becker sah wie sich eine Gruppe von Jungen in Richtung der Panzer auf den Weg machte.

      „Mama, kann ich mitgehen und mir die Panzer ansehen, vielleicht haben die Soldaten auch was zu essen“ fragte er hoffnungsvoll.

      Seine Mutter sah ihn müde an.

      „Gut, hier kann nichts passieren, geh‘, aber in einer halben Stunde bist du wieder da, dann gibt es Essen.“

      Er nickte, rannte den anderen hinterher und bald sahen СКАЧАТЬ