Lebenswege - Eine ostpreußische Familiengeschichte. Frank Hille
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Название: Lebenswege - Eine ostpreußische Familiengeschichte

Автор: Frank Hille

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783737538183

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СКАЧАТЬ alten Mädchen am Nebentisch. Der Lehrer schrieb Aufgaben an die Tafel, er hatte diese in vier Felder mit Kreide eingeteilt. Links oben standen die für die Großen, rechts unten die der Kleinen. Rechnen machte Peter Spaß, ohne Mühe löste er die Aufgaben, heute war zu multiplizieren, und als er fertig war griff er zu seinem Karl May Buch und las. Paul kam schlecht mit und er fragte Peter öfter wie er die Aufgabe lösen sollte, ähnlich ging es Karl. Für Peter schien klar zu sein, dass er als Bauer mit Mathematik wenig zu tun haben würde, dennoch wuchs sein Interesse immer mehr, und das entging auch dem Lehrer nicht. Er nahm es hin, dass Peter in seinem Buch las, was sollte er den zweifellos besten Schüler ermahnen, er spornte ihn vielmehr dazu an den anderen auf die Sprünge zu helfen und Peter gefiel sich in der Rolle des Gehilfen des Lehrers schon. Eines Abends erschien Backmann auf ihrem Hof und sprach mit seinem Vater. Peter hatte ein mulmiges Gefühl, denn sonderlich diszipliniert war er nicht, und an den üblichen Streichen in der Schule beteiligte er sich mit Freude.

      Als der Lehrer den Hof verlassen hatte erwartete er vom Vater gerufen zu werden, der tat nichts dergleichen. Erst zum Abendbrot nahm der Vater das Wort.

      „Dein Lehrer hat mir vorhin gesagt, dass du sein bester Schüler bist, darüber freue ich mich sehr. Er hat mir auch vorgeschlagen dich auf eine bessere Schule in der Stadt zu schicken, was hältst du davon“ fragte der Vater.

      Peter Becker war überrascht, seine Sorge vor einer Ermahnung überflüssig gewesen, was der Lehrer seinem Vater berichtet hatte kam für ihn vollkommen unverhofft. Im Augenblick war er nicht in der Lage etwas zu sagen, und sein Vater nickte verständnisvoll.

      „Denke darüber nach, morgen reden wir noch einmal über diese Sache. Es wäre schön, wenn es einer aus unserer Familie einmal weiter als bis zum Bauern bringen würde, du könntest der erste sein, überlege es dir in Ruhe.“

      Im Bett wälzte der Junge die Gedanken. Er fühlte sich mit seiner Familie, dem Dorf und seinen Freunden so stark verbunden, dass er sich nicht vorstellen konnte weg zu gehen, zumal nicht allein. Er wusste, dass der Bruder seines Vaters Richard in der Stadt wohnte und in einer Blechfabrik arbeitete, sein Vater hatte als älterer Sohn den Hof übernommen und sein Bruder wollte nicht in der zweiten Reihe stehen und zog 1932 mit seiner Frau und den Kindern in die nahegelegene Stadt. Anfangs kam der jüngere Bruder noch oft am Sonntag vorbei, es zog ihn einfach auf das Land, aber bald wurden seine Besuche seltener. Manchmal schrieb er ihnen, dass das Leben in der Stadt schon Vorzüge hätte aber es schien so, dass er als Fabrikarbeiter nicht richtig glücklich wurde, obwohl er sich eine Wohnung leisten konnte, in der es fließendes Wasser und Gas zum Kochen gab.

      Auch am nächsten Abend hatte Peter keine Entscheidung getroffen, es überließ es lieber dem Vater seinen Weg zu bestimmen.

      „Gut, wenn du nicht weißt was du willst werden wir es so machen, dass du eine Woche bei meinem Bruder wohnen wirst um zu sehen wie das Leben in der Stadt ist. Ich schreibe ihm heute noch einen Brief und bitte ihn, dich für eine kurze Zeit aufzunehmen, er wird es nicht abschlagen, schließlich sind seine Kinder in den Ferien hier auch bei uns auf dem Hof. Schau‘ es dir an, dann musst du selbst entscheiden.“

      Peter Becker war erleichtert, schließlich konnte der Bruder des Vaters doch noch absagen, und selbst wenn er in die Stadt fahren würde, war die Aussicht auf schnelle Rückkehr auf den Hof tröstlich.

      Insgeheim hatte er Angst vor der Stadt.

      Die Luft in dem kleinen Zimmer war stickig. Jetzt im Juli glühte die baumlose Straße und strahlte die Hitze auf die Häuser ab. Obwohl das Fenster die Nacht über geöffnet geblieben war haftete an dem Bettzeug ein muffiger Geruch. Die beiden anderen Kinder schliefen noch zusammen in einem Bett, Peter Becker war ein Sofa zugeteilt worden, auf dem er sich recht und schlecht eingerichtet hatte, kein Vergleich mit seinem Bett auf dem Hof, das länger und breiter war. Seit zwei Stunden war er munter, gegen fünf Uhr war die erste Straßenbahn quietschend um die Straßenecke gerumpelt und auch das Nageln der Dieselmotoren der Laster hatte ihn gestört. Obwohl er zu Hause noch zeitiger aufstehen musste fühlte er sich müde und zerschlagen. Alle waren gestern schon zeitig ins Bett gegangen, denn der Bruder seines Vaters hatte einen langen Weg bis zu der Fabrik vor sich und Karla, seine Frau, fing sechs Uhr als Verkäuferin in einem Bäckerladen an. Es war klar, dass die Kinder sich bis zu ihrer Rückkehr allein beschäftigen mussten. Als er gestern mit seinem kleinen Reisekoffer in der Hand angekommen war wurde er freundlich aufgenommen, sein Onkel sagte so etwas wie „bist ja groß geworden, schau‘ dich um“, seine Tante nahm ihn in den Arm. Karl und Anton, die jünger als er waren, blickten ihn neugierig an. Zum Abendbrot gab es Brot, Wurst und Tee, die Rationen wurden von der Mutter genau zugeteilt und Peter war erstaunt, wie schmal sie ausfielen. Als sie gegessen hatten zog sich sein Onkel um und erschien in einer Uniform, an einer Armbinde prangte auf rotem Tuch ein schwarzes Kreuz. Er küsste seine Frau, fuhr seinen Jungs mit der Hand über das Haar und verließ die Wohnung. Später, als Peter mit den beiden anderen im Zimmer war, ihre Mutter nähte in der Stube, fragte er sie nach der Uniform.

      „Die kennst du nicht“ fragte Karl verwundert „der Papa ist in der Partei“ sagte er stolz.

      „Was ist denn die Partei“ wollte Peter wissen.

      „Na eine Truppe, die den Führer helfen den Krieg zu gewinnen, davon musst du doch auch auf deinem Dorf schon mal gehört haben“ antwortete Anton.

      Peter erinnerte sich. Vor zwei Jahren war in den Abendstunden ein Lastkraftwagen in das Dorf gerollt auf dem einige Männer in diesen Uniformen standen, an den Seitenwänden des Fahrzeugs hingen Transparente, die einen Mann mit einem eigenartigen Bart zeigten. Das Auto hielt vor dem Wirtshaus und die Bauern kamen aus der Gaststube um zu sehen was los war. Sein Vater hatte später davon erzählt.

      „Heute waren Leute aus der Stadt im Dorf, sie wollten Mitglieder für Hitlers Partei werben, allerdings hat sich niemand dazu bereit erklärt. Die sollen uns mit ihrem Quatsch in Ruhe lassen. Der Hitler will Deutschland angeblich wieder zu einer Weltmacht führen und er sagt, dass wir zu wenig Lebensraum haben, und uns den im Osten holen müssten, die Leute dort wären im Vergleich zu uns rückständig und wir müssten denen erst beibringen wie man ordentlich arbeitet und lebt.“

      Peter verstand das nicht, die Felder und Seen gaben für alle genug her und ihre Lieferungen in die Getreidemühlen, die Schlachthöfe und die Händler in der Stadt hatten ihnen allen einen bescheidenen Wohlstand beschert. Die Häuser und Höfe waren gepflegt und die ersten Bauern kauften sich Maschinen und Motorräder. Manches Jahr hatten sie Mühe, die üppig ausgefallenen Ernten einzubringen, und die Scheunen füllten sich mit den Waren, die Viehbestände wuchsen immer mehr an und auch die Seen schienen eine unerschöpfliche Quelle für die Fischer zu sein. Er konnte nicht erkennen, dass es ihnen an wesentlichen Dingen des Lebens mangelte. Im Jahr seiner Geburt, 1930, war das Dorf auch die Stromversorgung angeschlossen worden und die Zeit der Öllampen damit vorbei, für ihn war es schon nicht mehr vorstellbar im müden Schein dieser Funzeln in einem Buch zu lesen. Sein Vater hatte versucht, es ihm noch besser zu erklären, was die anderen Männer gemeint hatten.

      „Deutschland hat 1918 einen großen Krieg verloren, einige Gebiete sind an andere Länder gefallen und wir haben damit Land verloren. Frage nicht, ob das gerecht oder ungerecht war, wir haben diesen Krieg begonnen und dafür bezahlt. Uns auf dem Land hat die Zeit nach dem Krieg nicht so hart getroffen wie die Leute in den Städten, wir hatten immer genug zu essen. Denen ging es richtig schlecht und viele standen ohne Arbeit da und das Geld war auf einmal nichts mehr wert. Langsam wurde es wieder besser, aber viele waren unzufrieden und wollten wieder ein mächtiges Deutschland, das will der Hitler auch. Ich bin froh, hier zu leben, und meine Arbeit zu haben. Ich brauche kein neues Land im Osten, und deshalb will ich mit den Leuten nichts zu tun haben, die anderen auch nicht.“

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