Название: Blaue Diamanten
Автор: Irene Dorfner
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Leo Schwartz
isbn: 9783738070484
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„Gehst du heute schon wieder in deine blöde Oper?“ maulte Rosina Steinmaier während des Frühstücks. Sie hatte schon immer Wert darauf gelegt, mit ihrem Sohn gemeinsam zu frühstücken, worauf Tamino gerne verzichtet hätte. Jeden Morgen maulte seine Mutter so lange, bis ihre Unterhaltung in einem Streit und sich wiederholenden Vorwürfen endete. Er versuchte stets, dem aus dem Weg zu gehen, aber sie provozierte ihn so lange, bis er sich nicht mehr beherrschen konnte und contra gab.
„Erst nächste Woche Mutti.“
„Was findest du nur an diesem fürchterlichen Geschrei? Der Komödienstadl ist immer schön, aber die Oper? Du bist genauso wie dein Vater! Der hat auch immer ein Heidengeld für Opernkarten ausgegeben und hat mich allein zurückgelassen, um sich das Geschrei anzuhören. Er wollte immer etwas Besseres sein und gab mit seinem Wissen und seiner Affinität zu Opern an. Ich konnte nie etwas damit anfangen und hielt lieber jeden Pfennig zusammen. Dein Vater hat nicht viel verdient und wir mussten immer sparen. Trotzdem wollte er partout nicht auf die Opern-Besuche verzichten. Er hat mich dazu überredet, dich Tamino zu nennen. Ich finde den Namen auch heute noch affig und für ein Leben in Bayern nicht angebracht. Aber gegen deinen Vater kam ich nicht an.“
„Ich finde den Namen schön, er passt zu mir. Vati war nun mal ein Feingeist.“
„Feingeist! Pah! Er kam aus einfachsten Verhältnissen. Meine Eltern waren reiche, angesehene Geschäftsleute. Die Eltern deines Vaters waren einfache Leute, die es nie zu Reichtum gebracht hatten. Ich habe oft mitbekommen, wie dein Vater seinen Eltern einige Scheine zusteckte, wenn sie mal wieder klamm waren. Das war rausgeschmissenes Geld! Man kommt nur zu etwas, wenn man fleißig ist und das Geld zusammenhält. Wie oft habe ich deinem Vater gebeten, dass er seinen Eltern nichts mehr geben soll. Denkst du, er hat auf mich gehört?“
„Vati war eben ein sehr gutmütiger, großherziger Mensch,“ sagte Tamino. Wie immer musste er seinen Vater verteidigen. Wie sehr er ihn vermisste, hatte seine Mutter nie bemerkt.
„Großzügig und gutmütig nennst du das? Nein, das war einfach nur dumm. Ja, dein Vater war ein dummer Mann, der sich gerne ausnutzen ließ. Außerdem war er nicht groß und stattlich, wie man sich einen Mann vorstellt. Er war genauso klein und dünn wie du. Das gefällt mir an Männern nicht.“
„Und trotzdem hast du ihn geheiratet,“ sagte Tamino und bereute seine Worte sofort. Er kannte die Sprüche und Geschichten seiner Mutter in- und auswendig. Bei jeder Gelegenheit machte sie ihn und seinen verstorbenen Vater nieder. Tamino kannte die Wahrheit, die sich seine Mutter immer schön redete. Das reiche Elternhaus seiner Mutter war in Wahrheit ein kleiner Tante-Emma-Laden mitten in Schwindegg, der sich gegen die großen Supermärkte nicht durchsetzen konnte und schließlich Ende der 70er-Jahre schließen musste. Das Haus war nicht viel wert und musste inzwischen einem Spielplatz weichen, nachdem die Stadt das Haus für ein Butterbrot gekauft hatte. Seine Mutter Rosina hatte von klein auf in dem Laden mitgearbeitet. Sie hatte keine Ausbildung und hatte nach der Schließung des Geschäfts nicht mehr gearbeitet. Er selbst war damals noch klein und konnte sich noch gut daran erinnern, wie verzweifelt seine Mutter war; sie hatte tagelang geweint. Tamino war davon überzeugt, dass sie wegen der Schließung des Geschäfts und der Langeweile so verbittert geworden war. Seitdem sie zuhause war und sich langweilte, hatte sie sich auf seinen Vater eingeschossen und machte ihm mit ihren Vorhaltungen und Sticheleien das Leben zur Hölle. Seit sein Vater vor zwölf Jahren starb, war er nun dran.
Seine Mutter regte sich über seine Widerworte auf und er entschuldigte sich mehrmals, wobei er ständig auf die Uhr sah. Die Zeit drängte, der Bus wartete nicht auf ihn. Als er endlich vor der Tür stand, musste er sich beeilen. Erst als er im Bus saß, fühlte er sich wohl. Kein Geschrei und kein Gekeife, hier konnte er sich entspannen und zur Ruhe kommen. Wie oft hatte er seiner Mutter die Pest an den Hals gewünscht? Aber sie war seine Mutter und er musste sie so nehmen, wie sie war. Was würde aus ihm werden, wenn sie nicht mehr da wäre? Brauchte er sie wirklich oder machte er sich nur etwas vor? Tamino wischte die Gedanken beiseite und dachte nur noch an seinen Bordellbesuch im Kolibri in der nächsten Woche. Die Damen warteten bestimmt schon auf ihn, schließlich war er ein großzügiger Gast, der keinen Ärger machte. Er verschwendete nicht einen Gedanken an den Mann, der ihn bedroht hatte und der von ihm einen Kurierdienst quasi erzwang. Warum auch? Kohle für nichts. Was sollte dabei schief laufen?
Jenny war da weniger entspannt. Immer und überall erwartete sie, von jemandem angesprochen zu werden. Wer war der Mann, der ihr den Umschlag übergeben würde? Irgendwoher kannte sie ihn, aber woher? War er einer der Fahrgäste? Oder sogar ein Kollege oder Nachbar? Täuschte sie sich, oder handelte es sich bei ihm um einen Fremden? Wurde auch er bedroht? Womit wurde er unter Druck gesetzt? Die ständigen Gedanken zermürbten sie und sie musste sich ermahnen, sich endlich zusammenzureißen.
Am liebsten wäre sie zuhause geblieben und hätte sich in ihrem Bett verkrochen, zumal sie seit dem Wochenende eine satte Erkältung mit sich herumschleppte. Die Kinder wollten unbedingt zur Eisbahn und Schlittschuhlaufen. Die Eislaufsaison ging ihrem Ende zu und sie wollte ihren beiden Kleinen diesen Spaß gerne erlauben. Natürlich hatte sie sie begleitet und stand an der Bande und wartete, während ihre Kinder sich mit Freunden vergnügten. Sie hätte sich wärmer anziehen sollen, sie hatte die Kälte unterschätzt. Dann stand er plötzlich da, einfach so. Der Mann, der ihr gedroht hatte stand an der gegenüberliegenden Bande und sah zu ihr herüber. Was wollte er hier? Und wie kam er hierher? Minutenlang stand er da und sie verstand seine Drohung: Er wusste, wo sich ihre Kinder aufhielten! Das allein reichte ihr. Ihr wurde schlecht und sie bekam noch mehr Angst. Auch noch nachdem er längst verschwunden war, war die Angst nicht verflogen. Die Sache war ernst, sehr ernst sogar und sie machte sich Sorgen um ihre Kinder und um sich selbst. Wer würde sich um Hannah und Oskar kümmern, wenn sie nicht mehr da wäre?
Die lachenden Kinder brachten sie auf andere Gedanken. Sie erzählten von dem aufregenden Nachmittag noch den ganzen Abend, bis sie erschöpft ins Bett fielen. Ihre Füße waren immer noch kalt und der Kopf war heiß. Sie durfte nicht krank werden, nicht jetzt! Der Mann hatte ihr gesagt, dass sie nicht krank sein dürfe. Entgegen ihren sonstigen Gewohnheiten nahm sie alle möglichen Erkältungsmittel ein, die sie finden konnte. Einige waren nur für Kinder, andere waren schon abgelaufen. Aber das war ihr egal. Der Mann hatte deutlich gesagt, dass sie jeden Tag zur Arbeit gehen solle und dieser Anweisung musste sie folgen.
Wie lange würde das Spiel noch gehen? Wann konnte sie endlich wieder in Ruhe und Frieden leben? Was hatte sie diesem Mann eigentlich getan? Warum wurde gerade sie ausgewählt?
So fuhr sie also zur Arbeit. Was blieb ihr anderes übrig? Es war ihr am Freitag endlich gelungen, ihre Kinder in die überzogene Betreuungsgruppe in der Schule unterzubringen. Sie hatte den Rektor quasi angefleht, ihre Kinder zu nehmen, bis er schließlich nachgab. Hannah und Oskar waren jetzt am Abend nicht mehr allein und sie konnte sie nach der Arbeit direkt von der Schule abholen. Ihre Kinder würden nicht mehr alleine sein und waren so vor dem Fremden geschützt. Diese Sorge wurde ihr genommen.
Sonst freute sie sich auf ihre Arbeit und auf ihre Kollegen, aber seit letzter Woche war ihre Freude verflogen. Sie funktionierte nur noch.
Magnus rief durch den Bus und wünschte ihr einen schönen Tag. Sie erwiderte nichts darauf und stieg aus. Warum war sie ihm gegenüber nur so abweisend? Das spielte jetzt keine Rolle, Magnus war nicht das Problem. Ihr Problem war dieser unsägliche Kurierdienst, mit dem sie eine Straftat beging und zu dem sie gezwungen wurde. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als sich zu fügen.
Hedwig Berenz hatte sich während des Wochenendes über Jenny Gedanken gemacht. Sie musste etwas unternehmen, denn mit ihr stimmt etwas nicht. Und so, wie sie sich heute Morgen verhielt, wurde sie darin bestätigt. Als Jenny ausgestiegen war und der Bus СКАЧАТЬ