Der Meerkönig. Balduin Möllhausen
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Читать онлайн книгу Der Meerkönig - Balduin Möllhausen страница 9

Название: Der Meerkönig

Автор: Balduin Möllhausen

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783754176504

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СКАЧАТЬ daß ich wieder geschlagen und in den Keller gesperrt werden würde. Zuletzt hielt ich es nicht länger aus, ich kleidete mich schnell an, den Thaler legte ich auf mein Bett, und auf den Strümpfen schlich ich aus dem Hause auf den Hof. Dort zog ich erst die Schuhe an; meine Strümpfe waren in dem Schnee schon ganz naß geworden, aber mich fror nicht, ich ängstigte mich zu sehr. Dicht am Hofthore wartete ich, bis der Bäcker klingelte, und alsdann vom Hause aus der Riegel aufgezogen wurde und der Bäcker sich nach der Küche begeben hatte, schlich ich durch die angelehnte Pforte nach der Straße hinaus. Es schneite sehr; die Straßenlaternen waren schon ausgelöscht worden, aber Tag war es noch nicht. Ich fürchtete mich vor dem Wetter, aber die Furcht vor Herrn Seim war noch größer, und ich lief, so rasch ich nur konnte, nach dem nächsten Thore, um aus der Stadt zu kommen. Niemand hatte mich bemerkt, doch mir war, als müsse Herr Seim sich dicht bei mir befinden, um mich zurückzuschleppen in den feuchten Keller, und als die letzten Häuser der Stadt schon längst hinter mir lagen, lief ich noch immer mit derselben Eile.

      »Als es endlich heller Tag war, mußte ich mich ausruhen; ich konnte keine Luft mehr schöpfen, und dabei war mir doch so heiß. Ich setzte mich auf die Erde und aß das trockene Brod, welches ich mir vom vorhergehenden Tage in meinem Bette aufgehoben hatte, und dazu kühlte ich meinen Mund mit frischem Schnee. Wie lange ich so dagesessen habe, kann ich nicht sagen; zuletzt wurde mir eisig kalt, und ich ging weiter, um mich zu erwärmen. Wohin ich gehen sollte, wußte ich nicht, aber ich bat den lieben Gott, er möge mich zu guten Menschen führen, die Mitleid mit mir haben würden. Während ich betete, fürchtete ich mich nicht, auch weinte ich nicht; ich betete daher auf dem ganzen Wege, daß ich nicht müde werden möge, denn ich dachte, ich würde vom Schnee so hoch zugedeckt werden, daß ich nicht wieder herausgelangen könne und daher verhungern müsse. Es schneite ja so sehr; doch war dies gut, denn wenn ich Leute und Wagen kommen hörte, brauchte ich gar nicht weit von der Straße abzubiegen, um nicht entdeckt zu werden. Ich wäre sonst gewiß wieder zu dem schrecklichen Herrn Seim zurückgebracht worden. So bin ich denn immer weiter und weiter gegangen, und endlich kam ich in einen Wald von lauter großen und kleinen Weihnachtsbäumen. Ich kenne Weihnachtsbäume, Herr Seim läßt alle Jahre welche im großen Saale aufstellen, und fremde Leute kommen und freuen sich, daß die Kinder so gut beten; und dann loben sie Herrn Seim, aber mit uns sprechen sie nur davon, daß wir Herrn Seim dankbar sein sollen.

      »Im Walde unter den Bäumen lag der Schnee nicht so hoch; das Gehen wurde mir dadurch erleichtert, allein ich war schon so müde, und meine Füße schmerzten so sehr, daß ich mich nur mühsam von der Stelle bewegte. Zuletzt hielt ich es nicht mehr aus, denn mehrfach war ich vor Mattigkeit gestolpert. Auf der Straße liegen bleiben durfte ich nicht; ich suchte mir daher einige kleine Weihnachtsbäumchen, die wie ein Nest zusammengewachsen waren, und da der Schnee nicht zwischen den dichten Zweigen hindurchfallen konnte, so kroch ich in das Nest hinein. Unter den Bäumen war es trocken und warm, auch fürchtete ich mich nicht, und gegen den Durst nahm ich etwas Schnee in den Mund. Dann betete ich alle Gebete, die ich kenne, und dabei wurde ich müde und die Augen fielen mir zu. Ich schlief nicht fest, denn ich hörte liebliche Musik, und viele schöne Kinder sah ich, die mich baten, mit ihnen zu spielen; doch ich konnte mich nicht von der Stelle rühren, es wurde immer dunkler um mich her, und endlich hörte auch die Musik auf. Das ist Alles, was ich weiß; ich habe geschlafen und geträumt, denn als ich hier erwachte, glaubte ich in der Krankenstube des Waisenhauses zu sein.

      »Ich habe gewiß die Wahrheit gesagt,« versicherte das Kind nach einer kurzen Pause mit flehender Geberde, die forschenden Blicke, welche auf ihm hafteten, für einen Ausdruck des Mißtrauens haltend; »ich habe noch nie gelogen, wenn ich nicht mußte. Laßt mich bei Euch bleiben, ich will ja gern arbeiten Tag und Nacht, aber zurück in das schreckliche Haus bringt mich nicht wieder!«

      Reichart hatte die letzten Worte nicht mehr abgewartet; die Stimme des flehenden Kindes war ihm tief in's Herz gedrungen, und gesenkten Hauptes, als ob er über Etwas im Zweifel sei, schritt er in dem Gemache auf und ab. Seine Frau dagegen und Marie hatten sich wieder über das Kind hingeneigt, und ihren vereinigten Bemühungen gelang es leicht, dasselbe gänzlich zu beruhigen und zu überzeugen, daß sie sich von nun an seiner annehmen, sich nicht mehr von ihm trennen wollten.

      Die zärtlichen Versicherungen der beiden Fremden wirkten wohlthuend auf das geängstigte Gemüth der jungen Waise. Nicht minder machte sich in dem kleinen, schwächlichen Körper die Erschöpfung geltend, denn als auch Marie und ihre Schwägerin von dem Bette zurücktraten, da kämpften die großen Augen nur noch matt gegen den Schlummer. Die langbewimperten Lider senkten und hoben sich schwerer, je nachdem der Schlaf leise über sie hinfächelte, oder durch die fremde Umgebung plötzlich wieder die Aufmerksamkeit auf Momente gefesselt wurde.

      Ein unendlich süßes, nie geahntes Gefühl der Sicherheit und des Wohlbehagens hatte sich der armen, verfolgten Waise bemächtigt. Es war, als habe sie absichtlich gegen den Schlaf gekämpft, um nicht das Bewußtsein ihrer gegenwärtigen Lage zu verlieren. Lächelte ihr doch Alles so freundlich entgegen, und schien doch selbst die alte Uhr mit ihrem ernsten, heiseren Ticken in tröstender Weise aus längst verflossenen Zeiten zu erzählen, aus Zeiten, in welchen weder an das todte noch an das lebende Lieschen gedacht wurde! Und dabei wirkte das gemessene Geräusch des staubigen Uhrwerks so einschläfernd, daß die Würfel in dem von dem Lampenlichte durchschimmernden Bettvorhange immer mehr in einander flossen und die Aepfel und die Gypsfiguren auf dem Gesimse scheinbar vor Müdigkeit wackelten und dem kleinen fremden Gaste freundlich zunickten.

      Lieschen kämpfte matter und matter gegen den Schlaf; sie wunderte sich zuletzt gar nicht mehr, daß das weiße Kaninchen bedächtig den Kopf schüttelte und mit den Pfoten über seine schwarze Nase hinfuhr, sie wunderte sich nicht, als es sogar von dem Gesimse zu ihr auf das Bett sprang, sich auf die Hinterfüße aufrichtete und die übrigen Gypsfiguren und die Aepfel zu sich herabwinkte. Und sie kamen herbei, die Aepfel wie die Figuren, aber ganz verändert; denn erstere hatten rothwangige Gesichtchen und Hände und Füße und kleine Flügel, während letztere himmelblaue mit Silber gestickte Mäntel trugen, daß sie aussahen wie ein aus heller Sternennacht gewebtes Völkchen.

      Lieschen aber lächelte beseligt und fürchtete sich nicht, als die kleinen Gestalten sich vor ihr zum muntern Reigen ordneten, immer abwechselnd ein Apfel und ein Figürchen, mit angefaßten Händen im Kreise herumtanzten und dabei so possirliche Sprünge machten. Und das Kaninchen saß in der Mitte und nickte mit dem Kopfe und schlug den Tact dazu, daß es sich genau so anhörte, wie das gemessene regelmäßige Ticken einer alten heisern Wanduhr.

      Auch die Musik fehlte nicht; zwar war sie nur dem leisen Murmeln berathender Menschen ähnlich, aber es war doch immer eine schöne, eine heilige Musik, denn sie ging von der guten Marie aus und von den biederen Bauersleuten, indem sie über das lebenswarme Lieschen in dem großen Bette, und das arme todeskalte Lieschen in der kleinen Kammer sprachen und dabei Gottes Güte und Allmacht priesen.

      Lieschen in dem Himmelbette lächelte immer wieder; sie war so glücklich, daß sie bis an ihr Lebensende hätte so fortschlafen mögen. Die Uhr tickte, das Heimchen sang, näher waren die drei guten Menschen zusammengerückt und inniger und traulicher flüsterten sie mit einander.

      Und Niemand wußte es und Niemand hatte ihn gesehen, aber der Engel des Friedens war durch die Todtenkammer und das Wohngemach geschwebt, hier tröstend, aufrichtend und ermahnend, dort zur ewigen Ruhe einsegnend und bleiche, kalte Lippen im leisen Kusse berührend. Und als ob er sein Tagewerk vollbracht habe und über das stille Strohdach der Hütte hinaus in seine himmlische Heimat zurückkehre, zertheilten sich die schweren Wolken. Hierhin und dorthin zogen sie hastig, und doppelt hell funkelnd und glitzernd schauten Milliarden von Sternen auf die unter der tiefen Schneedecke schlummernde Erde nieder.

      3. Die arme Marie.

      Lieschen war in einen tiefen, kräftigenden Schlummer gesunken. Marie, deren Bruder und Schwägerin lauschten mit innerer Befriedigung den regelmäßigen Athemzügen; sie freuten sich über die Ruhe СКАЧАТЬ