Der Meerkönig. Balduin Möllhausen
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Читать онлайн книгу Der Meerkönig - Balduin Möllhausen страница 10

Название: Der Meerkönig

Автор: Balduin Möllhausen

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783754176504

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СКАЧАТЬ Tische und ämsig nähte Marie an dem Sterbekleidchen, während die beiden Ehegatten ihr betrübt zusahen und in flüsterndem Tone zu ihr sprachen.

      Sie erzählten sich gegenseitig von dem frommen und rechtschaffenen Herrn Seim, der stets ein freundliches Wort und einen herzlichen Händedruck für jeden Einzelnen von ihnen in Bereitschaft habe und nie um Pfennige mit ihnen feilsche, wie so viele Andere, sondern von dem Grundsatze ausgehe, daß auch die armen Bauern leben müßten. Sie erzählten, wie er sich für seine verwaisten Schützlinge aufopfere, nur für diese lebe und webe, und wünschten, daß Gott ihm seine Rechtschaffenheit vergelten möge. Unerklärlich erschien es ihnen dagegen, daß man ihr neues Lieschen in so hohem Grade gequält habe, bis es endlich davongelaufen sei. Sie schoben aber Alles auf schlechte Menschen, deren es in der ganzen Welt gäbe, von denen auch wohl der gute Herr Seim hintergangen worden sei und in Folge dessen mit mehr Härte und Strenge gegen manche Kinder verfahre. Den Herrn Seim bedauerten sie fast eben so sehr, wie das arme, halb erstarrte Kind, und Reichart vermaß sich hoch und theuer, daß er dem braven Vorsteher reinen Wein einschänken und ihm die Augen öffnen wolle, damit dergleichen nicht wieder geschehe.

      »Worauf er seine Leute schicken wird, um uns das Kind wieder fortnehmen und härter als Jemals bestrafen zu lassen,« unterbrach Marie ihren in Eifer gerathenen Bruder; denn indem sie sich Lieschens aufrichtigen Blick vergegenwärtigte, begannen leise Zweifel an der Gerechtigkeitsliebe des Herrn Seim in ihr aufzusteigen.

      »Um Gottes willen nicht!« versetzte die Bäuerin erschreckt. »Unser neues Lieschen gebe ich nicht heraus, und käme das ganze Waisenhaus, um es von mir zurückzufordern! Nein, nein, das Kind hat genug erduldet, es bleibt bei uns, und den möchte ich sehen, der es in unserem Hause anzurühren wagte! Das arme, liebe Herz, wie es sich an mich schmiegte und mich Mutter nannte, und dabei zu denken, daß Jemand es schlagen und einsperren könnte!«

      Reichart rieb sich verlegen die Stirne, offenbar sann er vergeblich über einen Ausweg nach. Er wollte das Kind für sein Leben gern behalten, aber auch gegen die gesetzliche Ordnung verstoßen wollte er nicht, und ein dunkles Gefühl sagte ihm, daß er durch eine Verheimlichung vielleicht gerade zum Nachtheil seines Schützlings handle.

      »Ich denke, wir behalten das Kind wenigstens vorläufig bei uns,« nahm Marie jetzt wieder das Wort, »vielleicht so lange, bis nach ihm gefragt wird, und dann ist ja noch immer Zeit, weitere Schritte zu seinem Besten zu thun.«

      »Aber der Ortsschulze,« warf Reichart zweifelnd ein, »er wird das Mädchen sehen und fragen, woher es stamme; was soll ich dann wohl antworten? Sage ich ihm die Wahrheit, so ist sein Erstes, daß er selbst die Kunde von der Rettung des kleinen Flüchtlings nach dem Waisenhause trägt.«

      »So gieb vor, es sei eine Verwandte, vielleicht die Tochter unseres mit Kindern so reich gesegneten Vetters, die Du nach dem Verluste des eigenen Kindes an Kindesstatt angenommen habest,« versetzte Marie zögernd; denn ihr strenger Rechtlichkeitssinn kämpfte nur matt gegen die wachsende Theilnahme und Besorgniß für den kleinen fremden Gast. »Gewiß wird Niemand daran denken, Dein Wort zu bezweifeln und Nachforschungen anzustellen, und kommt später der wahre Sachverhalt wirklich zu Tage, so wird man unser Verfahren um unserer Trauer und unserer Liebe willen entschuldigen und nicht mehr auf eine Trennung dringen.«

      »Wenn sie das Kind aber selbst fragen?« erwiderte Reichart, dessen Bedenken durch der Schwester Rathschläge bereits zum größten Theil beschwichtigt waren. »Und alt und verständig genug scheint es zu sein, um über sein Herkommen Aufschluß geben zu können.«

      »Ja, das ist das Einzige, was mir Zweifel und Besorgniß einflößt,« entgegnete Marie sinnend, während die Augen der beiden Gatten gespannt an ihren Lippen hafteten. »Es scheint mir sündhaft, das arme Kind zu einer Lüge zu verleiten, und dennoch sehe ich keinen andern Ausweg, auf welchem wir es vor einem traurigen Loose zu bewahren vermöchten; und das liegt doch wohl auf der Hand, daß bei seiner Rückkehr in die Anstalt gewiß nicht die freundlichste Behandlung seiner harren würde.«

      »Gewiß nicht, nein, gewiß nicht,« fiel die Bäuerin jetzt mit Wärme ein, »sie würden das arme Kind hinter dem Rücken des Herrn Seim zu Tode peinigen; nein, das Kind bleibt bei mir, und sollte ich deshalb hundert Lügen sagen! Ich werde das arme Herzchen schon vorbereiten und ihm seine Antworten in den Mund legen, ich werde ihm sagen, wie schändlich es sei, zu lügen, und daß es hier nur geschehe, um uns Verdruß zu ersparen. O, in diesem Falle ist eine Nothlüge keine Sünde, nein, gewiß nicht, viel eher eine gute, christliche Handlung!« So sprechend, erhob sie sich mit hastiger Bewegung, und auf den Zehen nach dem Bette hinschleichend, suchte sie einen Blick auf ihr neues Lieschen zu erhaschen.

      Sie betrachtete das sanft schlummernde Kind eine Weile mit tiefer Wehmuth; gewiß stellte sie in Gedanken Vergleiche an, denn ihre Hände rangen sich krampfhaft in einander und heiße Thränen sanken in Fülle auf dieselben nieder.

      Marie hatte ihre Arbeit beendigt und vor sich auf den Tisch gelegt; auch in ihren schönen, wohlwollenden Augen glänzten Thränen, indem sie abwechselnd das fertige Sterbekleidchen und ihren Bruder betrachtete, dessen Blicke wieder starr auf die zierlich ausgezackte Leinwand gerichtet waren.

      Da schlug die Uhr die zwölfte Stunde. Eintönig hallten die halb schnarrenden, halb klingenden Schläge durch das Gemach.

      »Sie hätten Beide neben einander Platz gehabt!« seufzte die Frau, indem sie an den Tisch zurückkehrte.

      »Tröste Dich, Mutter,« versetzte Reichart, sich mit Macht emporraffend, »eine Tochter hat uns der liebe Gott genommen, eine andere hat er uns gegeben; mag kommen, was da wolle, sie soll so gut unser Kind sein, als ob es unser leibliches wäre. Und wenn es gut einschlägt, und uns liebt, soll es auch unsern Namen führen und uns beerben, damit wir wenigstens wissen, für wen wir schaffen und arbeiten.«

      Marie sah mit innigem Wohlgefallen auf die biederen Leute hin, wie sie durch einen warmen Händedruck über des schlafenden Kindes Zukunft entschieden.

      Sie blickte auf dieselben, wie wohl eine Mutter sich über die hervortretenden guten Eigenschaften ihrer Kleinen freut. In ihren schönen Augen sprach sich deutlich ihre geistige Ueberlegenheit aus, in den wohlwollenden Zügen dagegen ihre unendliche Herzensgüte und wie durch herben Kummer ihre höhere Ausbildung veredelt worden sei und sie dieselbe nur als Mittel betrachte, um so nachdrücklicher für das Wohl nicht nur der ihr nahe stehenden Personen, sondern für alle Mitmenschen wirken zu können.

      »Aber gehe jetzt schlafen,« wendete Reichart sich endlich an seine Schwester, »morgen ist auch noch ein Tag, und zwar ein recht schwerer für uns, und Du mußt sehr müde sein. Meine Frau wird sich auf den Rand des Bettes zu Lieschen legen und über das liebe Kind wachen; ich selbst bedarf weiter nichts zur Ruhe, als den Lehnstuhl beim Ofen.«

      »Gute Nacht denn,« sagte Marie freundlich, den beiden Gatten die Hand reichend; denn obgleich sie fühlte, daß der Schlaf ihr noch lange fern bleiben würde, hoffte sie doch in ihrer liebevollen Fürsorge für Andere, daß nach ihrer Entfernung wenigstens ihre Schwägerin, von Erschöpfung übermannt, im Schlummer einige Stunden Vergessenheit für ihren Kummer finden würde.

      Nachdem sie ein Nachtlämpchen angezündet, begab sie sich noch einmal an das Himmelbett. Wohl eine Minute lang betrachtete sie das ruhig und sanft schlummernde Kind mit tiefem Nachdenken.

      »Lieber Engel,« flüsterte sie leise, fast unbewußt, »wie Du mich an Jemanden erinnerst, doch weiß ich nicht, an wen!?«

      Da lächelte das Kind im Traume; auch über Mariens gutes Antlitz flog ein heller, freundlicher Schimmer bei dem holden Anblicke. »Schlafe wohl!« sagte sie noch einmal lauter, und geräuschlos schlich sie in ihre Kammer zu dem todten Lieschen.

      Nach Mariens Entfernung, blieben die beiden СКАЧАТЬ