Der Meerkönig. Balduin Möllhausen
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Читать онлайн книгу Der Meerkönig - Balduin Möllhausen страница 6

Название: Der Meerkönig

Автор: Balduin Möllhausen

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783754176504

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      Es war ein Wehmuth erzeugender Anblick selbst für denjenigen, der nicht in näherer Beziehung zu dem todten Kinde stand; um wie viel schmerzlicher mußte er daher für diejenigen sein, die einst mit freudiger Bewegung den herzigen, von den erkalteten Lippen fließenden Schmeichelworten gelauscht und aus den geschlossenen Augen eine ganze Welt voll kindlicher Anhänglichkeit herausgelesen hatten!

      Auch die junge Bäuerin, die vor dem Bettchen stand, gehörte zu diesen, denn auf ihrem kummervollen Antlitze war deutlich ausgeprägt, daß ihr Schmerz kaum von dem der Mutter übertroffen werden konnte.

      Lange verharrte sie regungslos in ihrer sinnenden Stellung; die Blicke hatte sie auf das blasse Gesichtchen gerichtet, und Thräne auf Thräne stahl sich aus den niedergeschlagenen Augen.

      Sie schluchzte nicht, aber wer sie beobachtet hatte, wie sie so still vor sich hin weinte, der wäre leicht zu der Ueberzeugung gelangt, daß der Seelenschmerz ihrem Gemüthe schon längst ein vertrauter Freund geworden, sie schon gelernt habe, den schwersten Kummer mit Ergebung zu tragen.

      »Armes Lieschen,« sagte sie nach einer Weile, indem sie die blonden Haare sanft von den fast durchsichtigen Schläfen der kleinen Leiche strich, »armes, liebes Lieschen, warum kann ich nicht an Deiner Stelle hier liegen! Und doch ist es vielleicht besser so; wer weiß, ob das Leben Dir nicht ebenfalls unverdienter Weise verbittert worden wäre! Darum schlafe wohl, Du süßer Engel, und erwarte mich dort oben, wohin auch ich hoffentlich bald gerufen werde!«

      Dann sich niederneigend, drückte sie einen Kuß auf die bleichen Lippen, worauf sie das Laken wieder vorsichtig über ihren todten Liebling deckte.

      Marie wandte sich, um zu gehen; da fielen ihre Blicke auf einen schmalen Zeugstreifen, der über ihrem eigenen Bette vorhangartig angebracht worden war und offenbar ein eingerahmtes Bild verbarg.

      Zögernd streckte sie die Hand nach dem Vorhange aus, und zögernd hob sie ihn empor. Ein Rähmchen von erblindeten Goldleisten wurde sichtbar, und in diesem, auf weißem Papier und geschützt durch eine Glasscheibe, die einfache, äugenscheinlich aber mit kunstfertiger Hand ausgeschnittene schwarze Silhouette eines Mannes. Ein Ring von gemalten Vergißmeinnicht umgab die Silhouette selbst, wogegen von dem das Bild tragenden Nagel ein Kranz von vergilbtem Buchsbaum niederhing.

      Etwa eine Minute betrachtete sie das Portrait sinnend; ihre Augen wurden dabei trocken und über ihr schönes Antlitz breitete sich der sprechende Ausdruck bitterer Entsagung.

      Da drang das Geräusch eines sich schnell nähernden Wagens zu ihr herein. Obschon sie längst auf dasselbe vorbereitet sein mußte, erschrak sie doch; tief aufseufzend, ließ sie den Vorhang niedersinken, schnell fuhr sie mit dem Zipfel ihrer Schürze noch einmal über ihre Augen, und dann die Lampe wieder mit der Hand beschattend, eilte sie nach der Küche hinaus, die zugleich die Flur des Hauses bildete.

      Sie hatte die Hausthür noch nicht geöffnet, da war der Wagen schon vorgefahren, und gleichzeitig tönte ihr Reichart's ängstliche Stimme entgegen.

      »Marie, um Gottes willen,« rief er dringend aus, indem er den Deckel von dem Sarge hob, »laß Alles stehen und liegen und komm hierher!«

      Die Angeredete erschrak heftig; sie glaubte, ein Unglück habe ihren Bruder oder dessen Gattin betroffen. Als aber auch die Schwägerin ihr zurief, daß es sich um ein Menschenleben handle, faßte sie sich schnell wieder, und unbekümmert um den Schnee, der gerade vor dem Hause zu einer langen Bank zusammengeweht worden war, eilte sie rasch nach der Stelle, wohin ihr Bruder sie gerufen hatte.

      »Was ist vorgefallen?« fragte sie, noch immer bebend von den Nachwirkungen des ersten Schreckens.

      »Nichts ist vorgefallen,« entgegnete Reichart, das in den Mantel gehüllte Kind aus dem Sarge hebend und seiner Schwester darreichend, »aber ein Kind haben wir gefunden, ein halb erfrorenes Kind, und das muß gerettet werden!«

      »Ein Kind?« wiederholte Marie mit unbeschreiblichem Bedauern im Ton ihrer Stimme; weiter sagte sie nichts, aber schnell und mit sicheren Händen ergriff sie die Last, die ihr Bruder ihr über den Leiterbaum sanft in die Arme gleiten ließ, worauf sie hastig in das Haus zurück und durch die Küche in das dunkle Wohngemach eilte.

      Ihre Schwägerin, nachdem sie die Zügel, die sie so lange gehalten hatte, ihrem Gatten wieder übergeben, folgte ihr mit der Lampe auf dem Fuße nach, und während diese einen kurzen Bericht erstattete, wo und wie sie zu dem verunglücken Kinde gekommen seien, begannen Beide, den kleinen, halb erstarrten Gast seiner rauhen Umhüllung zu entledigen und demnächst zu entkleiden.

      »Ach Gott im Himmel, das Kind stirbt uns unter den Händen!« rief plötzlich die Bauersfrau entsetzt aus, als sie gewahrte, daß die Glieder ihres bewußtlosen Schützlings hochroth gefärbt und stellenweise blutrünstig waren, und ebenso das kleine, hagere, von verwirrten schwarzen Locken umflossene Gesicht von dem unter der zarten Haut fieberhaft wallenden Blute entstellt wurde.

      »Nein, es stirbt hoffentlich nicht,« entgegnete Marie entschieden, indem sie mit einem warmen Tuche die von dem geschmolzenen Schnee zurückgebliebene Feuchtigkeit behutsam von der wunden Haut forttrocknete; »die Röthe ist ein Zeichen des zurückkehrenden Lebens. Daß von den heftigen Reibungen einige Spuren geblieben sind, schadet durchaus nicht, im Gegentheil, es hätte mit dem armen Wesen kein verständigeres Verfahren eingeschlagen werden können.«

      Frau Reichart schwieg. Das Urtheil ihrer Schwägerin, die sie als weit über sich stehend zu betrachten gewohnt war, hatte sie beruhigt, und aufmerksam harrte sie darauf, daß dieselbe ihr weitere Belehrungen und Verhaltungsregeln ertheilen würde. Diese aber, von einem ihrem ganzen Aeußern entsprechenden, unbegrenzten Wohlwollen beseelt, verlangte keinen Beistand mehr, und mit der Besorgniß und Zärtlichkeit einer angstvoll hoffenden Mutter pflegte sie den auf ihrem Schooße ruhenden schmächtigen und zugleich schlaffen Körper, hier behutsam seine Lage erleichternd, dort spähend und forschend nach weiteren ermuthigenden Zeichen.

      »Das Herz klopft, der Athem bewegt die Lippen,« sagte sie endlich leise, »aber es muß liegen, und zwar nicht zu nahe am warmen Ofen; geh' und schlage die Kissen Deines Bettes zurück ...«

      »Soll ich die Kissen vorher wärmen?« unterbrach Frau Reichart sie.

      »Um Gottes willen nicht!« ordnete Marie an. »Es ist jetzt geschehen, was irgend geschehen konnte, das Uebrige müssen wir dem lieben Gott und der Natur der armen Kleinen überlassen.«

      Die Frau, welche den Schmerz um ihr eigenes Kind plötzlich vergessen zu haben schien, war unterdessen hastig nach dem Himmelbette geeilt; nachdem sie die schweren Pfühle zurückgeschlagen und das Laken noch einmal glatt gestrichen hatte, brachte sie die nothwendige Wäsche von ihrem verstorbenen Lieschen herbei, um das fremde Mädchen, dem sie gerade paßte, damit zu bekleiden. Behutsam, als ob von ihren Bewegungen wirklich das Leben abgehangen habe, trugen sie es sodann nach dem Bette hin, und es gerade in die Mitte desselben legend, deckten sie es mit einem leichteren Pfühle zu.

      Schweigend blieben die beiden Frauen noch eine Weile vor dem Bette stehen. Der Anblick des geretteten Kindes, dessen Betäubung immer mehr den Charakter eines kräftigenden Schlummers annahm, erfreute und beglückte sie, während auf der andern Seite in erhöhtem Grade die Erinnerung an das todte Lieschen wachgerufen wurde, welches so oft, so unzählige Male, und namentlich noch in seiner letzten Krankheit auf derselben Stelle gelegen hatte.

      »Lieschen, mein einziges Kind!« stöhnte die unglückliche Mutter, indem sie zurücktrat, offenbar in der Absicht, sich zu ihrem todten Kinde zu begeben.

      Bevor sie aber die Kammerthür erreicht hatte, befand Marie sich an ihrer Seite.

      »Schwägerin,« СКАЧАТЬ