Название: Die Jägerin - In Alle Ewigkeit
Автор: Nadja Losbohm
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Die Jägerin
isbn: 9783742769404
isbn:
In den folgenden Tagen behielt ich Michael genau im Blick. Es wurde zu einer regelrechten Obsession. Stand ich in der Küche mit dem Rücken zu ihm, nutzte ich einen Löffel als Spiegel, um über die Schulter zu blicken und herauszufinden, ob er hinter mir vor Kummer das Gesicht verzog. Ich lauschte an der Badezimmertür, ob von drinnen Geräusche von jemand drangen, der weinte. Ich rief sogar Grady an, der Teil des Aufräumkommandos in Zeiten der Krallen- und Pockenmonster gewesen war, um zu fragen, ob er mir Überwachungskameras versteckt in Broschen, Haarnadeln oder Knöpfen a là James Bond besorgen konnte. Immerhin hatte er schon einmal weiß Gott woher einen Haufen der feinsten Waffen beschafft. Ich wollte doch nur herausfinden, ob Michael heimliche Nervenzusammenbrüche erlitt, wenn ich nicht anwesend war, oder ob er die Wohnung verließ, ohne mich in Kenntnis zu setzen. Zu meinem Bedauern lehnte Grady es ab, mir zu helfen. Ich wollte ihm nicht die wahren Gründe nennen und andere stichhaltige hatte ich auch nicht. Als ich sagte, es sei privat, lachte er und unterstellte mir, ich könne nicht genug von meinem Herzallerliebsten bekommen. Gut, das stimmte schon, aber in diesem Fall lagen die Dinge etwas anders. Der Blick auf das Handy wurde in dieser Zeit zu einem Zwang, der mich besonders bei der Jagd behinderte. Ich konnte mich nur schwerlich auf mein Handwerk konzentrieren. Mir unterliefen gravierende Schnitzer, die mich fast den Kopf kosteten. Nicht nur wenn ich in der Nacht auf Patrouille ging, machte ich mir Sorgen, dass Michael wieder ohne mein Wissen loszog und der Vergangenheit hinterherjagte. Auch wenn ich zuhause war, in der Morgendämmerung neben ihm lag, kreisten meine Gedanken unaufhörlich um dieses Thema, und ich wurde vom Schlaf abgehalten. Meine Augen waren zwar geschlossen, aber meine Ohren gespitzt, ob sie das unverkennbare Rascheln der Bettdecke hörten, das verriet, dass Michael aufstand, oder ob die Wohnungstür ging, weil er sich davonschlich. Mein Kopf wollte, konnte nicht schlafen. Mein Körper aber schrie nach Ruhe und – gewann. Wenn ich dann Stunden später aufwachte, das Bett neben mir leer vorfand, sprang ich panisch auf und raste durch die Wohnung wie eine Verrückte und suchte nach Michael. Fand ich ihn zusammen mit unserer Tochter oder auch einen Zettel mit einer Nachricht, sie wären hierhin oder dorthin gegangen, atmete ich erleichtert auf. Hätte mir vorher jemand gesagt, dass das Zusammenleben in der Nullachtfünfzehn-Welt so sein würde, ich hätte dankend abgelehnt. Bei anderen Paaren hatte es immer so einfach ausgesehen. Mir fielen Aidan und Lainey ein, bei denen wir einige Zeit verbracht hatten. Sie waren ein Traumpaar und schienen ihr Leben mit Leichtigkeit zu führen, selbst mit einem so besonderen Kind wie ihrer Tochter Mailin. Entsprach der äußere Anschein der Wirklichkeit oder war es nur Fassade so wie Michaels Lächeln bei den Gottesdiensten? Bei all der Grübelei, der ständigen Unsicherheit, ob Michael Rosalie abermals unbeaufsichtigt zurückließ, war es geradezu eine Erleichterung, als etwa eineinhalb Wochen später Alex‘ Name auf dem Display aufleuchtete, während ich durch eine dunkle Gasse schlich.
6. Kapitel
„Der Hase hat den Bau verlassen“, sagte Alex.
„Hä?“
„Der Fuchs liegt auf der Lauer.“
„Ich verstehe kein Wort.“
Ein Seufzen drang aus dem Handy. „Michael steht vor der St. Mary’s Kirche und schmachtet ihre Überreste an.“ Warum denn nicht gleich so? „Jeder andere hätte den Code geknackt. Wieso du nicht?“, beschwerte sich mein Bruder.
„Ich hab’s nicht so mit Tieren.“
„Du liebes Lieschen! Dafür muss man doch kein Veterinär -“
„Klappe!“, fuhr ich ihn an. „Ich muss mich beeilen.“ Ich nahm das Telefon vom Ohr und würgte Alex ab. Jetzt wurde es aber allerhöchste Eisenbahn. Wenn ich noch länger trödelte, würde ich Michael womöglich verpass-
„Was haben wir denn da? Ein einsames Mädchen im finsteren Wald?“ Ich blieb abrupt stehen und verdrehte die Augen. Für heute hatte ich wirklich genug von Fabeln aus dem Reich der Tier- und Pflanzenwelt! Vorsichtig glitt meine Hand unter den Mantel, und ich umschloss die Pistole. Ich setzte ein Lächeln auf und wandte mich zu dem um, der mit der melodiösen Stimme gesprochen hatte. „Hast du keine Angst so spät allein hier draußen, Mädchen?“, fragte mich mein Gegenüber. Seine dunkle Gestalt schälte sich aus den Schatten heraus. Die bleiche Haut leuchtete in der Nacht ebenso wie die blutroten Augen. Das Gesicht verzog sich zu einem Grinsen, bei dem der Vampir mir seine Fangzähne zeigte.
„Jungchen, du weißt wohl nicht, wer ich bin“, antwortete ich.
Der Blutsauger zuckte mit den Achseln. „Bin neu hier“, erklärte er kurz und bündig und setzte zum Sprung an.
Peng! Das Silber zerfetzte sein Herz.
„Herzlich Willkommen.“ Ich verstaute die Pistole, und obwohl es mich in den Beinen juckte loszurennen, nahm ich mir die Zeit, das Holzkreuz auf seine Brust zu legen und darauf zu warten, dass der Vampir in seine Einzelteile zerfiel. Selbst die teuren Klamotten sammelte ich auf. Es tat mir schon ein bisschen leid um sie. Immerhin prangten auf ihnen weltbekannte Namen der großen Modedesigner. Aber Luxushemd hin oder her – ich musste fertig werden. Also warf ich sie in den nächsten Müllcontainer und rannte los. Hoffentlich kam ich nicht zu spät.
Bereits aus der Ferne konnte ich die große, schlanke Gestalt erkennen, die gegen einen der Kastanienbäume lehnte, die in der Mitte der Allee vor der St. Mary’s Kirche standen. Es war seltsam, wieder hier zu sein. Jede Menge Erinnerungen kamen in mir hoch. Bilder von den Kämpfen, die ich in dieser Straße gefochten hatte, tauchten vor meinen Augen auf, und ich rechnete damit, dass jeden Moment ein Krallen- oder Pockenmonster aus dem Gebüsch sprang, um mich zu überfallen. Natürlich war das nicht möglich. Die Wiege des Bösen, aus der sie jede Nacht geschlüpft waren, existierte nicht mehr. Trotzdem fühlte es sich befremdlich an. Jahrelang war die St. Mary’s Kirche mein Zuhause gewesen; in ihr hatte mein neues Leben begonnen, und dort hatte es auch geendet – irgendwie. Ich gehörte hier nicht mehr her. Ebenso wenig wie Michael.
Auf leisen Sohlen schlich ich mich näher heran. Ein Auto fuhr die Straße entlang. Seine Scheinwerfer erhellten die Gegend, streiften über Michael. Wie sehnsüchtig er die Ruine betrachtete. Er vermisste sie wirklich. Vielleicht nicht nur das Gebäude, das sein Überleben gesichert hatte. Vermutlich vermisste er auch das Leben darin. Ein Teil von mir und auch von ihm hatte immer gedacht, es sei sein Gefängnis gewesen. Es endlich verlassen zu können, normal, was auch immer normal in unserer verqueren Welt hieß, leben zu können – war das nicht ein Traum, der schließlich in Erfüllung gegangen war? Nach seinem Verhalten und Gesichtsausdruck zu urteilen, war es vielmehr ein Alptraum für ihn. Ich schwankte zwischen Wut und Mitleid. Ich wollte ihn anschreien, ihm eine Szene machen, wie er es wagen konnte, sich hinauszuschleichen, ohne ein Sterbenswörtchen zu sagen, und unsere Tochter im Stich zu lassen. Und andererseits wollte ich ihn in den Arm nehmen, ihm sagen, dass es mir das Herz zerriss, ihn so zu sehen. Für eines von beiden musste ich mich entscheiden, denn stehen zu bleiben oder gar wegzugehen war keine Option.
„Michael!“
Er fuhr merklich zusammen. Obwohl die Nacht Schatten auf sein Gesicht legte, wusste ich, dass er mich mit weit aufgerissenen Augen ansah. Das Weiß seiner Augäpfel leuchtete in der Dunkelheit auf wie zwei übergroße Knallerbsen an einem hochgewachsenen Strauch.
„Ada“, er schluckte hörbar, „was machst du hier?“
„Dasselbe könnte ich dich fragen“, erwiderte ich und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Ich -“, begann er, aber ihm fiel keine Ausrede ein, mit der er sich aus der Situation herauswinden СКАЧАТЬ