Beziehungen. Galina Hendus
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Название: Beziehungen

Автор: Galina Hendus

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783742703521

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СКАЧАТЬ dieser Stelle nahm ich vorsichtig und unauffällig mein Stück Käse aus der Tasche. Die Serviette war feucht und hing leicht gelblich am Käse. Ein unangenehmer Geruch verbreitete sich in der Kapelle, vermischte sich aber, zum Glück, mit dem Weihrauch. In meiner nahen Umgebung jedoch war der Weihrauch gegen die Ausdünstung des Münsterkäses machtlos. Um das unchristliche Relikt loszuwerden, nahm ich die Hand meines Nachbarn und legte ihm das stark riechende Käsestück auf die geöffnete Handfläche. Dabei flüsterte ich ihm zu: „Weitergeben.“

      Mein sommersprossiger, rothaariger Mitschüler schaute mich ungläubig an und schob den unappetitlichen Käse mit zwei Fingern seinem Nachbarn zur Linken zu. Dabei flüsterte er: „Weiterreichen! Das Stück hat den Segen der Jungfrau Maria. Behandele ihn wie eine Reliquie.“ Der Vorgang wiederholte sich, von Nachbar zu Nachbar, bis das kleine Päckchen zum letzten Platz der dritten Reihe gelangte. Hier saß der Präfekt, Laienbruder Fink. Oh Gott!

      Der durch die Wärme der Kapelle nun noch stärker stinkende Käse übertraf den Weihrauchgeruch jetzt, wie ich empfand, um ein Vielfaches. Er war schlichtweg geruchsdominant. Das einmalige Gemisch erinnerte uns alle an schwerste Blähungen. Diejenigen, die an der Käseweitergabe beteiligt gewesen waren, freuten sich insgeheim über dieses außergewöhnliche Ereignis. Einige der Nichteingeweihten ließ es grübeln, andere belustigte es sehr – ein völlig neues Gefühl in der Internatskapelle. Doch alle rümpften auch ihre empfindlichen Nasen und empfanden die Geruchsbelästigung in unmittelbarer Nähe als wenig angenehm. Auch mir ging es so.

      Nachdem der Käse nun in guten Händen lag, wurde mir bewusst, was ich ausgelöst hatte und was auf mich zukommen würde. Heimlich beobachtete ich den Käsehalter, unseren Laienbruder Fink, wie er sich nun gegenüber seinem ungewollten Geschenk verhielt. Zunächst tat er so, als sei nichts geschehen. Ich bewertete sein Verhalten als taktische Maßnahme. Doch der Käse in der Hand war auf Dauer keine Lösung. Anstatt die Morgenandacht zu verlassen, um das Objekt zu entsorgen, entschied Laienbruder Fink offenbar, aus pädagogischen Gründen zu bleiben. Er wickelte den Käse in sein sauberes, weißes Taschentuch und versteckte ihn in seinem Talar. Im Zuge dieser Aktion blieb unser Präfekt das Zentrum des Münsterkäses – mit unangenehmen Nebenwirkungen.

      Die Morgenandacht neigte sich langsam dem Ende und schloss mit dem Lied „Großer Gott, wir loben dich.“ Diesmal gingen wir ohne unseren Präfekten in die Klasse und unterhielten uns angeregt über die außergewöhnliche Käsewanderung während des Gottesdienstes. Trotz der erheiterten Diskussion war eine gewisse Spannung zu verspüren. Wo war Laienbruder Fink mit dem Käse geblieben? Hatte er ihn entsorgt oder musste er seinem Vorgesetzten über den Vorfall berichten? Was hatten wir zu befürchten?

      Plötzlich öffnete sich die Tür zum Klassenzimmer. Wir sprangen auf und brachten uns in Position. Mit einem gemeinsamen „Guten Morgen, Herr Schollmann, guten Morgen, Herr Fink“ begrüßten wir die beiden Würdenträger. Danach war es still –beängstigend still. Laienbruder Fink nahm den Münsterkäse mit seinem nicht mehr ganz so weißen Taschentuch aus seinem Talar und legte ihn auf das vor ihm stehende Pult. Direktor Schollmann öffnete ein Fenster und fragte danach sofort: „Wer von euch hat im Banne des Käses gestanden? Wer war für den Käse verantwortlich?“ Streng blickte der Direktor in die Runde, mit der Erwartung, dass der Schuldige sich melde. Aber nichts geschah. Nun widerholte er mit noch strengerer Stimme seine Forderung. Wieder keine Resonanz. Jetzt änderte Direktor Schollmann seine Strategie. Er forderte uns auf, uns nebeneinander an der Wand des Klassenzimmers aufzustellen. Laienbruder Fink bat er, die Verfolgung der Käsewanderung an der Tafel mit Kreide aufzuzeichnen.

      Die Rekonstruktion startete bei unserem Präfekten als letztem Träger des Münsterkäses in der Marienkapelle. Von da aus wurde die Wanderung des Käses Platz für Platz nachvollzogen, während Laienbruder Fink sie akribisch auf der Tafel festhielt. Zum Schluss kam Direktor Schollmann zu mir, sah mich an und sagte: „Du bist der Letzte, den ich befrage. Sage uns, von wem hast du den Käse übernommen?“ Da ich meinen Platz am Anfang der ersten Reihe und somit nur einen Nachbarn zur Linken hatte, wurde ihm klar, dass nur ich der Sünder sein konnte.

      Als sich mein ängstliches inneres Zittern langsam legte, fand ich doch noch ein Schlupfloch, das mir vielleicht einen Ausweg aus der bedrückenden Lage verschaffen könnte. „Pater Schollmann, glauben Sie mir, der Käse lag direkt unter meiner Bank. Durch den unangenehmen Geruch fühlte ich ein Würgen im Hals und befürchtete, mich während des Gottesdienstes übergeben zu müssen. Nur deshalb hob ich den zurückgelassenen Käse auf und gab ihn an meinen Nachbarn weiter.“

      Meine Ausrede klag nachvollziehbar. Ich war ein wenig stolz auf meine Antwort und blickte unschuldig in die strengen Augen des Schulleiters.

      Direktor Schollmann wandte sich ohne Kommentar von mir ab und befahl Laienbruder Fink, den Käse vom Pult zu nehmen, um ihn draußen zu entsorgen. Ich durfte das Fenster schließen und die Skizze an der Tafel mit einem feuchten Schwamm abwischen.

      Endlich durften wir Schüler uns setzen und wieder unsere gewohnten Plätze einnehmen. Nachdem er uns zur Ruhe aufgefordert hatte, verkündete Direktor Schollmann sein salomonisches Urteil: „Die Klasse hat zugegeben, aktiv am Käsetransport beteiligt gewesen zu sein. Alle standen somit während des Gottesdienstes im Banne des Käses. Jeder hat sich versündigt und eine Strafe verdient.“

      Er verurteilte nicht nur mich, sondern die gesamte Klasse, die sich des Käsetransports mitschuldig gemacht hatte. In den Augen unserer Vorgesetzten war diese Aktion ein schwerer Verstoß gegen die Regeln des Internats, gegen die guten Sitten der Kirche und eine Untergrabung der Erziehung des verantwortlichen Personals.

      Die Klasse wurde bestraft. Unser höchstes Freizeitgut, unser Fußball, wurde für vier Wochen eingezogen. Auch der geplante Ausflug mit Laienbruder Fink in die nahegelegene Rhön zum Kloster Kreuzberg wurde ersatzlos gestrichen. Auf das Kloster konnten wir noch gut verzichten, nicht aber auf unseren Fußball. Eine viel zu harte Bestrafung – und das nur wegen eines feuchten Käses. Aber obwohl wir eine für uns Kinder so unverhältnismäßige Konsequenz erfuhren, verriet mich keiner meiner Freunde. Jeder wusste, dass ich das Stück verhassten Münsterkäses in die Kapelle gebracht hatte, um einen stillen Protest gegen die strengen Gesetze des katholischen Internats zum Ausdruck zu bringen ...

      Ich saß noch lange vor dem Computer. Nach einigen Überlegungen öffnete ich eine neue Nachricht und begann zu schreiben: „Lieber Karlheinz, vielen Dank für deine Einladung. Ich werde zum Jubiläum kommen und direkt morgen früh ein Hotelzimmer reservieren. Auf ein fröhliches und baldiges Wiedersehen! Dein Helmut.“

      Einen Moment saß ich still da, dann stand ich von meinem Arbeitsplatz auf. Ob auch meine ehemaligen Klassenkameraden sich noch an die Episode mit dem von uns allen so gehassten Münsterkäse erinnerten? Ich würde sie danach fragen. Unbedingt!

      Leyla

      Leyla Ismail war in einer kleinen Stadt im Kaukasusvorland geboren und hielt ihre Heimat für die schönste Gegend der Welt. Seit ihrer Kindheit umgaben sie die melodischen Wellen einer lebendigen Mehrsprachigkeit, die das Wesen ihrer Familie ausmachte. Leyla sprach drei verschiedene Sprachen, was für sie nichts Besonderes war. Die junge Frau liebte ihre Familie von ganzem Herzen, in der sich die Traditionen verschiedener Völker dicht miteinander verflochten hatten und festgewachsen waren.

      Ihre Mutter Tamara war in einer russisch-orthodoxen Familie in Georgien geboren, ihr Vater Ibrahim stammte aus dem muslimischen Kabardinien. Die Eltern ihrer Großmutter mütterlicherseits waren während der Revolution aus Petersburg vor dem kommunistischen Terror geflohen. Oma Irina selbst war damals erst zwölf Jahre alt gewesen. Sie hatte ihre geliebte Stadt ungern verlassen, obwohl sie schon damals verstanden hatte, dass es gefährlich gewesen wäre, dort zu bleiben. So hatte СКАЧАТЬ