Название: Schlussstein
Автор: Peter Gnas
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783741809613
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Nachdem sie die Anrufe erledigt hatte, versuchte er zusammenzufassen: „Mit was haben wir es zu tun? Mit einem Verrückten? Einem Terroranschlag?“
„Terror, würde ich sagen“, antwortete sie.
„Gegen wen oder für wen?“
„Islamisten?“ Sie sah in fragend von der Seite an.
Auf die kam man heutzutage zuerst. Rotberg war Profi genug, um nicht sofort dem nächstliegenden Impuls zu folgen und alle anderen Varianten zu vernachlässigen.
„Wenn es religiöse Fanatiker sind, was wollen die? Wer kann sonst dahinterstecken?“
„Nazis? Linksradikale?“ Sabrina Hamm klopfte die naheliegenden Möglichkeiten ab.
„Falls es Islamisten sein sollten, könnte es mit dem Bundeswehreinsatz in Afghanistan zusammenhängen“, spekulierte er. Wenn es Nazis oder Kommunisten sind, welche aktuellen Themen liegen da in der Luft? Und warum töten die Kinder?“
„Um ihre Entschlossenheit zu unterstreichen.“
„Das haben sie wahrlich getan, wer auch immer dahintersteckt.“
Beide schwiegen einen Moment. Rotberg raste dabei konzentriert durch den abebbenden Berufsverkehr. Sie würden die Klinik jetzt schnell erreichen. Mit dem Martinshorn gewinnt man viel Zeit, falls man sie braucht.
„Es könnte ebenso gut ein Erpresser sein“, spekulierte Sabrina Hamm. „Oder doch ein Verrückter?“
„Verrückt war der Täter auf jeden Fall“, antwortete er. „Und wenn er das nicht ist, ist er kaltblütig. Mehr als alle Kunden, die wir bisher betreuen mussten.“
„Ein Soziopath!“
„Soziopath?“, fragte Rotberg.
„Das sind oft hochintelligente Menschen. Sie haben kein Mitgefühl. Sie wissen, dass andere Leute emphatisch sein können, manchmal ahmen sie dieses Verhalten nach. Sie haben gelernt, dass es gesellschaftlich angebracht ist, solche Regungen zu zeigen. Ein Soziopath ist oft ein knallharter Karriere- und Machtmensch. Sie kennen keine Skrupel. Sie sehen ausschließlich sich und die persönlichen Ziele. Vom sozialen Leben sind sie isoliert, häufig führen sie parallele sexuelle Beziehungen. Übertriebenes Karriereverhalten wird gesellschaftlich nicht geschätzt, ist aber auch nicht verboten, solange man im Rahmen der Gesetze bleibt. Man erkennt sie meistens erst, wenn sie diese Grenze überschreiten. Sie sind nicht therapierbar. Sie vermissen keine Empathie und empfinden sich selbst als völlig normal.“ Sabrina Hamm sah mit leicht zusammengekniffenen Augen nach vorn durch die Windschutzscheibe, so als lese sie dort in einem Lexikon.
„Oha“, sagte Rotberg, „woher hast du denn das?“
„Psychologieseminar“, antwortete sie knapp. „Ich bin bisher aber keinem begegnet. Weder beruflich noch privat.“
„Unabhängig davon, welche Motive hinter der Tat stecken, mit so einem haben wir es doch auf jedem Fall zu tun, was meinst du?“
„Nicht unbedingt“, widersprach sie, „es kann auch ein fanatisierter Täter sein. Mit politischen oder religiösen Motiven. Fanatiker sind, wenn sie nicht allein agieren, meistens Instrumente einer Organisation. Die Soziopathen in diesem Zusammenhang sind dann eher die Auftraggeber.“
„Das ist beeindruckend. Bitte kümmere dich darum, dass wir nachher im großen Gedeck einen Psychologen haben. Bei der Schwere des Falls sollte die Polizeispitze ebenfalls mit am Tisch sitzen“, sagte Rotberg.
„Den Polizeirat?“
„Den“, meinte er, „den Polizeipräsidenten und wenn möglich, den Innensenator. Genau genommen brauchen wir auch das BKA, aber das kann ja in der Zwischenzeit die Polizeileitung organisieren.“
„Da bekomme ich langsam Herzklopfen“, antwortete Sabrina Hamm. Sie legte die Hand auf die Brust.
„Kein Grund zur Nervosität“, beschwichtigte Rotberg sie, „ Politiker sind ebenfalls nur Menschen. Stell’ sie dir einfach im knittrigen Pyjama vor, wie sie nachts zum Pinkeln gehen.“ Er zwinkerte ihr einen flüchtigen verschmitzten Blick zu.
Sie lächelte und begann zu telefonieren. In der Zwischenzeit hatten Sie die Klinik erreicht. Sabrina Hamm telefonierte noch im Fahrstuhl. Auf der Station angekommen, drängte Rotberg – er müsse sofort den zuständigen Stationsarzt sprechen. Eigentlich war er stets freundlich, wenn er etwas erreichen wollte, konnte er seinem Auftreten jedoch den Nachdruck verleihen, der einen Widerspruch nicht zuließ. Die Schwester griff umgehend zum Telefon.
Zwei Minuten später kam ein Arzt mit großen Schritten auf sie zu. Rotberg ersparte ihm Details, ließ aber keinen Zweifel daran, dass er Frau Stein auf jeden Fall unverzüglich befragen musste. Der Doktor wirkte unsicher – er war noch sehr jung.
„Gut“, sagte er, „ich möchte vorher kurz allein zu ihr hinein.“
„Klar“, gab Rotberg knapp zurück, „wir warten vor der Tür.“
Der Arzt ging voran. Er trat ins Krankenzimmer und schloss die Tür. Die beiden Beamten hörten, dass gesprochen wurde. Nach kurzer Zeit ließ er sie hinein. Im Zimmer lag eine weitere Patientin. Rotberg stellte sich der Dame vor und fragte, ob sie mit Frau Stein eine Viertelstunde ungestört reden könnten.
„Natürlich“, antwortete sie, „ich ziehe mir nur etwas über.“
„Vielen Dank.“ Rotberg wartete, bis sie den Raum verlassen hatte. Er rückte zwei Stühle neben das Bett: „Frau Stein, wir kennen uns noch nicht. Mein Name ist Sebastian Rotberg, das ist Sabrina Hamm. Wir sind von der Kriminalpolizei und untersuchen ...“, er überlegte, wie er sich ausdrücken sollte, „wir beleuchten die heutigen Ereignisse an der Kindertagesstätte. Wir haben vorhin bereits mit Ihrem Mitarbeiter, Herrn ...“, er sah hilfesuchend zu Sabrina Hamm.
„... Wenzel“, ergänzte sie.
„... mit Herrn Wenzel gesprochen. Bei dem Gespräch ergaben sich jedoch Aspekte, die einer genaueren Betrachtung bedürfen. Glauben Sie, dass Sie uns dabei unterstützen können? Wir fassen uns so kurz wie möglich.“
Rose Stein errötete vor Anspannung. Sie atmete hastig und legte beide Hände auf die Brust. „Neue Aspekte?“, fragte sie besorgt.
„Machen Sie sich bitte keine Gedanken. Wir brauchen bloß einige Antworten auf drei bis vier Fragen.“ So bestimmt, wie Rotberg eben vor der Schwester und dem Arzt aufgetreten war, so freundlich und einfühlsam war er jetzt ihr gegenüber. „Da wir heute Abend mit unserer Arbeit ein paar Schritte weiterkommen wollen, dachten wir, dass wir sie vielleicht doch noch befragen könnten.“
„Natürlich“, antwortete Frau Stein, „es ist wahrscheinlich wichtig, dass man die Ursache des Unglücks schnell herausfindet.“
„Ich freue mich, dass Sie es so sehen.“ er machte eine Pause. „Herr Wenzel hat uns gesagt, dass die Heizanlage der Tagesstätte vor kurzem gewartet wurde. Ist Ihnen die Firma, die das durchführt, bekannt?“
„Ja, СКАЧАТЬ