Название: Abenteuer Halbmond
Автор: Evadeen Brickwood
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783738092318
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‘Ach, lass sie doch einfach,” mischte sich Paula ein. “Die hat doch’n Knall.’ Paula verstand es hervorragend ihre eigenen ‘Sünden’ auf uns ältere Schwestern abzuschieben und wir mussten dann alles ausbaden.
‘Du musst gerade reden. Du Biest,’ rief ich aufgebracht.
Wir waren jetzt schon zu alt, um uns noch zu raufen, aber ich gab ihr meinen giftigsten Seitenblick.
Ich hatte das Buch dummerweise im Kühlschrank vergessen und es verschwand danach auf Nimmerwiedersehen. Unsere Aufklärung war damit noch lange nicht am Ende. Evelyn hatte schon ein anderes Buch über die Borgia-Päpste im Bücherregal entdeckt und es unter ihrer Matratze versteckt. Verwerflich, aber spannend. Meine Mutter schien nicht zu wissen, welcher Lesestoff da in ihrem Wohnzimmer lauerte. ‘Die gute Ehe’ war ein Kinderbuch dagegen.
Abends rastete unsere Mutter wie erwartet aus. Sie wartete noch nicht mal bis Papa von der Arbeit nach Hause kam. Das konnte ich mir nicht mehr gefallen lassen. Ich schlug zum ersten Mal zurück und es blieb natürlich nicht beim Hausarrest.
Der Kinderarzt konnte nichts Ungewöhnliches finden. “Kopfschmerzen und Magenkrämpfe sagen Sie, Frau Bertrand? Vielleicht sind die Symptome bei ihr ja psychosomatischer Natur. Und das aggressive Verhalten ist ja heutzutage nichts Neues. Gehen Sie mit Isabell zur Elternberatung, da kann man Ihnen vielleicht weiterhelfen.”
“Ja, wenn Sie meinen Herr Doktor,” säuselte meine Mutter. “Sie wissen ja wovon Sie sprechen.”
Wie zu erwarten war, befolgte sie den Rat des charmanten Arztes und ich wurde vorgeladen.
Die Sozialarbeiterin, die sich auf ‘schwierige Jugendliche’ spezialisierte, sah ganz und gar nicht so aus, wie ich mir eine Sozialarbeiterin so vorstellte. Im strengen Kostüm nämlich, mit hochgesteckten Haaren und verkniffenem Mund.
Diese Sozialarbeiterin in ihrem fließenden Kaftan, mit den langen blonden Haaren und klingelnden Armreifen aus Messing, glich eher einer coolen Folksängerin wie Joan Baez. Zuerst musste ich alleine zu ihr ins Büro. Meine Mutter schnüffelte beleidigt, nahm dann aber die Hand meines Vaters und blieb folgsam im schmucklosen Wartezimmer sitzen.
“Isabell,” begann Joan Baez nach einer kurzen Vorstellung. “Versuche dich doch mal daran zu erinnern, wann du zum ersten Mal diesen tiefen Ärger empfunden hast.”
“Weiß ich nicht,” sagte ich verstockt. Warum wollte sie das wissen und wieso sollte ich ihr vertrauen?
“Das weißt du nicht oder du kannst dich daran nicht mehr erinnern?” Sie kritzelte etwas auf mein Formular und betrachtete mich eingehend über dem Rand ihrer riesigen Brille. Die gab ihr das Aussehen einer Eule.
“Ich habe doch gesagt, dass ich es nicht weiß,” erwiderte ich patzig.
“Kein Grund zur Aufregung —” versuchte sie das schwierige Kind fachgerecht zu beruhigen und schrieb noch etwas auf, dass die Armreifen nur so klirrten. Dann rief sie meine Eltern herein.
Die Erwachsenen sprachen über mich, als sei ich nicht anwesend und ich schaltete erst wieder ein, als meine Diagnose bevorstand: beginnende Depression durch ein unbestimmtes Trauma in der frühen Kindheit. Oder so was ähnliches. Joan Baez empfahl einen angesehenen Psychologen, der innovative Hypnotherapie praktizierte. Einen gewissen Dr. Albrecht.
Ein Psychologe! Hatte ich etwa die Probleme meiner Mutter geerbt? War ich drauf und dran so zu werden wie sie? Ich panickte in aller Stille und mein Magen schmerzte.
“Sie sind stehen nicht allein mit diesem Problem, Herr und Frau Bertrand.” Die Sozialarbeiterin sah ermunternd über den Rand ihrer Eulenbrille. Sie sollte sich eine andere Brille zulegen.
“Wir sind hier um Ihnen zu helfen. Ich weiß wie ungewöhnlich sich das anhört – Hypnotherapie. Aber die Zeiten haben sich geändert. Es gibt einfach zu viele rebellische Jugendliche und die alten Methoden greifen nicht mehr. Wir müssen neue Wege finden, dem wachsenden Problem etwas entgegenzusetzen.”
Pah, wachsendes Problem, blah, blah! Brauchte man deswegen gleich einen Seelenklempner? Ich rollte mit den Augen und verkreuzte abwehrend die Arme.
“Oh, ich bin mir nicht so sicher, dass eine dieser neuen und teuren Hippie-Methoden es das richtige ist,” sagte meine Mutter mit einem tiefen Seufzer. “Wir wollen doch nur das beste für unsere Tochter, wissen Sie. Isabell soll doch nur lernen sich richtig anzupassen.”
Heuchlerin! Es war immer so einfach, Außenseitern was vorzuspielen. Mein Vater studierte den bunten Druck von Miló hinter der Frau und sagte nichts.
“Aber sicher, Frau Bertrand, wir verstehen Ihr Problem. Ich versichere Ihnen, Dr. Albrecht hat Erfahrung mit Jugendlichen.” Die Messingreifen klingelten Beifall. “Diese neue Methode ist seriös und hat nichts mit Hippies zu tun. Sie steckt zwar noch im Anfangsstadium, aber die bisherigen Erfolge sind vielversprechend.” Die Sozialarbeiterin schielte ernsthaft. “Zwölf Jugendlichen konnte bisher geholfen werden. Mit ein wenig Glück wird es langfristig in unser Programm aufgenommen.”
Dann war ich ja Nummer 13. Eine Glückszahl, dachte ich aufbegehrend. ‘Hypnose’ hörte sich ausreichend kontrovers an. “Ich würde sehr gern in eine Hypnose-Behandlung gehen,” meldete ich mich zu Wort, um meine Mutter zu reizen. Die Erwachsenen drehten sich erstaunt zu mir um.
“Wirklich? Die Krankenkasse trägt natürlich sämtliche Kosten,” stammelte Joan Baez. Das brachte die Sache unter Dach und Fach. Meine Eltern nickten ihre Zustimmung und die Dinge nahmen ihren Lauf.
“Ja wenn Sie meinen, dass es eine gute Behandlungsmethode ist… Sie kennen sich da ja sicher aus. Wir wollen doch nur das Beste für unsere Isabell.” Oh, wie wütend mich das machte! So ernst hatte es nun auch wieder nicht gemeint.
“Frau Bertrand, ich verspreche Ihnen, Dr. Albrecht wird sich gut um ihre Tochter kümmern.”
Ich begann die Behandlung am Montag nach der Schule. Zunächst sah ich den Psychologen nur feindselig an. Der stand ja auf der Seite meiner Eltern. ‘Wir verstehen Ihr Problem’ hatte die Sozialarbeiterin gesagt. Pah!
Dann überzeugte er mich langsam. Seine Methode war nicht von schlechten Eltern. Ein Erwachsener wollte wissen wie ich mich fühlte! Wir redeten und Dr. Albrecht machte Notizen.
Dann kam die Hypnotherapie. Beim ersten Mal hatte es geradezu ein Erinnerungsfeuerwerk gegeben, was uns beide überraschte. Es dauerte nicht lange bis Dr. Albrecht mich sozusagen eingeschläfert hatte. Ich fand mich sofort als Keinkind wieder.
‘Ich bin drei,’ sagte ich in einem hohen Stimmchen. ‘Mami hat mich in dem kleinen Zimmer bei der Küche eingeschlossen. Ich höre die Haustür zuschlagen.’ Es war mir peinlich, als ich mich später in der Aufnahme selbst hörte.
‘Was sehen Sie? Sie können sich an alles erinnern.’ Dr. Albrechts Stimme war eintönig und beruhigend. Mein unsichtbarer Freund im Hintergrund, während das Kleinkind einen Elefanten aus roter Knete rollte.
‘Evelyn ist im Kindergarten. Mir ist langweilig. In der Schublade ist eine große Schere. Mama braucht sie immer zum Nähen. Ich kann die geblümten Vorhänge damit schöner machen. Mami wird stolz auf mich sein. Die Schere ist schwer, aber ich schaffe es sie zu halten.’
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