Название: Abenteuer Halbmond
Автор: Evadeen Brickwood
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783738092318
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“Ja, vielleicht. Ich muss jetzt gehen,” sagte ich ungeduldig und schlängelte mich aus dem weichen Liegesessel heraus. “Morgen schreiben wir eine wichtige Klausur.”
Dr. Albrecht schob seine Goldbrille zerstreut den Nasenrücken hinauf. Er wollte anscheinend noch etwas sagen. Ich pflanzte mich zappelig auf den Holzstuhl vor dem Schreibtisch und sah ihn erwartungsvoll an.
Kaum jemand wusste von der Therapie und ich spreche eigentlich nie mit meiner Familie darüber. Das war mir zu peinlich. Die Mädchen in meiner Klasse waren viel zu unreif, um sowas wie Hypnose zu verstehen. Die hätten sich bestimmt über mich lustig gemacht. Nur meine beste Freundin Renate wusste davon und war okay damit.
‘Ist das nicht Klasse? Ein richtiger Psychologe,’ hatte ich ihr nach der ersten Sitzung begeistert berichtet.
‘Wozu brauchst du einen Psychologen?’ Sie sprach das Wort aus, als handle es sich um verdorbenes Essen.
“Na, du weißt ja, meine Mutter und der ganze Mist.”
‘Warum geht sie dann nicht zum Psychologen?’
‘Vielleicht weil sie erwachsen ist?’
Vielleicht sollte ich nicht mal mehr Renate von meiner Mutter erzählen. Sie könnte noch denken, ich sei genauso verrückt.
‘Das ist der einzige Grund? Erwachsene haben wohl immer recht, was?‘
‘Was denn sonst?’
‘Wie bekloppt. Ich bin froh, dass meine Mutter einigermaßen Ok ist.’
Ihre Mutter war geschieden und arbeitete halbtags. Renate war ein Schlüsselkind, das von Vollzeit-Müttern gebührlich bedauert wurde.
‘Ja, du hast’s gut.’
‘Trau’ keinem über dreißig,’ hatte Renate mich gewarnt. ‘Du kannst das nicht alles für bare Münze nehmen was der Typ dir verklickert.’
Ich vertraute Dr. Albrecht aber trotzdem.
Renate war dünn und hatte lange dunkel-gefärbte Haare. Einfach Klasse. Das einzige Mädchen in der Klasse, das es wagte sich die Haare zu färben. Ihre dunklen Augen waren fast zu groß für das kleine Katzengesicht und der schmale Mund zeigte oft einen zynischen Zug. Das war eben ihre Art mit einer unfreundlichen Welt umzugehen. Zynisch war gut. Renate war nicht so verbiestert wie andere Mädchen, nur ein wenig spröde eben. Es gab unserer Freundschaft genau die richtige Distanz.
‘Frau Beilstein ist hier,’ knarrte die Sprechanlage auf dem Schreibtisch. Dr. Albrecht drückte auf einen Knopf. “Danke Elisabeth. Eine Minute noch.” Was mir der gute Doktor in dieser ‚Minute‘ sagte, war verblüffend: weil ich ein so gutes Subjekt sei, wolle er die Sitzungen fortsetzen. Inoffiziell. Wie bitte?
“Sie würden sich hervorragend für meine experimentellen Versuche eignen, Isabell. Als Erweiterung meiner Arbeit mit Jugendlichen möchte ich Patienten weiter zurückführen. Vielleicht haben Sie schon mal was von Regression gehört.”
Ich dachte nach. “Nein, was ist das denn?”
Um die Sache zu beschleunigen, erklärte er es mir kurz und bündig. Wir hatten nur eine Minute Zeit! Ich rutschte auf dem Stuhl hin und her.
“Sie meinen – bevor ich geboren wurde?”
“Sozusagen. Ich werde ein Buch darüber schreiben.”
“Sozusagen? Aber das ist doch unmöglich! Wir leben doch nur einmal.”
“Das ist ja genau das, was ich erforschen möchte. Mit Ihrer Hilfe. Es gibt da schon einige dokumentierte Fälle in den Vereinigten Staaten. Dr. Stephenson zum Beispiel. Sie sind zwar noch minderjährig, aber wir könnten ihr Geburtsdatum und den Namen ändern. Nur zu Forschungszwecken.”
Aha, ein Geheimnis! Das nahm ja eine interessante Wendung. Dr. Albrecht hatte wahrscheinlich jedes erdenkliche Buch zu dem Thema gelesen. Er erzählte mir von einer Frau, die sich doch tatsächlich an ein früheres Leben erinnerte. Das konnte ich bestimmt auch.
“Was ist, wenn man in...Timbuktu gelebt hat, spricht man dann auch…”
“Arabisch? Vielleicht. Das heißt Xenoglossie. Wenn man unter Hypnose in einer Fremdsprache spricht, die man nie gelernt hat.”
Xenoglossie - ein ziemlicher Brocken von einem Wort. Dass es so etwas überhaupt gab! “Hmm, weiß nicht so recht. Hört sich ‘n bisschen komisch an. Außerdem muss ich viel auf die Schule lernen,” protestiere ich halbherzig.
“Ich überlasse Ihnen die Entscheidung. Wenn Sie nicht wollen, finde ich schon jemanden. Die Schule geht ja vor. Das ist vollkommen normal.”
Ich hasste das Wort ‘normal’.
“Warum ausgerechnet ich? Haben Sie die anderen Patienten auch gefragt? Ich bin doch erst Nummer 13 auf Ihrer Liste von ‘schwierigen Jugendlichen’.” Das war ironisch gemeint, das mit der 13.
“Ja, ich werde es auch mit anderen Patienten versuchen. Aber Sie eignen sich dazu bisher am besten, denke ich.” Denkt er!
“Klasse, Ihr bestes Versuchskaninchen.”
“Sozusagen.”
“Ich muss mir das erst mal überlegen.”
“Natürlich, nehmen Sie sich Zeit, Isabell. Nur nicht zu lange. Bis nächstes Mal? Elisabeth, Sie können jetzt —”
Das Gespräch hatte natürlich länger als eine Minute gedauert. Eher zehn. Ich war hervorragend geeignet und meine Mutter würde die Motten kriegen, wenn sie davon wüsste. Hah. “Ok, ich hab’s mir überlegt,” sagte ich schnell. “Ich mach’ mit.”
Der Doktor brauchte mich. Nicht als Patientin, sondern als sein bestes Versuchskaninchen. Nicht die anderen. Mich. Die fünfzehnjährige Isabell. Ich würde in seinem Buch vorkommen. Das machte mich irgendwie stolz. Nur unter einem anderen Namen und älter, aber das war ja egal. Durfte sowieso niemand was davon wissen.
Wir vereinbarten noch einen Termin am folgenden Donnerstag um die gleiche Zeit. Dann drängte ich mich an der fleischigen Frau Beilstein vorbei und sauste die breite Treppe hinunter. Unten angelangt öffnete ich flugs das Schloss an meinem Fahrrad und wollte mich schon auf den Sattel schwingen, da musste ich an die gerundete Figur meines anderen Ichs denken.
Ich sah kritisch an mir herab. Von Rundungen und einem wohl entwickelten Busen war an meinem schlanken Körper nicht viel zu sehen. Zwei sanfte Wölbungen wo andere Mädchen in meinem Alter schon ordentlich was drauf hatten. Egal, beschloss ich, wenigstens kann ich Sport machen!
Als ich so auf meinem Fahrrad durch den Nachmittagsverkehr nach Hause strampelte, dachte ich nochmal über alles nach. Ich musste kichern und wäre fast bei Rot über die Ampel gefahren. Eine Straßenbahn klingelte wie wild.
Dr. Albrecht machte sich viel Mühe, die frühen Erinnerungen aus mir herauszulocken. Endlich interessierte sich mal jemand für meine Gefühle. Eine tolle neue Methode, das mit der Hypnose. Dabei hatte ich mich am Anfang total dagegen gesträubt. Die Fahrradreifen knatterten über die Bordsteinkante. СКАЧАТЬ