Название: Abenteuer Halbmond
Автор: Evadeen Brickwood
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783738092318
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Meine Schwester Evelyn war ein Jahr älter als ich und schon fast genauso launisch wie meine Mutter. Paula war drei Jahre jünger und das verzogene Nesthäkchen. Beide hatten im Gegensatz zu mir eine helle, sommersprossige Haut und hellblonde Haare. Genau wie unsere Mutter.
Kein Wunder also, dass ich ‘anders’ war. Ich sah anders aus, war unfügsam und aufmüpfig und hatte mich zum schwarzen Schaf der Familie entpuppt. Ein Teenager, der sich einfach nicht anpassen wollte. Ein Rebell.
Wir Kinder stritten uns meist genau wie unsere Eltern, aber oft handfest und unfair, mit Kinnhaken und Haareziehen. Irgendwann würde ich mein eigenes Haus haben, träumte ich, wenn ich im Schlosspark war. Dort würde es ruhig sein. Friedlich. Streiten verboten. Ich hatte die brillante Idee gehabt aus dieser Kriegszone wegzuziehen. Zu meiner Großmutter, die in einer kleinen Einzimmer-Wohnung zwei Häuser weiter wohnte.
Oma Bertrand war Papas 82-jährige Mutter. Eine ehrwürdige, calvinistische Witwe, die immer in lange schwarze Kleider und graue Schürzen gekleidet war. Oma Bertrand kam uns Kindern fast wie ein Dinosaurier vor, so alt war sie. Ihr dünnes weißes Haar war zu einem streng geflochtenen Knoten hochgenadelt, ihre Haut war verrunzelt und voller Altersflecken, aber ich liebte sie.
Mir machte es nichts aus. Sie mochte mich und meinte oft, wie sehr ich der Familie ihres gefallenen Mannes glich. Wie konnte ich sie da nicht lieben? “Es waren französische Hugenotten, mein Kind. Adelige, denen der Preußenkönig Friedrich Wilhelm II vor Generationen Land in Ostpreußen gegeben hatte. Dann mussten wir alles zurücklassen und vor den Russen flüchten.”
Die Geschichte mit der Flucht über die Danziger Bucht kannte ich schon auswendig. Angeblich waren die Bertrands ziemlich gutaussehende Adelige gewesen. Papa glich ein wenig einem jungen Marlon Brando. Das sagten zumindest alle. Nicht schlecht für mich.
Oma Bertrand lächelte zahnlos und seufzte, wenn sie sich an ihren Mann erinnerte, dem sie zehn Kinder geschenkt hatte. Sie sah dann fast wieder schön aus. In der Wohnung meiner Eltern ging derweil der Krieg für die Bertrands weiter.
“Sie zieht mir auf keinen Fall zu deiner Mutter. Du hast versprochen, sie in meinem Glauben zu erziehen. Außerdem ist Isabell viel zu jung, um auszuziehen,” hörte ich meine Mutter eines Abends aufbrausen, als ich mal wieder im Flur lauschte. Mein Herz sank. Ich durfte nicht zu Oma Bertrand ziehen.
“Na gut, Hannelore, wie du meinst.” Papa hatte offensichtlich keine Lust sich auf ein Streitgespräch einzulassen. “Dann zieht sie eben nicht zu meiner Mutter.”
“Vielleicht hat sie ja einen Gehirntumor.” Ich schnappte nach Luft.
“Hannelore, sie ist in der Pubertät. Da ist es doch normal rebellisch zu sein. Die Schule ist wohl auch anstrengend. Der Stoff wird ja immer schwieriger.” Papa faltete seine Tageszeitung zusammen und legte sie neben den Aschenbecher. Oje, ging jetzt wieder ein Streit los?
“Aber Evelyn und Paula schaffen ihre Schularbeit doch auch, und Magdas Tochter hat keine Probleme mit ihrer Schule. So ein braves Mädchen.”
Magda Pfeiffer arbeitete bei der Post und war ungeheuer langweilig. Außerdem war sie die einzige Freundin meiner Mutter. Wahrscheinlich, weil sie ihr nie widersprach. Papa hielt das auch für das Beste.
“Hast du gesehen, wie zornig Isabell mich heute angeschaut hat?” fuhr sie fort, so richtig schön in Fahrt. “Nach allem was ich für die Kinder tue. Undank ist der Welten Lohn. Sie meinte doch tatsächlich, dass Adam und Eva in der Bibel nur symbolisch gemeint seien. Kannst du das glauben?” zeterte meine Mutter weiter. “Wo sie nur solche Sachen herhat? Vielleicht sollte ich morgen gleich einen Termin beim Arzt machen.”
Ich hatte den Verdacht, dass es dabei weniger um mich ging. Sie hatte eine Schwäche für Ärzte.
“Na gut, wenn du meinst es sei unbedingt notwendig unsere Isabell wieder zu irgendeinem Quacksalber zu schleppen, dann mach’ das. Du hörst ja doch nicht auf mich.” Papa zündete eine Zigarre an. Süßlicher Rauch durchzog den Flur.
“Walter, wie kannst du so etwas sagen? Ich höre zu.”
“Ich habe dir doch gerade gesagt, dass mit ihr nichts verkehrt ist. Nur weil sie eine andere Meinung ist, hat sie noch lange keinen Gehirntumor. Vielleicht solltest du sie einfach in Ruhe lassen, dann gehen die Kopfschmerzen schon wieder weg.”
“Aha, jetzt ist es also wieder meine Schuld. Isabell bringt es immer fertig sich zwischen uns zu drängen. Wir zanken uns schon wieder wegen ihr. Ich arbeite mich schließlich in Grund und Boden für dich und die Kinder. Da darf ich wohl ein wenig Respekt erwarten.”
Meine Mutter fing an zu schluchzen. Es ging auf die gefährliche Grenze zu. Ich musste mich einschalten, sonst würden sie sich wieder stundenlang in die Haare kriegen. Ich platzte ins Zimmer und fing an wie ein Rohrspatz zu schimpfen.
“Könnt ihr euch mal einen Tag nicht streiten? Verdammt, da kann sich ja kein Mensch beim Lernen konzentrieren!”
Die beiden sahen mich verblüfft an.
“Da hörst du’s Walter,” rief meine Mutter. “Sie flucht und schimpft als wäre ich ihre Dienstbotin. Ihr gehört eine ordentliche Tracht Prügel!”
Mein Vater schickte mich mit einer Kinnbewegung aus dem Zimmer und musste sie trösten. Das Schluchzen verstummte. Mein Eingriff hatte gewirkt. Immerhin ging das Gespräch jetzt in normalem Ton weiter.
“Ich bin mir nicht sicher, dass Prügeln da einen Unterschied macht. Um ehrlich zu sein, glaube es macht es alles nur noch schlimmer.”
“Wieso? Mir hat das als Kind doch auch nichts geschadet.”
Mein Vater hüstelte wissend, aber es war sinnlos mit ihr zu diskutieren.
“Ich sehe schon, ich rede doch nur gegen die Wand. Ich brauche jetzt meine Ruhe,” sagte er. Papa nahm seine Pfeife und setzte sich hinten auf den Balkon, um wie so oft die Sterne anzusehen, während meine Mutter in der Küche mit dem Geschirr herumklapperte.
Meine Mutter setzte sich durch, sie war angeblich mit ihren ‘Nerven am Ende’. Ich musste wieder in die Klinik zu einer Untersuchung. Meine Patientenakte war sicher schon am Platzen. Mein schreckliches Benehmen wollte sich trotz der Schläge einfach nicht bessern. Außerdem ich hatte es gewagt, zurückzuschlagen. Das passte Papa wiederum nicht.
Alles nur wegen so einem blöden Buch.
Meine Mutter hatte das Buch ‘Die gute Ehe’, in dem Evelyn ein Kapitel über Sex entdeckt hatte, im Kühlschrank gefunden. Ich hatte es dort schnell versteckt, als sie zur Tür hereinkam. Über Sex wurde bei uns nie geredet und wir mussten uns eben anderweitig informieren.
‘Warum entschuldigst du dich nicht einfach?’ hatte mir Evelyn mal wieder vorgeworfen. ‘Du bist doch blöd, dich immer so stur zu stellen.’
Die hübsche, blonde Evelyn schluckte gewöhnlich ihren Ärger und Schmerz hinunter, was sie dann später an mir ausließ. Am liebsten verhöhnte sie mich vor ihren Freundinnen.
‘Was ist denn schon so schlimmes daran ein Buch zu lesen, das sogar noch ihr gehört?’
‘Darum geht es doch gar nicht. Du warst СКАЧАТЬ