Gegenwindschiff. Jaan Kross
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Читать онлайн книгу Gegenwindschiff - Jaan Kross страница 15

Название: Gegenwindschiff

Автор: Jaan Kross

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783955102630

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СКАЧАТЬ junger Mann, immerhin zwanzig Jahre jünger. Also war es möglich, dass Vater ihm gegenüber eine protektive Haltung entwickelt hatte. Außerdem waren Schmidts kümmerliche Lebensbedingungen augenscheinlich. Aber ebenso augenscheinlich war seine manuelle Begabung. Und zu allem Überfluss musste man seine Behinderung in die Gleichung miteinbeziehen. Für meinen Vater, mit seinem starken und etwas rücksichtslosen Charakter, gab sie Schmidt etwas, so stelle ich es mir vor, zugleich Abstoßendes und Faszinierendes wie ein verkrüppelter Vogel oder dergleichen. Jedenfalls hörte ich an der Stimme meines Vaters – als er Schmidts Darbietung als imposant bezeichnete –, dass er im Hinblick auf ihn ein wenig, nun, ich würde sagen, gerührt war.

      Aber Schmidt selbst blickte sodann auf seine Taschenuhr aus Großvaters Tagen und sagte (ohne es für nötig zu halten, sich bei uns zu entschuldigen), dass er nun leider in Eile sei. Dass er aufgrund irgendeiner Verabredung um acht Uhr zu Hause sein müsse. Vater bedankte sich höflich bei ihm – für die außerordentlich interessante Gelegenheit, einen Blick auf seine Arbeit zu werfen, wie er sagte –, und wir traten gemeinsam auf die Straße. Wir gingen in die gleiche Richtung, er zu sich nach Hause und wir etwas weiter zu unserem Hotel in der gleichen Straße.

      Vater ging vor Schmidt, und ich konnte ihr Gespräch wohl nicht richtig verstehen. Ich meine, dass Vater sich nach ein paar Details zu Schmidts Uranostat erkundigte. Schmidt erklärte etwas, Vater fragte nach, präzisierte seinerseits etwas, Schmidt rief: ›Nein, nein, nein …‹ und im selben Moment standen wir am Tor zu seinem Mietshaus. Schmidt sagte: ›Warten Sie, ich erkläre es Ihnen …‹, blickte sich ratlos um, und sprach:

      ›Nun kommen Sie schon mit hoch!‹

      Wir stiegen die bekannte Treppe nach oben bis zur bekannten Tür. Als Schmidt die Tür aufschloss, und wir in dem nach Naphthalin riechenden Flur standen, ging eine Zimmertür auf, und die bekannte Frau mit den toupierten Haaren trat hervor. Zu Ihrer Freude, Herr Schriftsteller, fand ich in unserem Archiv ihren Namen. Mein Vater hatte vor unserer Visite in Mittweida von Schmidt irgendeinen Brief bekommen. Der zufälligerweise erhalten blieb. Zusammen mit dem Umschlag. Darauf steht c/o Knechtel. Schriftsteller denken ja bisweilen, dass neben all der Fantasterei derlei polizeiliche Details für sie von Bedeutung seien. Also bitte sehr: Frau Knechtel, Wilhelmstraße 6. Frau Knechtel trat hervor, soll heißen, in den Flur und teilte mit, dass Fräulein Johanna nach Herrn Schmidt gesucht habe und versprach, später zurückzukehren. Schmidt fragte:

      ›Sind die Kinder noch nicht gekommen?‹

      Frau Knechtel sagte, nein, noch keine Kinder. Ja, ja, ausgerechnet Kinder. Bei dem eingefleischten Junggesellen Schmidt, bei dem Astro-Optiker Schmidt verkehrten Kinder! Da haben Sie eine fromme Szene, wie sie im Buche steht: Lasset die Kindlein zu mir kommen; denn solcher ist der Sternenhimmel – oder so ähnlich, nicht wahr? Ein wenig modifiziert – Sternenhimmel pro Himmelreich – das ist auch für Sie hinnehmbar, oder? Wie dem auch sei …« Herr Kelter verzeiht mir väterlich meine Kleinlichkeit in der Frage des Himmelreichs sowie meine übermäßige Sympathie für Schmidt, füllt unsere Gläser mit Wermut auf und fährt fort:

      »Nun gut. Wir betraten Schmidts Zimmer. Es war erwartungsgemäß. Recht geräumig, aber natürlich spärlich möbliert. Und das muss ich sagen: Für einen Präzisionsarbeiter unglaublich unordentlich. Und wenn Sie vermuten, dass das Zuhause eines Mannes, dessen Arbeitszimmer nur fünf Minuten entfernt liegt, sich deutlich von selbigem unterscheidet, nicht unbedingt hinsichtlich seiner Ausstattung, sondern seiner Funktion, in dem Sinne, dass das Arbeitszimmer für die Arbeit, das Zuhause aber für Erholung und Gemütlichkeit gedacht ist, dann täuschen Sie sich gehörig. Was Schmidt betrifft jedenfalls. Sein Wohnzimmer war fast genauso sehr ein Arbeitszimmer wie sein Kegelkeller. Nur gab es dort keine Drehbank, keine Apparate und kein Regal mit Poliergläsern. Sondern bloß kahle, mit Entwürfen übersäte Wände, einen Zeichentisch und sogar eine Reihe auseinandergenommener Amateurteleskope und deren Teile, einen Tisch voller verstreuter Stapel aus Büchern, Skizzen, Zeichnungen und Berechnungen, und in der Mitte all dessen einen großen, recht abgewetzten Plüschsessel. Sowie ein von einem Paravent abgeschirmtes Bett.

      Wenn ich mich recht erinnere, hat uns Schmidt zunächst keinen Platz angeboten. Er zog aus irgendeiner Schublade ein weißes Blatt Papier hervor, drückte es mit dem Stumpf seines rechten Arms gegen den Tisch und fertigte mit der linken Hand blitzschnell eine Skizze seines Uranostats an. Dann begann er, meinem Vater die Konstruktion von dessen Rotationsvorrichtung zu erklären. Ich folgte den Ausführungen zwischen den beiden stehend, denn ich wusste durch Vater über die kleinen Sensationen in diesem Bereich Bescheid – aber ein paar Spezialisten hatten geschrieben, dass es sich dabei um ein außergewöhnliches und unglaublich präzises Gerät handeln solle. Das Problem war in etwa folgendes: Ein Teleskop muss während des Beobachtens in Einklang mit dem Sternenhimmel rotieren. Der Himmel rotiert absolut gleichmäßig. Aber es ist verdammt schwer, ein Teleskop mit absolut gleichmäßiger Geschwindigkeit rotieren zu lassen. Das Objekt gerät früher oder später immer aus dem Fokus. Schmidts Uranostat löste das Problem auf lächerlich einfache Weise und erreichte eine praktisch absolute Gleichmäßigkeit hinsichtlich der Rotation des Teleskops.

      ›Und welches Prinzip haben Sie dafür gefunden?‹, fragte Vater.

      ›Ein Wasserreservoir mit Durchlauf‹, sagte Schmidt. ›Wenn der Wasserstand sich verändert, verändert sich die Geschwindigkeit. Wenn der Wasserstand gleich bleibt, bleibt auch die Drehung gleich. Das ist sehr einfach zu bauen.«

      ›Und diese Idee haben Sie tatsächlich‹, Vater hüstelte, ›wie man sich erzählt …‹

      ›Ja‹, sagte Schmidt, ›vom Spülkasten der Toilette.‹

      Schmidt erklärte Vater, wie er mit seinem Apparat die Erdrotation und die daraus resultierende Eigenbewegung eines Objekts bestimmte, aber mir fiel auf, dass Vater ihm nicht mehr mit voller Aufmerksamkeit zuhörte. Dann verstummte Schmidt und Vater dankte ihm nochmals, wie er sagte, für den lehrreichen kleinen Vortrag, und dann fiel Schmidt auf, dass er seinen Gästen gar keinen Platz angeboten hatte. Er zeigte Vater den Sessel und holte hinter dem Paravent einen Hocker hervor, den er mir anbot, ehe ich einen anderen Hocker fand und ihm den ersten überließ. Wir saßen nun am mehr oder weniger leeren Ende des Tischs, und Vater stellte mit der selbstverständlichsten Miene die Flasche Korn auf den Tisch.

      ›Ich habe gesehen, dass das Ihre Marke ist. Könnten wir von Ihrer Wirtin vielleicht ein Tässchen Kaffee bekommen?‹

      Ich erinnere mich: Schmidt war amüsanterweise einen Moment lang verlegen wie ein Kind. Er stammelte, dass die Dienstleistungen seiner Vermieterin nicht Bestandteil seines Mietvertrags seien und er diese bislang nicht beansprucht habe. Jedenfalls stand er widerwillig auf. Er wollte, oder vielmehr wollte er nicht zu ihr gehen, um sie nach Kaffee zu fragen. Aber Vater hielt ihn davon ab, das Zimmer zu verlassen, und sagte stattdessen:

      ›Herr Schmidt, wenn Sie erlauben, kümmere ich mich darum.‹

      Vater ging in den Flur, und wir hörten durch den Türspalt, wie er mit der Wirtin sprach. Etwas, das in solchen Situationen wirkt. Dass er Professor Soundso aus Berlin sei. Dass er bereits am Nachmittag das Vergnügen gehabt habe, mit der Dame zu sprechen. Dass Herr Schmidt ein junger Kollege von ihm sei und ein sehr angesehener Mann. Und er, der Professor, wäre Frau Knechtel zutiefst dankbar, wenn sie Herrn Schmidt und seinen beiden Gästen ein Kännchen ordentlichen, starken Kaffee kochen würde. ›Nein-nein-nein, bitte nehmen Sie!‹ Offenbar hatte er der Dame ein wenig Geld in die Hand gedrückt. Und ob die Dame zusammen mit der Kanne vielleicht drei Tassen und drei Cognacgläser mit in Schmidts Zimmer bringen könne. ›Sie kennen doch Herrn Schmidt, Werteste. Er ist zu bescheiden. Er hat sich nicht getraut, selbst zu fragen.‹«

      »Ich erinnere mich nicht«, fuhr Herr Kelter fort, »worüber die nächste Viertelstunde gesprochen wurde. Dann brachte Frau Knechtel jedenfalls auf einem Tablett die Kaffeekanne herein. Nebenbei СКАЧАТЬ