Gegenwindschiff. Jaan Kross
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Читать онлайн книгу Gegenwindschiff - Jaan Kross страница 17

Название: Gegenwindschiff

Автор: Jaan Kross

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783955102630

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СКАЧАТЬ der Wahrheit. Der andere Teil ist, dass wirklich auch nahezu alle gewöhnlichen Männer gewöhnliche Frauen haben. Wie dem auch sei. Ich erinnere mich nicht mehr, weshalb Johanna vorbeikam. Ich meine, dass sie Schmidt sein Abendessen brachte, irgendeine Kohlsuppe oder dergleichen. Wichtiger ist vielleicht mein Eindruck, wie sich Schmidt ihr gegenüber verhielt. Nein, nein, ganz normal natürlich. Er stellte uns sogar vor. Aber während Johannas halbstündiger Anwesenheit hatte Schmidts Verhalten etwas jungenhaft Ungehaltenes. Er schämte sich vor uns Fremden wie ein Dreikäsehoch über Johannas Erscheinen und gleichzeitig schien er über ihr Kommen eine, wie soll ich sagen, mit Unzufriedenheit vermischte Freude zu spüren. Wobei das Mädchen ihn, so schien mir, mit mütterlichem Stolz behandelte, einem besorgten mütterlichen Stolz. Wie ein schlaues Kind. Das die Mutter natürlich für außergewöhnlich schlau hält. Wie alle Mütter. Johanna trank mit uns eine Tasse Kaffee, doch Schnaps lehnte sie ab. Ja, mir kam es vor, als hätte Schmidt beim Erscheinen der Schulkinder ein wenig vor uns geprahlt, ohne Worte, selbstverständlich. Aber Johanna verunsicherte ihn irgendwie. Während die junge Frau selbst damit prahlte – recht dezent, muss ich sagen, aber dennoch –, wie zu Hause sie sich bei ihrem Schmidt fühlt und überhaupt wie wohl mit ihm. Trotz aller vermeintlicher Feinfühligkeit wirkte das, so erinnere ich mich, ein klein wenig sentimental. Ich weiß nicht, ob Sie mich verstehen. Aber all das war nur ein flüchtiger Eindruck. Den ich im Gespräch mit Ihnen aufgewärmt habe. Dann ging die junge Frau ihres Weges und ich sah sie nie wieder. Und einige Jahre später verschwand sie auch aus Schmidts Leben, soviel ich weiß, als Schmidt zunächst vorübergehend und schließlich dauerhaft nach Hamburg zog. Nun ja. Dann waren wir wieder zu dritt in Schmidts Mittweida-Zimmer und Vater kam ein zweites Mal auf seinen Vorschlag zurück:

      ›Herr Schmidt, ich warte immer noch auf Ihre Antwort.‹

      Die Verzögerungen hatten Schmidt Zeit gegeben, seine Antwort abzuwägen, sodass er augenblicklich die Karten auf den Tisch legte. Nebenbei hatte ich den Eindruck, dass er auch sonst ein wortkarger Mensch war, vielleicht nicht so wortkarg, wie der Mythos es will, aber seine Worte waren wohl formuliert und äußerst schnell ausgesprochen. Er sagte:

      ›Ich stimme unter einer Bedingung zu. Die Firma bezahlt mir zweihundert Mark im Monat …‹

      Vater unterbrach ihn: ›Zweihundertfünfzig.‹ Woraus ich überrascht schlussfolgerte, wie sehr er daran interessiert war, Schmidt für sich zu gewinnen. Schmidt wiederholte:

      ›Zweihundert Mark, aber mit dem Status eines freiwilligen Mitarbeiters. Die Firma stellt keine konkreten Anforderungen an mich.‹

      ›Wie habe ich das zu verstehen?‹, wunderte mein Vater sich. ›Das wäre ja recht ungewöhnlich. Solche freiwilligen Mitarbeiter, wie Sie sagen, gibt es in meiner Firma nicht. Sie bekommen zweihundertfünfzig Mark im Monat und einen Posten als Junioringenieur. Und wenn Sie eingearbeitet sind, die Aussicht auf eine Stelle als Senioringenieur und dreihundert Mark im Monat. Ungeachtet dessen, dass Ihr Ingenieursdiplom lediglich vom Technikum in Mittweida ausgestellt wurde.‹

      ›Nein‹, sagte Schmidt, ›ich werde in keiner Weise Verantwortung für die Produkte von Kelter übernehmen.‹

      ›Warum?! Sind die Produkte von Kelter Ihnen nicht gut genug?!‹, fragte Vater schockiert.

      ›Wollen Sie das wirklich wissen?‹, fragte Schmidt zurück.

      ›Unbedingt will ich das wissen!‹, rief mein Vater, ohne sich provozieren zu lassen.

      Schmidt sagte: ›Nun gut. Wenn es um mechanische Schliffe geht, gehört Kelter zu den besten Firmen. Aber alle Firmen mit ihren Michels und anderen Bänken sind in Hinblick auf Feinschliffe Graupenmühlen. Ich wäre bereit, mit Ihnen Folgendes zu vereinbaren: Ich arbeite weiterhin selbständig. Aber im Laufe eines Jahres würde ich mir von Ihren Aufträgen ein bis zwei angemessene Dinge aussuchen und erledigen. Unter dem Markennamen Bernhard Schmidt bei Kelter. Und dafür bezahlen Sie mir zweihundert Mark im Monat.‹

      Vater schrie auf: ›Das heißt ohne jegliche Verpflichtungen Ihrerseits und ohne Kontrolle seitens der Firma?!‹

      Schmidt sagte: ›Mit dem nötigen Vertrauen beider Seiten.‹

      Mein Vater schwieg und verkniff sich, Schmidt zur Hölle zu schicken und lachte:

      ›Herr Schmidt – normale Verpflichtungen, Disziplin, ein Arbeitstag mit acht Stunden. Als Markenname Kelter. Aber der Titel Chefkonstrukteur und vierhundert Mark im Monat.‹

      Ich sah, wie Vater mit der Zunge winzige Schweißtropfen vom Rand seiner Oberlippe leckte und Schmidt mit verengten Augen ansah.

      Schmidt schüttelte den Kopf. Und wissen Sie, mir scheint, dass dieser Flegel die Situation genoss. Als ich vor unserer Fahrt auf Geheiß meines Vaters ein paar Informationen über Schmidt sammelte, erzählte man mir, dass er vor dem Krieg sonntags hin und wieder nach Dresden gefahren sei, um auf Pferde zu wetten. Vor dem Krieg hatte er manchmal Geld übrig. Kurz gesagt musste er tief in sich eine Spielernatur sein. Und da kam es mir augenblicklich vor, als zuckte in seinem kleinen roten Schnauzer eine Art wilde Spielfreude auf. Umso mehr stieg mein Vater auf das Spiel ein:

      ›Fünfhundert Mark im Monat!‹

      Schmidt schüttelte den Kopf. Ich trat meinem Vater unter dem Tisch auf den Fuß. Er befreite seinen Fuß und schob meinen davon. Vielleicht hatte ich geahnt, dass in ihm die Möglichkeiten zu derartigen elementaren Impulsen, sich selbst zur Geltung zu verhelfen, stecken, aber nie zuvor hatte ich so etwas erlebt. Vater rief:

      ›Verdammt nochmal – was denken Sie eigentlich, wie viel Sie wert sind?‹ Und als ich versuchte, ihn am Ärmel zu zupfen, brüllte er mich an: ›Nein! Versuch nicht, mich zu belehren! Ich will ein für alle Mal wissen, was dieser junge Mann (beachten Sie, dass er Schmidt in seiner Wut als jungen Mann bezeichnete) von sich hält. Sechshundert!‹

      Schmidt schüttelte den Kopf. Und Vater rief: ›Neunhundert!‹

      Vielleicht kann der Herr Schriftsteller einen feinen psychologischen Grund finden, weshalb mein Vater zwei Hunderterschritte übersprang, aber nicht bis Tausend ging. Ich war mir sicher, dass Schmidt zum fünften Mal den Kopf schütteln würde. So sicher, dass ich nicht einmal zu ihm sah. Ich betrachtete nur peinlich berührt Vaters rot angelaufenes und verschwitztes Gesicht. Er litt schon damals unter starkem Bluthochdruck. Und dann, stellen Sie sich vor, sagte Schmidt plötzlich ganz ruhig, aber äußerst vorsichtig:

      ›Einverstanden.‹

      Ich dachte mir: Setzt dieser verdammte Flegel in allem Ernst darauf, dass Vater ein preußischer Ehrenmann alter Schule ist, der sein Wort hält? Er konnte davon ausgegangen sein, dass Vater aus einem Anflug von Wahnsinn sein Wort halten würde. Und nicht einmal ich wusste es – vielleicht würde Vater sich daran halten –, und in diesem Fall wäre Schmidt wirklich ein Schurke gewesen. Aber nein. Zu meiner Freude erwies sich mein Vater als etwas flexibler, als ich befürchtet hatte. Wissen Sie, seine Erfahrungen in Amerika haben ihm sehr geholfen. Er blieb nur drei oder vier Sekunden stumm. Dann brach er in Gelächter aus und sagte, mit beinahe gefasster Stimme:

      ›Hören Sie, Schmidt.‹ Er sagte: Hören Sie, Schmidt. Er hatte das Herr vergessen. Daran wurde auf verblüffende Weise deutlich, wie sehr er sich darüber ärgerte, dass er im Namen der Vernunft zu diesem Selbstbetrug gezwungen war. ›Hören Sie, Schmidt. Sie haben doch nicht wirklich geglaubt, dass mein Angebot ernst gemeint war?! Hahaha!?‹

      Und ich muss sagen, Schmidt war nicht blöd. Er erwiderte mit einem trockenen Lachen:

      ›Nein, Professor. Sie dachten doch nicht wirklich, dass ich Ihr Angebot ernsthaft annehmen СКАЧАТЬ