Gegenwindschiff. Jaan Kross
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Читать онлайн книгу Gegenwindschiff - Jaan Kross страница 16

Название: Gegenwindschiff

Автор: Jaan Kross

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783955102630

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СКАЧАТЬ die Gläser voll. Nun, er ergänzte dies um ein paar angemessene Worte der Freude darüber, Schmidt kennengelernt zu haben, und beide tranken ihre Gläser leer. Aufgrund der Gegenwart meines Vaters befeuchtete ich mir nur die Lippen. Zu der Zeit war dies in guten Kreisen das Einzige, was ein Junge mit zwanzig Jahren tun konnte. Während Vater die Gläser wieder auffüllte, sagte Schmidt, dass er sich heute ausnahmsweise ein zweites Gläschen erlauben könne. Wie sich herausstellte, hatte er am Morgen desselben Tages dem Berliner Patentamt etwas geschickt, das rein gar nichts mit Astronomie zu tun gehabt habe – den Entwurf eines neuartigen Windmotors für Schiffe. Vater äußerte, dass Flettner bereits etwas Ähnliches gebaut habe, doch Schmidt verkündete äußerst selbstbewusst, dass sein Motor von Grund auf anders sei und deutlich besser als der von Flettner. Ich erinnere mich, wie er sagte, dass Prandtl persönlich der Konstruktion ein glänzendes Zeugnis ausgestellt habe. Aber er fügte beinahe grinsend hinzu:

      ›Das Patent werde ich natürlich nicht bekommen. Es ist bereits mein achter Versuch, bislang …‹«

      Herr Kelter kehrt aus seinen Erinnerungen zurück ins Jetzt und erklärt: »Vielleicht haben Sie herausgefunden, wofür er diese Patente einholen wollte. Ich weiß es jedenfalls nicht genau. Über eines hatte er jedenfalls Verhandlungen mit Junkers geführt: ein Teleobjektiv für Kartierungsflüge. Ein anderes war offenbar ein Gastroskop, ein elastisches Instrument für Mediziner. Der Patient müsste es herunterschlucken, damit der Arzt ins Innere des Magens sehen könnte. Das dritte war eine Art Präzisionsschraube. Das vierte natürlich sein Uranostat. Das fünfte – nun, ich weiß gar nicht, ob er dafür überhaupt ein Patent beantragt hatte. Wohl kaum. Es war sein, wie soll ich sagen, Wohnungsperiskop. Aber nicht zum Durchs-Dach-Spähen, sondern um durch den Boden zu schauen. Nein, nein, nein, nicht für den Polizeigebrauch, haha. Sein Verhältnis zur Polizei war eher schlecht. Das Periskop hatte ein gewiefter Bauer aus Frankenau bei ihm bestellt, der vom Schwarzbrennen reich geworden war. Aus irgendeinem seltsamen Grund lebte er unter dem Dach seines Kuhstalls. Schmidts Apparat erhöhte ein Stück weit seinen Komfort. Er schaltete nachts in seinem Zimmer über dem Stall die Lichter ein und schaute durch den Apparat, der auf dem Nachttisch stand, richtete das Periskop links und rechts auf den Stall und sah alle zwanzig Kühe, wie sie kauten, schliefen, auf der Seite lagen und kalbten, ein vollständiger Überblick, ohne dass sich der Landwirt aus dem Bett hätte erheben müssen. Abgesehen von dem Uranostat handelte es sich dabei vermutlich um das einzige von Schmidt nach dem Krieg gefertigte Gerät, für das er Geld bekommen hatte. Und aus Verbitterung sagte er:

      ›Ich befürchte, selbst wenn ich für meinen Windmotor ein Patent bekomme, werden die Einnahmen ebenso mager sein wie bei den anderen sieben, für die ich keines bekommen habe. Denn dafür gibt es auch nicht mehr Käufer als für meinen astronomischen Kram.‹

      Vater reminiszierte: ›Ja, Herr Schmidt, Ihre Erfahrung ist exakt die gleiche, die ich in jungen Jahren machen musste: ein Erfinder, der die Unabhängigkeit mehr braucht als alles andere, ist auf lächerlichste Weise abhängig von Zufällen. Das ist tragisch. Ich weiß.‹

      Schmidt sah Vater lange und, wie mir schien, beinahe verdutzt in die Augen, steckte sich eine Zigarre an und sagte:

      ›Ich erwäge jedenfalls ernsthaft, ob ich nicht mein ganzes Gerümpel auf dem Flohmarkt verscherbeln und ein neues Leben beginnen soll.‹

      Mich hätte interessiert, wie dieses neue Leben hätte aussehen können (und auch für den Autor wäre dies eine wertvolle Information gewesen), aber wenn ich mich recht erinnere, blieb das unausgesprochen. Denn Vater sagte plötzlich: ›Herr Schmidt, ich habe einen Vorschlag für Sie. Arbeiten Sie doch für die Firma Kelter.‹«

      Herr Kelter junior nimmt eine Mandel aus der Kristallschale auf dem Tisch, die erste während unseres Gesprächs, und steckt sie sich in den Mund:

      »Vaters Vorschlag kam für mich völlig unerwartet und deshalb kann ich mich sehr gut an den Moment erinnern. Ich war ja der zukünftige Chef der Firma. Und ich erinnere mich, dass mich der Gedanke an Schmidt im Dienste der Firma störte. Nicht etwa, weil er eine zu große Autorität gewesen wäre, wie Sie vielleicht annehmen. Sondern schlichtweg deshalb, weil ich seine Eigensinnigkeit spürte. Und natürlich hatte er im Bereich der Optik mehr erreicht als ich zu der Zeit. Also war mir eine gewisse Rivalität nicht ganz fremd. Ich erinnere mich, dass Schmidt auf Vaters Vorschlag hin den Arm in die Luft streckte, so wie zuvor, als er Vaters Einladung zum Abendessen ablehnte, oder als ob er mit seinen fünf Fingern die Aufmerksamkeit auf etwas richten wollte – und genau in diesem Moment klopfte Frau Knechtel an die Tür und gab Bescheid, dass die Kinder nun gekommen seien.

      Hinter der Dame standen drei oder vier kleine Rotzlöffel, wissen Sie, ungestüme Grundschüler zwischen zehn und zwölf, zudem noch schlecht erzogen … Statt infolge der Mitteilung der Hausdame – Herr Schmidt hat Gäste aus Berlin! – still zu verschwinden, verlangten sie, mit Onkel Bernhard zu sprechen: Sie hätten eine Verabredung mit Onkel Bernhard. Und Onkel Bernhard ging ihnen beileibe nicht mit gutem Beispiel voran. Statt die Kinder nach Hause zu schicken, sich bei uns zu entschuldigen und Vaters äußerst ernstzunehmenden Vorschlag abzuwägen, rief er die Kinder hinein und entschuldigte sich fast schon bei ihnen, verstehen Sie: Seht her, Jungens, ich habe gerade Gäste, aber wir klären unsere Sache trotzdem.

      Wie sich herausstellte, organisierte Schmidt für Schulkinder aus Mittweida und Umgebung ›Einführungen in die Sternkunde‹. Und nebenbei – nicht gegen Bezahlung, sondern ›um ihre Kenntnis der Astronomie‹ zu verbessern. Also genau wie ich sagte: Lasset die Kindlein zu mir zu kommen, zum astronomischen Christus unseres Jahrhunderts.

      Er vereinbarte mit seinen Jüngern, dass sie sich um zehn Uhr versammeln würden – beachten Sie, es war schon nach halb neun, somit gab er meinem Vater und dessen Vorschlag (von mir ganz zu schweigen) etwas über eine Stunde Zeit. Die Jünger sollten um zehn Uhr zusammenkommen – nein, nicht im Garten von Gethsemane, sondern am Tor zu Hetzgers Garten. Er würde ihnen dort die Ringe des Saturn zeigen. Wenn ich mich richtig erinnere.

      Und als diese kleine oder im Grunde recht große Unverschämtheit vorüber war, die Jungen gingen und Vater auf seinen Vorschlag zurückkam – denn er war beharrlich, und hatte er sich etwas in den Kopf gesetzt, kam er darauf zurück –, erhielt er immer noch keine Antwort. Denn genau in dem Moment marschierte Schmidts Fräulein klopfenderweise, aber ohne eine Reaktion abzuwarten, herein.«

      »Oh!«, ich kann einen Aufschrei nicht unterdrücken, »Sie sind also Johanna begegnet! Was für ein Geschenk, dass ich jetzt hören darf, welchen Eindruck Sie von ihr hatten …«

      »Ich weiß nicht recht«, sagt Herr Kelter, »welche Rolle diese Frau in Schmidts Leben gespielt hatte. Wir hörten – oder vielmehr wir hatten gehört –, dass Schmidt während seiner ersten Jahre in Mittweida trotz seiner Behinderung ein ziemlicher Schürzenjäger war. Ob trotz oder gerade wegen seiner Behinderung werden wir nie genau erfahren. Später und auch zu der Zeit, als Vater und ich Mittweida besuchten, war die junge Dame offenbar seine nichteheliche Frau. An ihren Familiennamen erinnere ich mich leider nicht«, Herr Kelter lächelt entschuldigend, »Herr Schmidt hat uns ihre Adresse nicht geschickt und im Firmenarchiv ist sie auch nicht. Welchen Eindruck ich von ihr hatte? Nun, eine kurvige Brünette mit rosigen Wangen. Damals war sie vielleicht fünfundzwanzig oder sechsundzwanzig Jahre alt. Und ein bisschen zu groß für Schmidt. Fast so groß wie er. Für damalige Verhältnisse ungewöhnlich groß. Heute würde sie damit in keiner Basketballmannschaft aufgenommen werden. Ein nettes, lebhaftes Mädchen, das ein billiges blaues Kostüm und etwas abgelaufene Straßenschuhe trug. Mit niedrigen Absätzen, sicher wegen Schmidt. Aber an sich würde ich sagen: eine ganz und gar gewöhnliche Frau. Eine Tippse aus der Kommunalverwaltung oder so was. Wissen Sie, viele außergewöhnliche Männer hatten ganz gewöhnliche Frauen.«

      Herr Kelter sieht mir in die Augen. Er verfolgt meinen Gesichtsausdruck wie ein triumphierender alter Fuchs und reckt lehrerhaft einen Finger in die Luft. »Nein, nein, СКАЧАТЬ