Gegenwindschiff. Jaan Kross
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Читать онлайн книгу Gegenwindschiff - Jaan Kross страница 10

Название: Gegenwindschiff

Автор: Jaan Kross

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783955102630

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СКАЧАТЬ Streulicht sich zwar sehr ungünstig auf diejenigen Fotos ausgewirkt habe, die Details der äußeren Sonnenkorona zu erfassen versuchten, dass die Fotos der kraftvollen Details der inneren Korona uns aber tadellos gelungen seien. Bah. Mag sein, dass man anderen Menschen in Notlagen Mut zuspricht, aber Selbsttrost kann ich nicht ausstehen. Ich sage also direkt: Auch die Fotos der inneren Korona sind uns nur befriedigend gelungen. Was bedeutet, dass man es ebenso gut hätte bleiben lassen können. Aber ich muss zugeben, dass mir das aus zwei Gründen leichter fiel als Baade. Erstens war er es, nicht ich, der vor allen Behörden und Stiftungen, die uns finanziert und auf die Reise geschickt hatten, den Eindruck erwecken musste, dass wir wenigstens einen wesentlichen Teil unseres Programms trotz allem erfüllt hatten. Zweitens interessierte mich jetzt nur noch meine Bullaugenvision von der Andamanensee: meine Platte.

      In der folgenden Woche demontierten wir in den Pausen der sich verdichtenden Sommerregenschauer die Beobachtungsstation und packten alles ein. Am Zweiundzwanzigsten wurde sie nach Cebu zurücktransportiert. Am Achtundzwanzigsten gingen wir bei einem heftigen Regenguss an Bord der »Dardanus« und am übernächsten Tag im gleichen Regen in Manila an Land. Hapags funkelnagelneue, letztes Jahr zu Wasser gelassene »Duisburg« brachte uns über Hongkong, Singapur und Colombo zurück nach Hause. Mit für diese Schiffsklasse völlig normalen 13,5 Knoten. Aber doch tödlich langsam.

      2

      »Sie wollen also einen Roman über Bernhard Schmidt schreiben?«

      Der Mann mit dem lebhaften Gesicht eines Siebzigjährigen, der in Wirklichkeit über achtzig ist, trommelt mit den Fingern neben seinem Wermutglas auf den Tisch.

      Ich nicke.

      Unser Gespräch findet zehn Kilometer südlich von Gernsheim statt, in den Weinbergen entlang des Rheins, im Garten, wo über der Rhododendronhecke das schmiedeeiserne Tor zu sehen ist. Die Klingel und das Bronzeschild sind nicht zu sehen. Auf dem Schild steht: »Friedrich Kelter, Dr. rer. nat.« Aber der schmiedeeiserne Bogen mit den schmiedeeisernen Buchstaben ist deutlich zu sehen. Vom Garten aus erscheinen die Buchstaben spiegelverkehrt: SOLNEKLOW ALLIV. Von außen liest man: VILLA WOLKENLOS.

      »Warum auch nicht?« Mein Gastgeber lächelt sein sauber rasiertes, sehniges, gerötetes Lächeln, »Schmidt hat sich bei uns ja gewissermaßen – wie soll ich sagen – in eine mythologische Figur verwandelt.«

      »Lassen wir den Mythos mal beiseite«, entgegne ich, »aber Sie sind dem echten, leibhaftigen Schmidt begegnet. Sie kannten ihn. Aus diesem Grund …«

      »Ja, was heißt ›kannte‹? Oberflächlich gewiss. Und lediglich ihn, aber keinesfalls sein Leben. Das macht ja einen Unterschied. Besonders für einen Romanautor. Von seinem Leben bekam ich nur so viel mit, dass ich meine Zweifel habe, ob es überhaupt genug Stoff für einen Roman hergibt. Aber ich bin natürlich nur ein Geschäftsmann. Und auch ein wenig Physiker. Demnach weiß ich nicht viel über ihr Medium. Abgesehen von dem alten Klischee«, er rührt mit seinem Strohhalm die Eiswürfel um und nimmt einen Schluck Cinzano, »dass ein fähiger Mann aus dem Leben so ziemlich jedes Menschen wenigstens einen Roman herausholen könne.«

      Ich entgegne, dass dazu im vorliegenden Fall überhaupt keine speziellen Fähigkeiten nötig seien. Besonders, wenn mir Herr Doktor gnädigerweise mit seinen Erinnerungen unter die Arme greifen würde. Was umso leichter sein dürfte, da seine Erinnerungen mit denen seines Vaters eine Einheit bildeten, und meines Wissens war sein Vater Schmidt gegenüber recht wohlgesonnen. Wenn er jetzt doch bitte …

      »Jaja. Wohlgesonnen ist sogar noch vorsichtig formuliert. Sehen Sie, mein Vater war kein Gefühlsmensch. Er war Unternehmer. Und Professor, das auch. Aber nebenbei bemerkt hatte er den Titel nicht von irgendeiner Universität bekommen. Er war ihm von der Regierung Preußens für seine wissenschaftlichen und unternehmerischen Leistungen verliehen worden. In erster Linie für den Aufbau und die Leitung seines Unternehmens. Die Firma Kelter war vielen ein Begriff, wie man sagt. Woran denken wir etwa beim Namen Zeiss? Natürlich an eine herausragende Produktion. Das schon. Aber in Massen. Objekte, die individuelle Lösungen erforderten, ultrapräzise und gleichzeitig großformatige Gegenstände, wissenschaftliche Ausrüstung, aber nicht nur, sondern Geräte, die sowohl in der Astronomie als auch beim Militär Verwendung fanden, Sie verstehen, wurden bei ›Kelter‹ in Auftrag gegeben. Zahlenmäßig waren wir kein großes Unternehmen. Aber in der Branche trotzdem sehr angesehen. Einhundertfünfzig Angestellte. Einige davon herausragende Ingenieure. Die präzisesten Kärger-Drehbänke zum Schleifen und Polieren. Hinter den Maschinen die erfahrensten Meister. Und an der Spitze mein Vater. Mit allen per Du. Er war nach Amerika gereist und hatte seine preußische Steifheit abgelegt. Weshalb ihn sogar Arbeiter, gestandene Sozialdemokraten duzten. Das will was heißen. Ich kann Ihnen versichern: eine großartige patriarchale Stimmung, ganz im Geiste der alten Berliner Gesellschaft. Gebildete Techniker und fähige Arbeiter, Hand in Hand, eine Arbeiteraristokratie, würde ich sagen. In der Tat: Das wäre Stoff für einen Roman! Aber ich bitte um Verzeihung. Sie kommen ja von drüben. Es dürfte Sie nicht interessieren, welche Vorbilder es im Bereich der Industrieorganisation irgendwo auf der Welt vor Ihrem Lenin gab.«

      Ich stimme zu: »Entschuldigen Sie, Doktor Kelter, aber Sie haben in der Tat vollkommen recht: In diesem Augenblick interessiert mich vor allem Bernhard Schmidt.«

      »Jaja!«, ruft Herr Kelter amüsiert aufgebracht, »ich verstehe schon: Romanschreiber sind Sonderlinge – verzeihen Sie mir meine Direktheit – und interessieren sich für Sonderlinge. Denn sonderbar war Ihr Schmidt zweifellos.«

      »Erzählen Sie mir, inwiefern.« Ich schalte den Recorder mit einer fragenden Geste ein. Er nickt, es scheint ihn überhaupt nicht zu stören.

      »Nun, vielleicht insofern, als er dreißig Jahre in einem Loch wie Mittweida lebte. Das würde ich verstehen, wenn er Philosoph gewesen wäre. Dessen Welt sich in seinem Kopf befindet. Wenn es keine Rolle gespielt hätte. Wie Kants fünfzig Jahre in Königsberg, Husserls fünfundzwanzig Jahre in Freiburg. Oder wenn er selbst Schriftsteller gewesen wäre. Denen ist es offenbar auch egal, in welcher Umgebung sie fabulieren. Aber er war Techniker. Ich verstehe, dass solch ein blinder handwerklicher Individualismus vor zweihundert Jahren noch fruchtbar gewesen sein mochte. Aber im zwanzigsten Jahrhundert?! Wo die ganze technische Entwicklung von Kontakten und Informationen abhängt?! Wie kann ein vernünftiger Techniker – heute wird er bisweilen sogar als Genie bezeichnet – sich für dreißig Jahre in Mittweida vergraben? Mir kommen nur zwei Gründe in den Sinn, und keiner der beiden ist besonders ehrenwert. Erstens: Trägheit. Er blieb dort hängen, wo er zufällig gelandet war. Schlicht aufgrund eines provinziellen Minderwertigkeitskomplexes. Wer aus der einen Peripherie kommt, macht sich nicht die geringste Mühe, die andere zu verlassen. Die zweite Möglichkeit: Blinde Überheblichkeit. Ich bin Bernhard Schmidt von der Insel Nargen, ich brauche euer Berlin und euer München nicht. Egal wo ich sitze, ich arbeite, schwitze, schufte, poliere mich nach oben. Bis ihr alle zu mir kommt. Halt, halt, halt. Ich sehe Ihnen an, dass meine extremen Überlegungen Sie irritieren. Aber Sie wissen aus eigener Erfahrung, dass beide Elemente in der Natur des Menschen vorhanden sind. Natürlich nicht in ihrer chemischen Reinform, also entweder dieses oder jenes. Sondern stets in praktischen Kombinationen. Und überhaupt: Ich bin in keiner Weise mit Ihrer Mentalität da drüben vertraut. Das ist Sache der Sowjetologen. Aber ich habe den Eindruck, dass es Ihresgleichen an unserer objektiven, gleichzeitig messerscharfen und – wenn es Anlass dazu gibt – anerkennenden, unmittelbaren, etwas geschwätzigen Art, kritisch zu denken, fehlt. Bei Ihnen heißt kritisches Denken entweder, etwas zu vernichten oder es in den Himmel zu heben. Und Schmidt gehört bei Ihnen seltsamerweise zu denen, die man in den Himmel hob. Ist es nicht so?«

      »Herr Kelter, meine Antwort hat für Sie keinerlei Bedeutung. Schließlich haben Sie weder vor, eine sowjetologische Abhandlung zu verfassen, noch einen Roman über Bernhard Schmidt. Erlauben Sie mir also die Frage: СКАЧАТЬ