Literaturdidaktik Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Almut Hille
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СКАЧАТЬ ausgearbeitet wurden. Einen mit den Bildungsstandards vergleichbaren Rahmen stellt für den fremd- und zweitsprachlichen Deutschunterricht zwar der vom Europarat herausgegebene Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen (GER) dar. Dieser berücksichtigt jedoch in seiner ersten Version (2001, engl./frz. 2000) kaum die Arbeit mit literarischen Texten. Lediglich in der Globalskala (2001: 36) auf dem Niveau B2 unter der Fertigkeit „Lesen“ wird auf sie hingewiesen – „Ich kann zeitgenössische literarische Prosatexte verstehen“ –, was für das Niveau C2 auf alle „literarische[n] Werke“ ausgeweitet und für die Fertigkeit „Schreiben“ durch das Item ergänzt wird, dass Lernende „literarische Werke schriftlich zusammenfassen und besprechen können“ (→ Kap. 5).1 Im neuen Begleitband zum GER (2020, engl./frz. 2018: 6f.), dessen ‚zweiter Version‘, findet die Arbeit mit literarischen Texten weitaus stärkere Berücksichtigung (→ Kap. 5). Die Umsetzung der Empfehlungen zur Förderung des „Lesen[s] als Freizeitbeschäftigung“, der „Analyse und Kritik kreativer Texte“ und der „Persönliche[n] Reaktion auf kreative Texte“ in Curricula, Lehr- und Lernmaterialien und Unterricht wird in den nächsten Jahren fachwissenschaftlich zu begleiten und zu reflektieren sein.

      Während es in den Fachdidaktiken um Lehr- und Lernprozesse in dem in hohem Maß vorstrukturierten schulischen Kontext geht, werden im Hinblick auf den Unterricht von Deutsch als Fremd- und Zweitsprache sehr unterschiedliche Lehr- und Lernkontexte apostrophiert. So ist zu differenzieren, ob die Arbeit mit literarischen Texten im Kontext von Sprachunterricht oder Literaturunterricht stattfindet; mit Kindern, Jugendlichen oder in der Erwachsenenbildung; im universitären oder nicht-universitären Zusammenhang; mit Gruppen mit einer gemeinsamen oder mehreren unterschiedlichen L1; mit Lernenden, die in unterschiedlichen Lehr- und Lerntraditionen sozialisiert sind. Dieses weite Spektrum scheint in den offeneren Formulierungen wie etwa Literatur im DaF/DaZ-Unterricht (Koppensteiner/Schwarz 2012) auf. Mit der Entscheidung für den Begriff „Literaturdidaktik“ möchten wir diesen weiten Horizont des Faches Deutsch als Fremd- und Zweitsprache beibehalten und gleichzeitig ausdrücken, dass sich dessen Grundlagen als „Didaktik“ bezeichnen lassen, als „Wissenschaft vom Lehren und Lernen von Literatur“ (vgl. nochmals Ehlers 2016: 13, Leubner/Saupe/Richter 2016: 13). Wir möchten damit auch an den Sprachgebrauch in den Nachbardisziplinen anschließen, auf deren Reflexionspotenzial wir in unserem Band an verschiedenen Stellen zurückgreifen.

      Wir schließen außerdem an eine Bestimmung des Begriffs „Literaturdidaktik“ an, wie sie in der fünften, aktualisierten und erweiterten Auflage des Metzler Lexikons Literatur- und Kulturtheorie (2013) gegeben wird. Hier wird der Begriff recht weit gefasst im Hinblick auf institutionalisierte Lernprozesse. In dem entsprechenden Lemma heißt es:

      Literaturdidaktik bezeichnet den Komplex von Entscheidungen, Konzeptionen und Theorien über Literatur als Gegenstand institutionalisierter Lernprozesse. […] Die Bestimmung von Lernzielen bzw. -inhalten ist von gesellschaftlichen Wertregistern wie ästhetische und religiöse Bildung, National- oder Klassenbewusstsein, Emanzipation und Toleranz abhängig, die in Formen wie bildungs-, lernziel-, handlungsorientierter, erfahrungsbezogener und integrativer Unterricht umgesetzt werden. […] Literaturdidaktik umfasst die Organisation rezeptiver, produktiver, darstellender, analytischer, kommunikativer, rhetorisch-argumentativer, wissensentnehmender und -speichernder Handlungsformen und Erkenntnismöglichkeiten. (ebd.: 456)

      Diese Definition umfasst einiges, was zur Vermittlung literarischer Texte auch im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache in jüngerer Zeit diskutiert wird. Entscheidend sind die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Gegenstand Literatur, die Bestimmung von Lehr- und Lernzielen und die Modellierung von Unterrichtssettings.

      In dem Lemma „Literaturdidaktik“ im Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie (2013) werden weiter Literaturwissenschaft und Literaturgeschichte als Bezugswissenschaft(en) der Literaturdidaktik bezeichnet. Es wird darauf verwiesen, dass es gerade eine stärkere Orientierung an fachwissenschaftlichen Entwicklungen in der Literaturwissenschaft sei, die in jüngerer Zeit zu produktiven neuen Ansätzen und Konzepten in der Literaturdidaktik führe (vgl. ebd.). Allerdings ist das Verhältnis zwischen Literaturwissenschaft und Literaturdidaktik keineswegs so unumstritten, wie es diese Formulierung vermuten lässt. Insbesondere in der Forschungsdiskussion der Fachdidaktik Deutsch finden sich zunehmend kontroverse Positionen. In ihrer erstmals 19982 und in zweiter Auflage 2006 erschienenen Einführung in die Literaturdidaktik bezeichnet Elisabeth Paefgen die Literaturdidaktik noch als „Teilgebiet der Literaturwissenschaft“ (Paefgen 2006: VIII). Während ihrer Einschätzung nach der „literaturwissenschaftliche Anteil für alle Literaturlehrenden gleichermaßen verpflichtend und grundlegend ist“ (ebd.), seien andere Aspekte wie „pädagogische, soziologische, kulturelle und politische Bezüge“ (ebd.) zwar auch von Relevanz, jedoch nicht in gleicher Weise verbindlich. Diese Position stärkt Klaus-Michael Bogdal in seinem Beitrag in dem von ihm und Hermann Korte herausgegebenen Band Grundzüge der Literaturdidaktik, erstmals 2002 erschienen und seit 2012 in sechster Auflage vorliegend: „Literaturdidaktik und Literaturwissenschaft unterscheiden sich nicht in ihren Grundlagen, Methoden und Gegenständen, Ansprüchen, Problemen und Krisen“ (Bogdal 2012: 13). Er bezeichnet die Literaturwissenschaft als grundlegende Bezugsdisziplin, deren Forschungsergebnisse es in der Literaturdidaktik zu berücksichtigen gelte, und grenzt sich deutlich von Positionen ab, die Literaturdidaktik als Erforschung von Lese- und Vermittlungsprozessen verstehen:

      Die literaturwissenschaftlich fundierte Vermittlungstätigkeit bildet das Zentrum der Literaturdidaktik. Ohne den ‚Gegenstand‘ Literatur und die systematische Erforschung seiner historischen, ästhetischen, kulturellen und kommunikativen Dimensionen wird wissenschaftliches Bemühen in diesem Bereich belanglos. (ebd.: 15f.)

      Gegen die benannten Positionen gibt es Vorbehalte. In kritischer Bezogenheit auf die Überlegungen von Bogdal (2012) formuliert Volker Frederking (2014), dass die „Deutschdidaktik kein Appendix der Fachwissenschaft, keine Germanistik ‚light‘“ (ebd.: 110) sei. Vielmehr habe die Deutschdidaktik ihre eigenen Forschungsinteressen und müsse dafür auch eigene Methoden entwickeln. Insbesondere muss die Perspektive auf den Lerngegenstand „Literatur“ durch die Perspektive auf die „Lernenden“ ergänzt werden. Er formuliert als grundlegende These:

      Deutschdidaktische Forschung setzt die stetige Oszillation zwischen fachlichem Lerngegenstand und fachspezifischen Lehr-Lern-Prozessen voraus. Deutschdidaktik ist in diesem Sinne die Wissenschaft vom fachspezifischen Lehren und Lernen im Zusammenhang mit deutscher Sprache, Literatur und anderen Medien. (ebd.)

      Nach Frederking wäre die Deutschdidaktik als transdisziplinäre Wissenschaft zu verstehen, die zwischen der Germanistik und anderen Fachwissenschaften angesiedelt ist. Sie fokussiert fachliche Lerninhalte, fachspezifische Lehr-Lern-Prozesse, Lehrende und Lernende (ebd.: 111). Dabei ist vor allem der empirische Zugang zur Erforschung von Lehr- und Lernprozessen entscheidend:

      Eine Deutschdidaktik, die sich als Wissenschaft versteht und als Wissenschaft ernst genommen werden will, muss überprüfte Theorien und abgesichertes Wissen generieren. Als Wissenschaftler müssen wir schlicht wissen, ob das, was wir theoretisch modellieren und als praxistauglich empfehlen, tatsächlich die erhofften Wirkungen zeitigt. Diesem Erfordernis kann nur auf empirischer Basis entsprochen werden. (ebd.: 115)

      Von einer anderen Seite als Frederking kritisieren auch Ulf Abraham und Matthis Kepser in ihrer 2005 erstmals erschienenen und seit 2016 in vierter Auflage vorliegenden Einführung Literaturdidaktik Deutsch die Gegenstandsorientierung von Paefgen (2006) und Bogdal (2012). Sie nehmen Literatur als „Handlungsfeld“ (Abraham/Kepser 2016: 20) zum Ausgangspunkt ihrer Argumentation für eine sinnvolle Perspektive einer Literaturdidaktik: „Ihr kann es nicht in erster Linie darum gehen, wie Literatur beschaffen ist. Sie muss sich vor allem dafür interessieren, was Menschen damit machen und warum.“ (ebd.) Explizit setzen sie sich von den Positionen von Paefgen (2006) und Bogdal (2002)3 ab: Sie verstehen „Literaturdidaktik als eigenständige kulturwissenschaftliche Disziplin […]. Literaturwissenschaft und Literaturdidaktik СКАЧАТЬ