Название: Literaturdidaktik Deutsch als Fremd- und Zweitsprache
Автор: Almut Hille
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: narr Studienbücher LITERATUR- UND KULTURWISSENSCHAFT
isbn: 9783823302193
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Für das Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache ermöglicht die Arbeit mit literarischen Texten aus der Perspektive des Erzählens eine Auseinandersetzung mit individuellen wie kollektiven Reflexionsprozessen (vgl. Schiedermair 2014b, Riedner 2017). Wie sich in dem obigen Zitat schon andeutet, wird dabei ein weiter Textbegriff zugrunde gelegt, der z. B. auch Hörspiele, Filme, Video- und Werbeclips umfasst (→ Kap. 11). Der so entwickelte Begriff von Literatur ermöglicht es, eine große Vielfalt an medialen Formaten zu berücksichtigen.
In der Gegenwart sind es weitere, neue Textformate, die unsere Vorstellungen von Literatur herausfordern. Diese besteht schon lange nicht (mehr) nur aus gedruckten und gebundenen Werken einzelner Autor*innen, die von einzelnen Leser*innen still rezipiert werden.
Poetry Slams etwa können an einem Abend ein großes Publikum erreichen; die Texte werden nicht nur von Einzelnen, sondern auch von Teams verfasst und performt. Mit dem Erfolg von Poetry Slams sind die Mündlichkeit der Literatur, ihr Ereignischarakter und ihre Offenheit für alle Akteur*innen (wieder) in das Blickfeld gerückt.
Die digitale Literatur steht dafür, dass die Grenzen zwischen Autor- und Leserschaft wie auch zwischen „Fiktion und inszenierter Wirklichkeit“ verschwimmen (Winko 2016: 6). Der Begriff der digitalen Literatur bzw. Netzliteratur, Internetliteratur, New Media Literature oder Hyperfiction ist jedoch zu schärfen. Sie ist zunächst von einer digitalisierten Literatur (E-Books, Bibliotheken wie das Projekt Gutenberg) zu unterscheiden. Deren Lektüre erfolgt am Computer oder einem anderen (mobilen) Endgerät; verändert ist so vor allen Dingen die Rezeption von Texten (→ Kap. 4, 5). Als digitale Literatur hingegen werden Texte bezeichnet, deren Produktion und Rezeption am Computer erfolgt und die im digitalen Format, als zweifacher Text entstehen: dem auf dem Bildschirm sicht- und lesbaren Text und dem ihn bedingenden digitalen Code hinter der Oberfläche (vgl. Winko 2016: 4). Diese Texte sind oder erscheinen in einem weiten Sinn interaktiv: Die Lesenden wählen individuelle Lektürepfade, können z. B. Hyperlinks folgen oder eigene Texte eingeben (vgl. ebd.: 4). Insofern werden z. B. Texte im Hypertextformat (→ Kap. 11) auch als nichtlinear bezeichnet. Auch Netzliteratur ist digitale Literatur, spezifisch aber noch einmal dadurch charakterisiert, dass sie „des Internets bedarf, um produziert und rezipiert zu werden“ (ebd.: 5). Sie wird im Internet publiziert und kann, etwa in Form von Schreibforen, Mitschreibprojekten oder literarischen Blogs konzipiert, nicht nur zur Rezeption, sondern auch zur Produktion von Texten durch die Leser*innen anregen (→ Kap. 5). So entstehen beispielsweise Blogromane, aber auch Texte einer sogenannten Fanfiction.
Fragt man also, was Literatur heute – bei aller Schwierigkeit der Definition – sein kann, so stellt sie sich als „ein extrem vielfältiges, dynamisches Ensemble unterschiedlicher medialer Formate und Kommunikationsformen, eine lebendige Praktik, die weit über gedruckte Einzelwerke und vom Feuilleton wahrgenommene Autoren hinausgeht“, und als Teil wie auch Instrument gesellschaftlicher und kultureller Partizipation (ebd.: 2) dar.
Diese Überlegungen führen zu dem zurück, was schon Friedrich Schlegel 1798 in der Zeitschrift Athenäum über Literatur formulierte:
Eine Definition der Poesie kann nur bestimmen, was sie seyn soll, nicht was sie in der Wirklichkeit war und ist; sonst würde sie am kürzesten so lauten: Poesie ist, was man zu irgend einer Zeit, an irgend einem Orte so genannt hat. (Schlegel 1983: 204)
2 Literaturdidaktik – Literaturwissenschaft
Blickt man auf die Publikationen im Bereich Deutsch als Fremd- und Zweitsprache, fällt auf, dass sich der Begriff „Literaturdidaktik“ überraschend selten findet. Meist werden andere Formulierungen gewählt. So haben die thematisch einschlägigen Bände, die seit dem Jahr 2000 erschienen sind, Titel wie Literatur im DaF-Unterricht (Koppensteiner 2001), Literatur im DaF/DaZ-Unterricht (Koppensteiner/Schwarz 2012), Deutsch als Fremdsprache und Literaturwissenschaft (Ewert/Riedner/Schiedermair 2011a), Literatur in Deutsch als Fremdsprache und internationaler Germanistik (Altmayer/Dobstadt/Riedner/Schier 2014), Ästhetisches Lernen im DaF/DaZ-Unterricht. Literatur – Theater – Bildende Kunst – Musik – Film (Bernstein/Lerchner 2014), Aktuelle deutschsprachige Literatur für die Internationale Germanistik und das Fach Deutsch als Fremdsprache (Hille/Jambon/Meyer 2015) und Literaturvermittlung (Schiedermair 2017a). Ähnliche Titel wurden für die Themenhefte der Fachzeitschriften zu diesem Schwerpunkt gewählt, etwa Literatur im Anfängerunterricht (Fremdsprache Deutsch 2/1994), Fremdsprache Literatur (Fremdsprache Deutsch 44/2011), Literatur in sprach- und kulturbezogenen Lehr- und Lernprozessen im Kontext von DaF/DaZ (Deutsch als Fremdsprache 2014/ Heft 1–4, 2015/ Heft 1–3). Auch die zentralen Artikel im internationalen Handbuch Deutsch als Fremdsprache (2001) bzw. Deutsch als Fremd- und Zweitsprache (2010) formulieren ihre Titel, ohne den Begriff „Literaturdidaktik“ zu verwenden: Literarische Texte im Deutschunterricht (Ehlers 2001), Literatur, Kultur, Leser und Fremde – Theoriebildung und Literaturvermittlung im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache (Riedner 2010a).
In den Fachdidaktiken der Germanistik – Deutsch als L1 in Schulen der D-A-CH-L-Länder – und der Fremdsprachenphilologien wie Anglistik und Romanistik ist dagegen selbstverständlich von „Literaturdidaktik“ die Rede. So scheint der Begriff den schulischen Kontext zu implizieren, was auch die Definitionen der „Literaturdidaktik“, die sich in den einschlägigen fachdidaktischen Einführungen finden, nahelegen. So heißt es etwa bei Ehlers (2016: 13): „Literaturdidaktik ist die Wissenschaft vom Lehren und Lernen von Literatur und literarischen Erzählmedien im institutionellen Rahmen von Schule, die Literatur und Erzählmedien unter dem Aspekt ihres Bildungswertes für Schüler und ihrer Lehr- und Lesbarkeit betrachtet.“ Leubner/Saupe/Richter (2016: 13) fassen den Begriff zunächst weiter als „Wissenschaft vom Lehren und Lernen der Literatur“, weisen in einem zweiten Schritt dann aber ebenfalls darauf hin, dass die „entsprechenden Prozesse […] vor allem im Literaturunterricht im Rahmen des Deutsch- und Fremdsprachenunterrichts“ stattfinden.
Diese Implikationen werden jedoch zunehmend durchbrochen und der Begriff „Literaturdidaktik“ erhält ein über den schulischen Kontext hinausgehendes Verwendungspotenzial, was sich etwa an Buchtiteln wie Öffentliche Literaturdidaktik zeigt. In der Einleitung zu diesem 2018 von ihnen herausgegebenen Band argumentieren Christine Ott und Dieter Wrobel gegen die „Engführung des Begriffs und Konzepts“ auf den schulischen Kontext und für ein Aufsuchen „applikationsfähige[r] Schnittstellen zu einer öffentlichen Literaturdidaktik“ (Ott/Wrobel 2018: 7). Ihr Ziel ist es, Literaturdidaktik als wissenschaftlichen Diskussionszusammenhang nicht auf Fragen des schulischen Lernens zu begrenzen, sondern auch auf die Arbeit mit Literatur in unterschiedlichen außerschulischen Bereichen auszuweiten.
Bei der Wahl des Titels für diesen Einführungsband haben wir uns entschieden, den Begriff der „Literaturdidaktik“ zu verwenden. Dabei ist uns bewusst, dass wir damit eine Formulierung wählen, die man in der Fachdiskussion von Deutsch als Fremd- und Zweitsprache bisher wenig genutzt hat. Mit anderen Formulierungen (s.o.) konnte man die spezifische Situation des Faches, das sich nur zum Teil als Fachdidaktik im schulischen Kontext verortet, berücksichtigen (siehe zu DaZ in der Schule Rösch 1992, 2001, 2017 und Ehlers 2008, 2014, 2016: 56–63). Anders als in den Fachdidaktiken sind die Fachdiskussionen in Deutsch als Fremd- und Zweitsprache weniger auf vorgegebene, in den Anforderungen an Curricula und Testformate bis zu einem gewissen Grad homogene und miteinander vergleichbare institutionelle СКАЧАТЬ