Schweigen ist meine Muttersprache. Sulaiman Addonia
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Название: Schweigen ist meine Muttersprache

Автор: Sulaiman Addonia

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783944666976

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СКАЧАТЬ hatte Saba lange durch die Leinwand beobachtet und versuchte mich jetzt zu erinnern, ob mir etwas Verdächtiges aufgefallen war. Der Richter rief den nächsten Zeugen auf, einen jungen Mann, der als der Beschnittene bekannt war, obwohl wir alle beschnitten waren. Aber er zählte zu den wenigen, die nach der Beschneidung durch die Hebamme dauerhaft verstümmelt waren.

      Mit zerzausten Haaren, das Hemd voller Stroh und feuchtem Lehm, humpelte er zum Zeugenstuhl. Ich war überzeugt, dass der Richter seine Anklage akribisch vorbereitet hatte, um Saba als Sexualstraftäterin zu präsentieren, als eine Frau, die in dieser Extremsituation des menschlichen Überlebenskampfes ihre sexuellen Perversionen befriedigte. Und deshalb betete ich, dass er nicht noch einmal eine Aussage von mir wollte. Er war ein Mann des Gesetzes, der seinen Beruf bei den Briten gelernt hatte. Mit Überraschungen war also immer zu rechnen.

      Der Beschnittene murmelte etwas, das niemand verstand. Für einen Straßenjungen war er sehr schüchtern. Aber auch in diesem Fall zeigte sich, dass Menschen, die alles verloren haben, besonders hartnäckig an dem festhalten, was in ihnen ist. Der junge Mann sprach im Flüsterton und mit gesenktem Kopf. Seine Stimme hob sich, sobald er neben dem Richter auf dem Zeugenstuhl saß. Als hätten die Verantwortung und die geballte Aufmerksamkeit der Zuhörer seinen ersterbenden Mut befreit.

      Saba sei seine erste Geliebte gewesen, sagte er. Und es stimmt, dass man diejenige, die einem den ersten Orgasmus seines Lebens verschafft, niemals vergisst.

      Die Ältesten äußerten murmelnd ihre Missbilligung, aber der Hüter des Gesetzes überging ihren Einwand und forderte den jungen Mann auf fortzufahren.

      Herr Richter, ich erinnere mich nur noch an Sabas Gesicht, das im Fenster erschien, nachdem die Hebamme ihre Arbeit getan und das Blut vom Rasiermesser gewischt hatte. Dann wurde ich ohnmächtig. Nach meiner Beschneidung dauerte es mehrere Tage, bis ich schwankend vom Bett aufstehen konnte, und es war Saba, die mich stützte, als meine Beine einknickten.

      Bleib liegen, sagte sie.

      Ich erstarrte, als ich sie hereinkommen sah. Es war, als würde sie mir im Traum erscheinen. Ich berührte ihre Hand, spürte ihre Wärme. Wo ist meine Mutter?

      Ich habe zu ihr gesagt, sie soll sich ausruhen, erwiderte Saba. Jetzt bin ich hier.

      Ich wusste nicht, dass ihr euch kennt, du und meine Mutter.

      Saba lächelte: Jetzt schon.

      Ich möchte aufstehen, sagte ich.

      Saba hielt mich am Arm fest, und ich merkte, dass meine unsicheren Schritte, langsam und qualvoll wie die eines alten Mannes, sie zusammenzucken ließen, als wäre sie es, die Schmerzen litt.

      Nachdem ich eine Weile herumgetaumelt war, sagte ich, dass ich pinkeln müsse. Ich erwartete, dass sie einen Mann holte, der mich zum Freiluftklo tragen würde, aber sie brachte mir nur einen großen leeren Topf, der neben der Tür stand, und stellte ihn mitten auf den Boden. Und nachdem sie mir geholfen hatte, mich am Mittelpfosten der Hütte festzuhalten, wandte sie sich zum Gehen. Saba, warte, sagte ich. Würdest du mir mit meinem Gewand helfen? Ich kann mich nicht bücken.

      Ich presste die Zähne zusammen, legte den Kopf zurück und biss mir auf die Lippen. Meine Knie zitterten. Saba, sagte ich, ich verstehe nicht, warum meine Mutter mich unbedingt hier an diesem Ort beschneiden lassen musste.

      Die Traditionen begleiten uns, wohin wir auch gehen, sagte Saba, als sie den Saum meines weiten Gewandes hob, das auf der Vorderseite rote Flecken hatte. Sie drehte ihr Gesicht nicht weg, wie ich es erwartet hatte. Ich rückte näher zu ihr und lehnte mich bei ihr an. Lange Minuten vergingen, in der Hütte war es vollkommen still. Dann endlich hörte ich einen Tropfen in den Blechtopf fallen. Ich schrie auf. Und verstummte wieder.

      Durch das Fenster wehte ein warmer Wind herein. Ihr flatterndes Haar kitzelte meinen Nacken. Heb mein Gewand höher, Saba, du tust mir weh.

      Ich presste erneut. Ein paar Minuten vergingen, immer noch nichts. Ich weinte.

      Mach dir keine Sorgen, sagte Saba und wischte mir die Tränen aus den Augen. Ich helfe dir.

      Es war, als würde sie meine verbrannte Hand in kaltes Wasser legen oder als würde ich ein Aspirin nehmen. Ich stöhnte, als sie meinen wunden Penis in ihren Handteller legte. Und als sie ihn drückte, verwandelte sich der Schmerz in ein ungekanntes Gefühl. Ich konnte nicht aufhören zu weinen. Und dann bemerkte ich in ihrer blutbenetzten Hand ein weißes Rinnsal. Saba war meine erste Liebe.

      Der Richter stand auf und schrie, so laut er konnte, um die Erregung der Menge zu besänftigen. Was ist das für ein Gericht, das den Worten eines Straßenjungen Glauben schenkt?

      Ruhe. Ruhe! Es gelang ihm, den Lärm einzudämmen, indem er drohte, die Zuhörer des Gerichtssaals zu verweisen und die Verhandlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit fortzusetzen.

      Stille.

      Herr Jamal, rief der Richter.

      Ich war mit meiner Zeugenaussage an der Reihe. Der Zeugenstuhl war noch warm, und ich spürte ein Kribbeln meinen Rücken hochkriechen. Ich schlug die Beine übereinander. Ich bin bereit, sagte ich.

      Gut, fangen wir an, sagte der Richter. Erzählen Sie uns alles, was Sie über Saba wissen. Und vergessen Sie nicht: Jeder Hinweis kann uns helfen. Uns geht es um Gerechtigkeit.

      Ich möchte von Anfang an erzählen.

      Ich habe Saba zum ersten Mal am Fluss gesehen, an unserem ersten Abend im Lager, als sie ihrem Bruder ins Wasser nachsprang, um einen Kanister herauszuholen, den die Strömung einer Frau aus der Hand gerissen hatte. Nachdem sie ihn gerettet hatten, kehrten die beiden triefend nass zu ihrer Hütte zurück, Saba mit einem Eimer Wasser auf dem Kopf. Ich stand da und betrachtete sie, regungslos und selbst ganz durchnässt. Denn obwohl ich gezögert hatte, in den Fluss zu springen, um Saba zu retten, hatte ich das Gleichgewicht verloren und war ins Wasser gefallen.

      Ich eilte zum Lager zurück, als mir der dicke Packen Birr-Scheine einfiel. Ich hatte sie in einer Tasche versteckt, die ich mir am Abend vor der Flucht aus der Heimat in meine Unterhose eingenäht hatte. Ich musste die Geldscheine auf dem Fußboden meiner Hütte ausbreiten, damit sie trockneten. Aber im Lager angekommen, stellte ich fest, dass ich nicht mehr wusste, wo meine Hütte war. Andere, die vom Fluss zurückkehrten, hatten Angehörige, die vor ihrer Hütte standen und sie erwarteten. Überall wurden Namen gerufen, ich jedoch war allein, und es gab keine Möglichkeit, meine Hütte wiederzufinden. Ich hatte nicht einmal etwas darin zurückgelassen, um sie in Besitz zu nehmen.

      Ich öffnete eine Hütte zu meiner Linken, und da lagen mindestens fünf Personen, in weiße gabis gehüllt, dicht nebeneinander auf dem Boden. Ich zuckte zurück, denn ich dachte, der Tod wäre auch bereits hierhergekommen. Aber als ich ihre tiefen Atemzüge hörte, schloss ich die Tür und versuchte es bei der Hütte nebenan. Diesmal stürmte ich nicht einfach hinein, sondern öffnete die Tür nur einen Spalt breit und spähte hinein. Ein greiser Mann saß neben einer Frau und blickte triefäugig zur Tür. Habe ich euch geweckt, aboi?, fragte ich.

      Nein, mein Sohn, erwiderte der Alte. Heutzutage kommt der Schlaf nur sehr schwer.

      Ich erklärte ihm, dass ich meine Hütte suchte. Er sagte, hier wohnten er und seine Frau, aber wenn ich meine Hütte nicht fand, könne ich gern bei ihnen bleiben. Deine Hütte oder meine Hütte gibt es nicht, sagte er. Hier an diesem Ort gehören die Hütten allen und keinem.

      Das hatten unsere Kämpfer zu Hause oft gesagt. Bist du Kommunist?, fragte ich СКАЧАТЬ