Schweigen ist meine Muttersprache. Sulaiman Addonia
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Название: Schweigen ist meine Muttersprache

Автор: Sulaiman Addonia

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783944666976

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СКАЧАТЬ den Horizont.

      Saba suchte im Seitenspiegel nach ihren Mitreisenden. Dutzende Lastwagen waren im Morgengrauen von der Stadt aufgebrochen, in die sie auf ihrer Flucht vor dem Krieg gekommen waren, doch jetzt war ihr Lkw der einzige auf der Straße. Sabas Mutter neben ihr murmelte ein Gebet, das sie seit ihrem Aufbruch von zu Hause unablässig wiederholte. Hagos, ihr Bruder, saß auf der Ladefläche inmitten der wenigen Habseligkeiten, mit denen sie geflohen waren.

      Herr, erleuchte unseren Weg in die Sicherheit.

      Über der Talsenke brach die Nacht herein. Die Scheinwerfer des bergab steuernden Lkw durchschnitten die Dunkelheit. Ein flaches, mit Hütten übersätes Gelände tauchte vor ihnen auf. Bestehen Flüchtlingslager nicht aus Zelten?, fragte sich Saba.

      Sie befürchtete, ein Blinzeln, und alles wäre ausgelöscht. Und die endlose Reise, die vor vielen Tagen auf Kamelen begonnen hatte, würde weitergehen. Sie hielt sich am Armaturenbrett fest und konzentrierte sich auf das Bild vor ihren Augen. Doch als Tahir erneut das Steuer herumriss, um einem Schlagloch auszuweichen, holperte der Wagen über eine Unebenheit. Der Stoß warf den Fahrer in seinem Sitz zurück, und Saba griff nach dem Lenkrad. Je tiefer es ins Tal hineinging, desto mehr ruckelte das Fahrzeug, und der Lichtstrahl der Scheinwerfer schwenkte von den Hütten zum Buschland und wieder zurück. Tahir bremste.

      Da sind wir, sagte er und rückte seinen Turban zurecht. Saba, das ist dein Lager.

      Saba hielt sich die Nase zu.

      Dung.

      Überall Dunggeruch.

      Tahir stellte den Motor ab. In der Stille wirkte der Ort sehr viel entlegener und verlassener, als Saba es sich jemals vorgestellt hatte. Sie blickte in den Himmel. Es gab keine Kampfflugzeuge, nur einen halben Mond. Er hing am Himmel wie der sichelförmige goldene Ring, den ihre Großmutter in der Nase getragen hatte.

      Saba betrachtete die Hütte im Scheinwerferlicht. Ihre Mutter murmelte Gebete und weinte. Saba konnte sich nicht erinnern, wann sie ihre Mutter zum letzten Mal hatte lächeln sehen oder lachen hören.

      Tahir kletterte aus der Kabine und humpelte zur Vorderseite seines Wagens. Als er die Motorhaube öffnete, qualmte es. Saba trat hinaus in die Dunkelheit. Wir sind die Ersten im Lager, dachte sie. Außer ihnen war niemand zu sehen, nicht einmal ein Beamter zu ihrem Empfang. Sie wollte Tahir fragen, als sie von einem Lichtschein in ihrem Rücken abgelenkt wurde. Sie drehte sich zur Ladefläche um, wo Hagos auf Jutesäcken saß. Seine Taschenlampe beleuchtete einen runden Handspiegel, in dem er sein Gesicht von allen Seiten begutachtete.

      Als Saba zu Hause ihre Bücher einpacken wollte, hatte ihre Mutter sie daran gehindert, denn die Schmuggler verlangten für jede zusätzliche Tasche extra Geld. Und während sie Kleider und Unterwäsche in mehreren Schichten übereinander tragen konnte, war das mit Büchern nicht möglich. Deshalb hatte sie vor dem Aufbruch Tag und Nacht ihre Lieblingspassagen auswendig gelernt.

      Hagos jedoch hatte diesen fragilen Gegenstand mitgenommen, obwohl die Schmuggler die Flüchtlinge vor dem Aufbruch gewarnt hatten: Sogar Menschen zerbrechen auf dem Weg in die Sicherheit, sagten sie, und Spiegel erst recht.

      Hagos kletterte vom Lkw und sank in Sabas ausgebreitete Arme. Seine Haut duftete nach Jasmin, als sie ihn fester an sich drückte. Sie griff nach seiner Hand, den Blick auf eine runde Hütte mit einem konisch geformten Strohdach gerichtet. Auf einem der Büsche, die die Hütte säumten, saß ein Nachtfalter. Die fluoreszierenden Kreise auf seinen Flügeln leuchteten im Licht der Scheinwerfer.

      Ein fernes Brummen steigerte sich zu einem lauten Getöse, als ein Lkw nach dem anderen im Lager eintraf. Lärm brach los. Kinder kreischten. Gott wurde angerufen. Freudentriller vermischten sich mit Schluchzern. Und als sich die Lkws verteilt hatten und verschiedene Areale erhellten, sah man Bruchstücke des Lagers aufleuchten, die einander zu spiegeln und sich im Schlagschatten der Hütten zu vervielfältigen schienen.

      Die Leute stiegen von ihren Lastwagen herunter. Ihre Silhouetten wanderten über die Wände der Hütten. Männer und Frauen, emsig wie Ameisen, trugen ihre Habseligkeiten auf dem Rücken und auf dem Kopf. Jutesäcke. In Tücher oder gabis gewickelte Kleider. Herde mit Kochplatten aus Lehm. Kinder, festgebunden auf dem Rücken ihrer Mutter. Eine Frau hatte ihren Mann huckepack genommen, er schlang die Beine um ihre Hüften und die Arme um ihren Hals. Keuchend schleppte sie sich an Saba vorbei.

      Bevor Tahir aufbrach, zog er einen Stift aus der Tasche. Hagos, sagte er, in deinem Alter war ich wie du. Auch ich war schweigsam, bis ich einen Stift fand.

      Aber Hagos griff nicht nach dem Stift.

      Mein Sohn kann weder schreiben noch lesen noch sprechen, sagte seine Mutter.

      Tahir sah den Zwanzigjährigen an. Ist das wahr, Hagos?

      Hagos starrte an Tahir vorbei vor sich hin.

      Saba nickte. Ja, es ist wahr.

      Tahir fuhr los. Und sofort vermisste Saba den Geruch der Fahrerkabine, die sonnengedörrten Früchte auf dem mit Wildleder überzogenen Armaturenbrett und die Datteln, die seine Eltern am Nilbogen geerntet hatten. Sie vermisste die Freigebigkeit, die aus Tahirs Hand floss. Seine Hand, die ihr Orangen und Wasser gereicht und gestikuliert hatte, als er von seiner Kindheit unter britischer Herrschaft erzählte. Er hatte seine Zunge in kaltes Wasser tauchen müssen, als könnte er nur dann wie die Menschen im Norden sprechen, wenn er seine Wurzeln erfrieren ließ. Auch seine Art, Arabisch zu sprechen, hatte er beibehalten, und er dehnte die Wörter so, dass auf seiner Zungenspitze jede Silbe ihr Leben verlängerte. Im Lager würde Saba diesen Akzent kaum wieder hören. Ihre Gedanken verdüsterten sich, als immer mehr Lkws aufbrachen.

      Sie musterte die Holztür, deren Risse im Licht der Taschenlampe sichtbar wurden. Gestank drang heraus. Und Dunkelheit. Hagos hielt ihre Hand, als er die Tür aufstieß. Sabas Brust zog sich zusammen. Sie drehte sich um und rang nach Luft. Ein Nagel in dem niedrigen Türrahmen riss ihr die Haarnadel heraus. Die verschwitzten Locken fielen ihr ins Gesicht und über die Augen.

      Hier werden wir wohnen, sagte ihre Mutter und band das Tuch fester um ihre Hüften, um die Kreuzschmerzen zu lindern. Seit ihrem Aufbruch, als sie alle drei auf dem Rücken eines Kamels auf einer Matratze zusammengekauert saßen, tat ihr das Kreuz weh.

      Hagos band Sabas dickes langes Haar im Nacken zu einem Knoten zusammen. Seine Schwester folgte ihm ins Innere der nach Dung stinkenden Hütte. Der Strahl seiner Taschenlampe wanderte durch den Raum. Aus dem Strohdach schossen Insekten hervor. Saba beobachtete einen Nachtfalter, dessen Flügel in der schweren Luft flatterten. Hagos reichte ihr die Taschenlampe und ging hinaus.

      Der Holzpfahl in der Mitte der Hütte war aus einem dünnen knorrigen Baumstamm gezimmert. Er verlief bis ganz nach oben und trug das Dach. Saba hoffte, nicht dagegen zu stoßen.

      Hagos kam mit Jutesäcken zurück, sein Gesicht erleuchtet von dem grellen Licht in Sabas Hand. Während er die Säcke entlang der Wand aneinanderreihte, versuchte auch sie, die Fassung wiederzugewinnen. Ihre Mutter musste sich dringend ausruhen. Das wurde Saba klar, als Hagos aus einem der Säcke eine Decke herauszog. Sie beobachtete seine Bewegungen und fragte sich, ob sie für ihre Mutter jemals so gut würde sorgen können wie er.

      Die dünnen Decken seien vorerst ihre Schlafmatten, erklärte die Mutter.

      Saba und Hagos packten die Decke an den Enden, schüttelten sie aus und legten sie auf den nackten Boden neben der Wand. Sie husteten im Chor. Saba streifte den Staub von ihrem schwarzen Kleid, während Hagos der Mutter half, sich auf ihre Decke zu legen. Ihr Bett. Er faltete einen Schal zu einem СКАЧАТЬ