Название: Lieber Tod, wir müssen reden
Автор: Muriel Marondel
Издательство: Bookwire
Жанр: Зарубежная психология
isbn: 9783831269266
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»Das war alles nur ein Traum.«
Und ich wollt, ich könnt dich tragen,
weit weg von Zeit und Raum.
Und könnt dir morgen einfach sagen:
»Das war alles nur ein böser Traum.«
Klagelied
Jede Zelle, sie liegt brach.
Ich höre Lachen, Gläser klingen.
Irgendwo, hier, unten, da,
Schaumblasen, die nach oben schwingen.
Mit Kraft in meinem Bein – der letzten –
werde ich jetzt Anlauf nehmen.
Die Straßen hier werd ich besetzen,
und fest und starr, da werd ich stehen.
Und jedes Fahrzeug werd ich stoppen.
Die Stecker eurer Töne ziehen.
Und zünden werd ich eine Wolke,
im Rauch, da werd ich niederknien.
Kein Weg, der führt vorbei an mir,
so, wie mir auch kein Ausweg blieb.
Wie eine Säule werd ich mahnen
mit nackten Füßen, leer geliebt.
Und hallen werden meine Worte
in euren lauen Sommern, nachts.
Und nur mit dem, was ich jetzt trage,
leg ich sie nieder – meine Klage.
Sei still für mich, werd leise Welt.
Bis du den Schleier hören kannst,
der flackert hier vor meinem Blick,
verdüstert, rau und ohne Glanz.
Wisst ihr denn nicht, was ich verlor?
Wisst ihr denn nicht, was hier jetzt fehlt?
Halt an, Welt, ihr da, haltet an.
Könnt ihr nicht sehen, was mich nachts quält?
Die tiefe Stimme meines Lebens,
die Wurzel meines rechten Beins,
der linke Flügel – eine Richtung,
die ich verloren hab – so scheint’s.
Die Arme, die mich hielten,
die ersten, Schritt für Schritt.
Ein Boden – doppelt – für mein Herz,
hab mich getraut. Es bleibt nichts. Schmerz.
Die stille Wand in meinem Rücken,
der Windhauch, der jetzt weiter muss.
Die Hilfe, die ich manchmal nahm
und die ich gab, bis ganz zum Schluss.
Ein kleines Lächeln, strenge Töne,
mich schlafend tragend – starker Arm.
Nichts kann’s ersetzen, nichts mir geben
die Güte, die ich hier bekam.
Kein Weg, der führt vorbei an mir,
so, wie mir auch kein Ausweg blieb.
Wie eine Säule werd ich mahnen,
mit nackten Füßen, leer geliebt.
Und hallen werden meine Worte
in euren lauen Sommern, nachts.
Und nur mit dem, was ich jetzt trage,
versiegt sie langsam – meine Klage.
Milch und Honig
Sartre sagte, dass die Erinnerung das einzige Paradies ist, aus dem wir nicht vertrieben werden können. Entweder war Sartre ignorant, oder er vergaß zu erwähnen, dass die Erinnerung gleichermaßen eine ultimative Hölle sein kann, aus der wir partout nicht entfliehen können. Wenn ich morgens aufwache, bleiben mir ungefähr 15 Sekunden. 15 Sekunden exquisiter Gedächtnisstörung. 15 Sekunden, in denen ich glaube, dass mein Leben das einer ganz normalen Berliner Endzwanzigerin ist, die sich höchstens – allerhöchstens – damit auseinandersetzen muss, dass ihr hundsgemeiner Freund sie verlassen hat. Aber nicht damit, dass ihr hundsgemeiner Freund sie verlassen hat, nachdem ihr Vater vor ihren Augen elendig und unwiderruflich zugrunde gegangen ist.
15 Sekunden wohlig warmer Amnesie. Wohlig warm wie Milch und Honig. Wusste dieser verdammte Sartre nicht, dass die Flüsse im Paradies mit Milch und Honig gefüllt waren?
Nach den 15 Sekunden Erinnerungs-Schonfrist knallt es dann. Ich höre sie schon kommen.
Eine schwere Eistruhe landet auf meinem Brustkorb und begräbt mich mit voller Wucht unter sich. Ich ächze, öffne die Augen und starre an die Decke.
»Ich hasse dich, Erinnerung. Ich hasse dich«, grummle ich, während ich versuche, mich unter der Last der tonnenschweren Erinnerungs-Eistruhe auf die Seite zu schieben. Ach, zwecklos. Es dauert mindestens 15 Minuten, bis ich es schaffen werde, mich aufzusetzen. Und dann, wenn ich mich aufgesetzt habe, wird es mindestens weitere 15 Minuten dauern, bis ich sie nach oben hieven kann. An manchen Tagen bleibe ich auch einfach paralysiert unter der Truhe liegen. Ohne mich zu bewegen, ohne zu essen und ohne etwas zu fühlen. Der Milchund-Honig-Moment stirbt jeden Morgen den Eistruhen-Tod.
Ich habe zehn Kilo verloren und auch die Fähigkeit zu weinen. Das Ende mit Mathis hat mir meine Tränen genommen, glaube ich. Ich fühle mich taub. Ich kann mir nicht erklären, warum, schließlich müsste jetzt doch alles noch schlimmer sein. Vielleicht ist der Schmerz jetzt noch eine Etage tiefer gerückt. Oder er ist übergelaufen, und irgendetwas in mir hat beschlossen, dass ich nichts mehr fühlen will. Ich halte mich manchmal daran fest, dass Mathis seine Entscheidung bereuen wird. Er kann das nicht ernst meinen. Welcher Mensch tut so etwas? Welcher Mann verlässt seine Freundin dann, wenn sie am Boden liegt? Ich war bestimmt nicht einfach. Ich war nicht mehr lustig, nicht mehr aufmerksam, nicht mehr sexy und auch nicht mehr besonders sozial. Manchmal war ich ungerecht und wollte mir nicht helfen lassen. Ich habe meine Liebe zu ihm nicht mehr fühlen können, ich konnte nichts fühlen, außerhalb meiner kleinen Welt, die von Wunden und Fragen und Ängsten übersät ist. Ich wollte ihn nicht ausschließen, er wurde von meiner Trauer einfach rausgedrängt. Das war keine bewusste Entscheidung, nichts in diesen vergangenen drei Monaten war eine bewusste Entscheidung. Ich habe trotzdem nicht an СКАЧАТЬ