Lieber Tod, wir müssen reden. Muriel Marondel
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Название: Lieber Tod, wir müssen reden

Автор: Muriel Marondel

Издательство: Bookwire

Жанр: Зарубежная психология

Серия:

isbn: 9783831269266

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СКАЧАТЬ könne nichts daran ändern, sagt er.

      »Du könntest doch an mich glauben, du hättest doch noch warten können. Ich war doch immer loyal. Ich suche ja Hilfe, du siehst doch, wie verzweifelt ich bin«, sage ich. »Ich kann doch nichts dafür, Mathis, ich habe mir das nicht ausgesucht!«

      Ich sage, ich fühle mich verraten.

      »Wir waren doch eine Einheit, wir waren doch vor einigen Monaten noch eine Einheit«, will ich schreien, aber ich flüstere es nur.

      »Wir können Freunde bleiben«, sagt er. »Melde dich, wenn du etwas brauchst.«

      Ich sage nichts.

      Dann legen wir auf.

      Ich sitze auf dem Bett und frage mich, ob ich meinen Kopf gegen die Wand schlagen soll. So lange, bis er blutet oder bis ich tot bin. Er hat mich allein gelassen. In meiner Dunkelheit, jetzt, wo sie etwas heller geworden war. Das passiert nicht. Es darf gerade einfach nicht passieren.

      Ich renne hinaus vor die Haustür. »Hat jemand eine Kippe?«, frage ich.

      Ich rauche, mir wird schwindelig.

      Ich will sterben. Ich will das nicht fühlen. Nicht auch noch das. Ich will nicht mehr atmen. Ich halte die Luft an. Ich will zu meinem Vater, dorthin, wo er ist. Ich will sterben. Alles brennt. Alles in mir brennt. Ich glaube, durchzudrehen. Ich gehe um den Block, ich zittere. Ich stelle mir vor, in das nächste Auto zu laufen und mich überfahren zu lassen. Irgendwann ende ich auf einer Parkbank. Dort sitze ich und starre stundenlang in die Nacht.

      Ich wollt, ich könnt dich tragen

      Ich erinnere mich noch genau an den Moment, an dem mir klar wurde, dass Papa sterben würde. An jenen Moment, in dem sich das Gefühl der absoluten Ohnmacht ob der Erbarmungslosigkeit des Todes das erste Mal in mir ausbreitete …

      Dezember 2014; ich befinde mich in einer Phase, in der mein Leben von großen Träumen und Erwartungen geprägt ist. Eine Karriere muss sein. Ich will unbedingt etwas erreichen in meinem Leben. Ich habe gerade eine Ausbildung zur Moderatorin an einer Journalistenschule abgeschlossen. Die glitzernde Welt des Fernsehens ruft, ich werde von TV-Sendern zu meinen ersten Castings eingeladen. Vom Wunsch nach Anerkennung und Erfolg getrieben, spielt sich in meinem Inneren ein ganz anderer Film ab, als der, den mir die Realität schließlich präsentiert. Diese – meine – Realität steht in hartem Kontrast zu dem, was ich für mein Leben geplant habe. In Köln werde ich für eine Nachrichtensendung gecastet.

      Ich habe am Vortag von meiner Mutter erfahren, dass sich Papa seit einigen Tagen nicht wohlfühlt. Neun Monate zuvor hatte man ihm einen Tumor aus der Speiseröhre entfernt. Seitdem ist sein Körper frei von Krebszellen gewesen.

      Ein ungutes Gefühl beschleicht mich. Die Nacht vor meinem Casting wälze ich mich unruhig in meinem Hotelbett hin und her, und weil ich nicht schlafen kann, knipse ich das Licht an und lerne meine Texte immer wieder. Aber es hilft nichts. Meine Leistung am kommenden Tag ist katastrophal. Ich kann mich nicht konzentrieren, meine Gedanken kreisen nur darum, dass Papas Krankheit womöglich wieder zurückgekommen sein könnte. Ich verhasple mich bei jedem Aufsager, und anhand der Gesichter des Filmteams wird mir schnell klar, dass sich die Chancen auf den Job wohl mit jedem Versuch minimieren.

      Doch ich begegne dieser Tatsache mit einer gewissen Gleichgültigkeit. Im Hinblick auf das, was mir bevorstehen könnte, im Angesicht des Verlusts meines Vaters, wirkt jeder noch so tolle TV-Job geradezu banal. Hätte ich die Möglichkeit, meinen Erfolg gegen Papas Weiterleben zu tauschen, würde ich diesen Tausch natürlich ohne das leiseste Zucken meiner Wimpern eingehen. Ich würde alles dafür geben, dass Papa überlebt. Diese Möglichkeit habe ich aber natürlich nicht. Und das Warten auf das Schicksal ist eine einzige Quälerei. Und so fahre ich noch am selben Abend mit dem Zug zu meinen Eltern. Dort angekommen, lege ich meine Sachen ab und gehe in die Küche, um mir erst einmal einen Tee zu kochen. Plötzlich steht Papa in der Tür. Ich habe ihn zwei Monate nicht gesehen und werfe einen kurzen Blick in sein hageres, farbloses Gesicht. Da weiß ich es.

      »Hallo«, sagt er versonnen und sieht mich sehr intensiv an. So, als ob er durch meine Reaktion erkennen möchte, wie schlimm es um ihn steht.

      »Hallo, Papa, wie schön, dich zu sehen«, sage ich, und am Zittern meiner Stimme kann er wohl erkennen, welche Kraft ich benötige, mich darauf zu konzentrieren, die Flüssigkeit, die sich merklich den Weg aus meinen Tränendrüsen sucht, nicht hervortreten zu lassen.

      »Was ist?«, fragt er und fixiert mich weiter mit seinem Blick.

      Wäre ich ehrlich, würde ich jetzt sagen: »Ich glaube, du wirst nicht mehr lange leben, Papa. Und ich zerbreche gerade in tausend Teile.« Aber wer kann so was schon sagen. Stattdessen versichere ich ihm, dass alles okay ist. »Ich bin nur müde, Papa.« Ich umarme ihn und sage, dass ich gleich zu ihm ins Wohnzimmer kommen würde.

      Am nächsten Tag fährt er zur Untersuchung ins Klinikum. Meine Mutter und ich warten zu Hause. Wir haben kein gutes Gefühl. Wir wissen es eigentlich beide. Aber das Restfünkchen Hoffnung, das, was uns Menschen immer wieder antreibt und vielleicht das Leben manchmal erst lebenswert macht, das ist auch in diesen Stunden des Wartens immer noch vorhanden.

      Dann kommt der Anruf. Es ist ein sehr stilles Telefonat. »Okay«, sagt Mama. »Kommst du heim?« Mama sagt mir, was ich bereits weiß. »Der Krebs hat gestreut. Papa kann nicht mehr geheilt werden.«

      Wir sitzen da. Und warten weiter. Warten auf Papa. Und können nichts mehr tun. Wir können ihm keine Hoffnung mehr machen. Jedes Wort der Hoffnung wäre ein Schlag in Papas Gesicht. Was wird jetzt noch zählen?

      Eine Stunde später betritt mein Vater das Haus. Da steht er. Dem Tode geweiht. Er sieht so aus, wie er immer aussah, wenn er von unterwegs nach Hause kam. Nur ohne seine übliche Gehetztheit. Er wird von nun an nicht mehr gehetzt sein. Das weiß ich.

      Papa sieht uns an.

      »Ja …«, sagt er und zuckt leicht mit den Schultern. Einfach nur »Ja«. So, als würde er sagen: Tut mir leid, dass ich es nicht geschafft habe.

      Dann setzt er sich zwischen Mama und mich. Wir halten seine Hände. Mama links, ich rechts. Papa senkt den Kopf. Wir sprechen nicht, aber weinen viele Tränen.

      Ich kann ihm nicht sagen, was ich fühle. Einige Stunden später nehme ich ein Blatt Papier zur Hand. Darauf notiere ich folgende Zeilen:

      Du warst immer da,

      großer, starker Mann.

      Hast so laut gebrüllt,

      wie nur ein Löwe brüllen kann.

      Jetzt bist du schwach geworden,

      klammerst dich an meine Hand.

      Und Worte können nicht beschreiben,

      was ich dir jetzt nicht sagen kann.

      Von jetzt auf gleich hat deine Welt ihre Umlaufbahn verlassen.

      Und du fliegst allein im freien Fall ins tiefe dunkle All.

      Von jetzt auf gleich hat meine Welt ihre Umlaufbahn verlassen.

      Und ich flieg allein im freien Fall ins tiefe dunkle All.

      Und ich wollt, ich könnt dich tragen,

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