Название: Sei dir selbst eine Insel
Автор: Ayya Khema
Издательство: Bookwire
Жанр: Сделай Сам
isbn: 9783931274597
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Oft wählen wir uns aus einem Dutzend Leuten eine oder zwei oder drei Personen aus, auf die wir uns näher einlassen und sagen uns: »Das sind wohl die Besten. Mit ihnen scheine ich gut auszukommen, also halte ich mich auch an sie. Über die anderen will ich einfach hinwegsehen. Ich werde nicht gemein zu ihnen sein, aber ich werde auch nicht viel mit ihnen reden.« Das ist keine gemeinschaftsförderliche Art des Gruppenumgangs. Gemeinschaft heißt: alle zusammen. Jedes Mitglied der Gemeinschaft hat die Pflicht und das Privileg zu lernen, mit jedem anderen Mitglied der Gemeinschaft gesunde und mitmenschliche Beziehungen zu pflegen.
Wie nun können wir diese Beziehungen gesund, zu einem Erfolg machen? Wie können wir miteinander umgehen, dass keine oder zumindest so selten wie möglich Missverständnisse auftreten? Wie sollten wir uns verhalten, dass wir an unserem Zusammensein Freude haben?
Die Lehrrede von der Liebenden Güte (Karaṇīya Mettā Sutta) gibt uns einen Hinweis. Es beschreibt den Heilssucher als einen Menschen, der leicht ansprechbar ist. Habt ihr schon einmal darüber nachgedacht, was dies bedeutet? Leicht ansprechbar ist der Mensch, der seinen eigenen Standpunkt bereitwillig aufgibt und sich in die Lage des anderen hineinversetzen kann. Mit diesem Menschen kann man reden. Er wird auch bereit und fähig sein, jederzeit zuzugeben, dass er einen Fehler gemacht hat, und diesen Fehler ehrlich bedauern. Wenn er sagt, dass ihm etwas leid tut, meint er es auch. Außerdem wird er auf Vorhaltungen nicht gleich aufbrausend antworten, sondern erst einmal zuhören.
Wer leicht ansprechbar ist, kann wirklich hinhören. Wenn wir angesprochen werden, müssen wir hinhören, was man uns sagt. Wir müssen zuhören. Zuhören und bloß hören sind jedoch nicht ein und dasselbe. Ich sage zu dir oder zu dir oder zu dir: »Du hörst mir nicht zu!« Du antwortest: »Oh, ich höre schon, was du mir sagen willst.« Bemerkt ihr den Unterschied? Es ist nicht dasselbe »Hören« gemeint. Natürlich hören wir irgendetwas. Klangschwingungen rauschen durch unsere Ohrmuscheln. Aber das ist noch kein Zuhören. Zuhören ist etwas ganz anderes.
Wenn zwei Menschen miteinander sprechen, sollten sie einander zuhören. Zuhören heißt, dass wir das Gesagte so aufnehmen, wie es tatsächlich gesagt wird, anstatt sogleich unseren eigenen Kommentar dazu zu vernehmen. Das ist überhaupt einer der schlimmsten Verstöße gegen das Zuhören, besonders wenn wir uns an sich für einen guten Zuhörer halten. Zuhören heißt, dass wir vollkommen leer sind, und vielleicht noch, dass wir, wenn notwendig, einfühlsam auf das Gehörte reagieren. Aber zuweilen ist nicht einmal dies nötig. Zuweilen müssen wir das Gesagte nur auf uns wirken lassen. Wie die Rechte Rede ist auch das Zuhören eine besondere Fertigkeit, ja eine Kunst.
Es geht nicht allein darum zu hören, was uns geschildert wird. Wir müssen ganz und gar bei dem anderen Menschen sein, uns ihm vorbehaltlos öffnen. Das ist ein wichtiger Aspekt von Mitgefühl. Vollkommenes Zuhören ist Mitgefühl. Wir legen uns dann nicht unsere eigene Interpretation zurecht. Der andere möchte uns etwas sagen. In diesem Augenblick zählt das Geschwätz unseres eigenen Geistes überhaupt nicht. Wir sollten es abstellen und stattdessen bei dem anderen sein. Wir sollten zulassen, was in ihm nach Ausdruck drängt. Das ist Liebe. Allgüte. Auch was wir selbst sagen werden, muss zwangsläufig Misstöne enthalten und Unstimmigkeiten hervorrufen, wenn unsere Rede nicht von Liebe erfüllt, von Liebe getragen ist. Das wird immer wieder passieren.
Wir haben vorhin bereits die »Darlegung der Freiheit von allem Widerstreit« erwähnt. Darin sagt der Buddha sehr viel über die rechte Art zu reden. Zum Beispiel, dass wir nicht übertreiben aber auch nicht untertreiben sollten. Beides fällt in den Bereich der Lüge.
Nehmen wir einmal an, 1.500 Menschen hätten sich hier zu einer Zeremonie versammelt, und wir behaupten, es wären 15.000 gewesen, weil wir uns damit wichtigmachen wollen. Das mag absurd klingen, aber die Menschen sagen viele solcher absurden Dinge. Und sie sind gar nicht glücklich, wenn man sie darauf aufmerksam macht. Klingen Übertreibungen und Beschönigungen nicht so viel besser und wichtiger als Tatsachen?
Untertreibungen und Geringschätzungen sind ebenfalls unsauber. Nehmen wir an, ihr sagt zu einem anderen Mitglied unserer Gemeinschaft: »Du grüßt mich morgens nie als Erste. Immer wartest du darauf, dass ich dich grüße.« Vielleicht grüßt sie euch tatsächlich selten zuerst. Aber niemals? Das ist untertrieben. Es ist einfach nicht wahr. Was heißt das? Nun, es heißt, dass wir darauf achten müssen, was wir sagen. Wir müssen uns unsere Worte überlegen. Sprudeln sie einfach nur impulsiv aus uns heraus, mögen sie zwar trotzdem stimmen, aber sie können auch falsch sein. Die Chancen stehen fünfzig zu fünfzig. Vermeidet dieses Risiko. Ihr habt genug Zeit nachzudenken.
In bestimmten Situationen kommen wir nicht daran vorbei, einem anderen Menschen zu sagen, was zu tun oder was zu unterlassen ist. Zum Beispiel: »Ich kann bei geschlossenem (oder offenem) Fenster nicht schlafen.« Manchmal müssen wir auch unser Missfallen bekunden: »Du trittst mir auf den Zehen herum. Das tut mir weh«, oder was wir uns dergleichen sonst noch zu sagen haben. Das ist vollkommen in Ordnung, nur: Nehmt euch Zeit! Lasst es nicht impulsiv aus euch herausplatzen. Nehmt euch die Zeit, alle Emotionen abkühlen zu lassen. Findet zuerst euren Gleichmut. Seid ihr dann zur Ruhe gekommen, erinnert ihr euch an die vielen guten Seiten des Menschen, den ihr gleich ansprechen werdet, oder zumindest an eine gute Eigenschaft. Ihr könnt dann ganz ungezwungen auf ihn zugehen und sagen, was ihr auf dem Herzen habt. Das ist nun ganz leicht, denn ihr tut es wohlwollend, mit Liebe.
Steht hingegen keine Liebe hinter euren Worten, muss eure Bemühung um Verständigung zwangsläufig scheitern. Ihr stoßt dann nur auf Ablehnung und erntet Missverständnis. »Ich verstehe wirklich nicht, was du mir damit sagen willst«, ist noch die sanfteste Antwort, mit der ihr in diesem Fall zu rechnen habt. In den meisten Fällen wird man euch nur eisige Ablehnung fühlen lassen. Ihr seid nicht nur verletzt worden, man hat euch außerdem beleidigt. Ihr wolltet eine negative Situation bereinigen und habt bei dem Versuch, dies zu tun, eine zweite negative Reaktion einstecken müssen.
Achtsamkeit und klares Verständnis sind unbedingt erforderlich, je mehr davon, desto besser. Klares Verständnis ist das Gegenteil von Verworrenheit. Und natürlich müssen wir diese Klarheit im Alltag und in der Meditation schulen. Gewöhnlich benutzen wir nur einen kleinen Bruchteil der uns verfügbaren Zeit für diese Schulung.
In seiner »Darlegung der Freiheit von allem Widerstreit« gebraucht der Buddha eine außerordentlich hilfreiche Formulierung. Er sagt dort: »Sage nicht, was du sagen willst, wenn es verletzend sein könnte und obendrein unwahr ist. Auch wenn du etwas sagen möchtest, dass zwar hilfreich, aber leider unwahr ist, solltest du es besser nicht sagen. Hast du etwas als wahr erkannt, so sprich es trotzdem nicht aus, wenn es verletzt. Und selbst wenn du etwas erkannt hast, das hilfreich und wahr zugleich ist, solltest du den rechten Moment abwarten, bevor du es sagst.« – Der richtige Moment kann in zehn Minuten gekommen sein – oder zehn Tage, zehn Monate später.
Es gibt Augenblicke, da weiß man einfach, dass der andere gerade mitten in einem Prozess innerer Veränderung steckt, zumindest hat man den Eindruck. In dieser Situation sagt man wahrscheinlich am besten gar nichts. Irgendetwas stimmt bei uns allen nicht. Wir können nicht jede Kleinigkeit erwähnen. Das ist unmöglich. Wir würden nie mehr aus dem Reden herauskommen. Gewisse Dinge müssen jedoch gesagt werden, zumindest manchmal. In einem anderen Moment ist es dann besser, gar nichts zu sagen. Warum auch? Was jetzt ist, wird ohnehin bald anders sein. Alles wandelt sich.
Trotzdem: Man kann jedem Menschen sagen, was man ihm sagen möchte, vorausgesetzt, es ist hilfreich, vorausgesetzt, es ist wahr. Es muss nicht unbedingt anerkennend oder übermäßig verständnisvoll sein. Aber es muss Liebe dahinter stehen, und es muss im richtigen Augenblick gesagt werden. Dieser ist gekommen, wenn der andere wirklich hinhören kann, weil er innerlich ruhig ist, wenn er uns zu erkennen gegeben hat, dass er uns zuhören wird, und wenn wir selbst vollkommen ruhig sind. In keinem Fall ist der richtige Augenblick für ein Wort der Klarstellung gekommen, wenn noch Ärger in der Luft hängt, weil dieser oder jener Fehler gemacht, dieses oder jenes versäumt wurde. Dies bedeutet, dass wir uns fortwährend prüfen СКАЧАТЬ