Berliner Filz. Horst Bosetzky
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Berliner Filz - Horst Bosetzky страница 8

Название: Berliner Filz

Автор: Horst Bosetzky

Издательство: Автор

Жанр: Исторические детективы

Серия:

isbn: 9783955520267

isbn:

СКАЧАТЬ die SPD eingetreten und hätte es bis in den Reichstag gebracht, wenn nicht 1933 die Nationalsozialisten die Macht ergriffen hätten. So war ihm nur das Abtauchen geblieben. Dennoch war er als «Politischer» verhaftet worden. Nach seiner Entlassung hatte er sich erst als Arbeitsloser durchgeschlagen und war dann in verschiedenen Positionen in der pharmazeutischen Industrie tätig gewesen. Nach dem Krieg hatte er als Redakteur und Dozent in Leipzig gearbeitet und war schließlich in den Westen gegangen, um sich an der FU zu habilitieren und mitzuhelfen, das Institut für Soziologie zu gründen. 1951 war er Außerordentlicher und 1954 Ordentlicher Professor für Soziologie und Politische Wissenschaft geworden.

      Nicht minder sympathisch waren seine beiden Assistenten, die doctores Günter Hartfiel und Jürgen Fijalkowski. Hartfiel war es auch, der nach ein paar einleitenden Worten Arys und Pandelwitz nach vorn rief und sie bat, die Anwesenden mit ihrem Referat intellektuell zu erfreuen.

      Arys begann mit der These, dass der Begriff Anarchismus im Allgemeinen sehr negativ besetzt sei, und belegte dies mit einem Zitat von Paul Elzacher aus dem Jahre 1912. Demnach setzen sich die Anhänger des Anarchismus das Ziel, durch schwere und sinnlose Verbrechen unsere friedliche Gesellschaft zu vernichten und an ihre Stelle das Chaos zu setzen. Pandelwitz führte den Gedanken fort, indem er einige Zeilen aus einem Gedicht des Berliner Schriftstellers schottischer Herkunft John Henry Mackay vortrug: «Anarchie / ​immer geschmäht, verflucht, verstanden nie / ​bist du das Schreckbild dieser Zeit geworden / ​Auflösung aller Ordnung, rufen sie / ​seist du und nimmerendend Morden.»

      Nachdem Stammer und seine beiden Assistenten beifällig genickt hatten, kamen Arys und Pandelwitz auf die beiden größten Anarchisten Berlins zu sprechen, auf Gustav Landauer und Erich Mühsam. Arys nahm sich Landauer vor. Der hatte bei ihnen in Hermsdorf in der Schloßstraße 17 gewohnt, und Arys’ Vater, der Werksleiter bei Siemens war, hatte keine Gelegenheit ausgelassen, über ihn herzuziehen. Rainer Arys konnte sich an seinem sehr autoritären Vater rächen, indem er Landauers Schriften zu Hause las und offen herumliegen ließ.

      «Gustav Landauer ist am 7. April 1870 in Karlsruhe geboren worden und am 2. Mai 1919 in München gestorben. Studiert hat er Germanistik und Philosophie. Stark beeinflusst haben ihn dabei die anarchistischen Theorien von Bakunin und Kropotkin. Im Oktober 1889 finden wir ihn zum ersten Mal in Berlin, noch als Studenten. Später, um 1901, wohnt er in Friedrichshagen, wo er Kontakte zum dortigen Dichterkreis unterhält, und anschließend lebt er in Hermsdorf. Im Oktober 1893 wird er erstmals verhaftet und wegen der ‹Aufforderung zum Ungehorsam gegen die Staatsgewalt› zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt. Ende des Ersten Weltkriegs ist er an vorderster Stelle dabei, als in München die Räterepublik errichtet wird. Nach deren Niederschlagung wird er verhaftet und von Freikorps-Soldaten ermordet.» Damit ließ es Arys an Biografischem genug sein und kam zu den Thesen Landauers. «Nun zu dem, was er Ethischen Anarchismus nennt, und zu seiner Geld- und Wirtschaftsphilosophie … Ziel war für ihn immer die Emanzipation von staatlicher, kirchlicher oder sonstiger gesellschaftlicher Bevormundung und die Suche nach einer Möglichkeit zur Entfaltung des Einzelnen in dem seiner Meinung nach allein sinngebenden Zusammenhang der Gemeinschaft. Die Individuen sollen sich auf freiwilliger Basis in kleinen sozialistischen Gemeinden zusammenschließen, die sich dann frei assoziierend zusammenfügen. Das Privateigentum an Boden solle aufgehoben werden, es solle eine gerechte Tauschwirtschaft geben, in der alle Übel des Geldes und des Zinses aufgehoben seien.»

      Nachdem Arys geschlossen hatte, referierte Pandelwitz über Erich Mühsam. «Mühsam ist am 6. April 1878 als Kind jüdischer Eltern in Berlin geboren und in Lübeck aufgewachsen. 1896 musste er wegen ‹sozialdemokratischer Umtriebe› nach Parchim gehen, um dort die Mittlere Reife abzulegen. Anschließend absolvierte er eine Apothekerlehre in Lübeck, und 1902 wurde er in Berlin Redakteur bei der anarchistischen Zeitschrift Der arme Teufel. Doch bei uns hielt es ihn nicht lange, er wanderte durch halb Europa und ließ sich 1909 in München nieder, wo er alsbald zum Mittelpunkt der Schwabinger Boheme werden sollte. Um das Proletariat, also die von der Gesellschaft Geächteten wie Landstreicher, Bettler, Huren und Verbrecher, für seine Ideologie zu gewinnen, gründete er die Gruppen ‹Tat› und ‹Anarchist› – und wurde prompt wegen ‹Geheimbündelei› angeklagt, später aber freigesprochen. Sein Geld verdiente sich Erich Mühsam als Mitarbeiter eines Münchner Kabaretts und verschiedener satirischer Zeitschriften wie des Simplicissimus und der Jugend. Von 1911 bis 1919 gab er die Zeitschrift für Menschlichkeit heraus, Kain betitelt. 1918 gehörte er zu den Anführern der Münchener Räterepublik und wurde nach deren Niederschlagung zu fünfzehn Jahren Festungshaft verurteilt, von denen er fünf absitzen musste. Nach seiner Entlassung zog er 1924 wieder nach Berlin, wo er sich in der KPD-nahen Roten Hilfe engagierte, einer Gefangenenhilfsorganisation. 1932 verfasste er seine programmatische Schrift Die Befreiung der Gesellschaft vom Staat. 1933 wurde er von der SA verhaftet und von SS-Männern ermordet. Er schreibt: Im Staat erkenne ich früh das Instrument zur Konservierung all der Kräfte, aus denen die Unbilligkeit der gesellschaftlichen Einrichtungen erwachsen ist. Die Bekämpfung des Staates in seinen wesentlichen Erscheinungsformen – Kapitalismus, Imperialismus, Militarismus, Klassenherrschaft, Zweckjustiz und Unterdrückung in jeder Gestalt – war und ist der Impuls meines öffentlichen Wirkens.»

      Stammer und seine Assistenten lobten Pandelwitz’ und Arys’ Ausführungen, und es konnte nun diskutiert werden. Das war die Chance derjenigen Studenten, die der Devise «Ich rede, also bin ich» anhingen.

      Einer warf Arys und Pandelwitz vor, sie hätten den anarchistischen Sozialdemokraten und Gewerkschafter Raphael Friedberg vergessen, den Verfechter des Generalstreiks, aber auch den Anarchisten Augustin Souchy aus Berlin-Wilmersdorf, der die Bilanz seines Lebens mit den Worten Viel erstrebt, wenig erreicht zusammengefasst hatte.

      «Na, Gott sei Dank!», riefen mehrere Kommilitonen, die der Meinung waren, ohne einen starken Staat ging es nicht, was wiederum die auf den Plan rief, die der FDP nahestanden und so wenig Staat wie möglich wollten.

      Die Diskussion wurde abschließend als fruchtbar bezeichnet, und man war allseits zufrieden. Nach Ende der Lehrveranstaltung eilten sie alle zur feierlichen Einweihung des neuen Gebäudes für das Otto-Suhr-Institut in der Ihnestraße 21. Dabei fiel Arys und Pandelwitz ein Kommilitone auf, der dem RCDS, dem Ring Christlich-Demokratischer Studenten, angehörte und gern Vorsitzender des Allgemeinen Studenten-Ausschusses geworden wäre, aber als Mitglied der schlagenden Burschenschaft Saravia viele Gegner und Feinde hatte: Eberhard Diepgen. Dass der einmal Regierender Bürgermeister werden würde, ahnte noch niemand.

      Für Arys und Pandelwitz wurde es schließlich Zeit, sich auf den Weg zu machen, wollten sie rechtzeitig bei Heinrich Koch in der Mommsenstraße sein. Mit der U-Bahn ging es zum Fehrbelliner Platz. Von dort aus fuhren sie mit dem 1er Bus Richtung Moabit bis zur Mommsenstraße. Dort, unweit der Leibnizstraße, hatte Heinrich Koch im Vorderhaus, vierte Etage, eine geräumige Wohnung gemietet. Im sogenannten Berliner Zimmer hatte sich die Mehrzahl seiner Leute schon versammelt.

      Koch war eine imposante Persönlichkeit. Eine bestimmte Wirkung erzielte er schon durch seine Größe von nahezu zwei Metern und seinen massigen Körper, der weit über zwei Zentner wog. Dazu kam, dass sein linkes Bein amputiert worden war und ihn seine Prothese eindrucksvoll humpeln ließ. Dies war nicht etwa Folge einer Kriegsverletzung, sondern seiner Zuckerkrankheit. Mit sonorer Stimme begrüßte er alle und kam gleich zum Tagesordnungspunkt Nummer eins.

      «Fluchttunnel Wollankstraße. Es war zwar keiner von uns direkt daran beteiligt, aber wir können von dem, was da geschehen ist, auf alle Fälle einiges lernen. Kelly, du weißt am besten Bescheid.»

      Kelly war eine Studentin aus Columbus, Ohio, und Arys wie Pandelwitz wären nur allzu gern mit ihr ins Bett gegangen, zögerten aber mit ihren Annäherungsversuchen, um ihre Männerfreundschaft nicht zu belasten. Jeder von ihnen beließ es deshalb bei heimlichen erotischen Fantasien.

      Kelly sprach perfekt Deutsch, allerdings mit einem putzigen Akzent. «Ich schildere СКАЧАТЬ