Razzia. Horst Bosetzky
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Название: Razzia

Автор: Horst Bosetzky

Издательство: Автор

Жанр: Исторические детективы

Серия:

isbn: 9783955520205

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СКАЧАТЬ am Beispiel einer typischen Durchschnittsfamilie unseres Jahrhunderts gezeigt. Die moderne Allegorie bringt zum Ausdruck, dass der Lebenswille des Menschen alle Katastrophen überdauert.

      Bertha Kappe würde im Sommer 82 Jahre alt werden. «Ich habe drei Kaiser überlebt», sagte sie zu ihrem Sohn, als der bei ihr am Küchentisch Platz genommen hatte, «Wilhelm I., Friedrich III. und Wilhelm II. Ich habe Friedrich Ebert, Paul von Hindenburg und Adolf Hitler überlebt. Was will ich mehr? Nun sitze ich hier in meiner Ehrenloge in der Pestalozzistraße und schaue mir von oben an, was in der Welt so passiert. Und allein bei den Kappes passiert eine ganze Menge. Der eine Enkel ist Kommunist, der andere Schieber und Tunichtgut … Immer, wenn sie wieder einen Schieber umgebracht haben, dann zittere ich und denke: Hoffentlich war der Karl-Heinz nicht dabei!»

      «Und wer ist schuld daran?», fragte Kappe. «Ich natürlich. Meine Erziehung.»

      «Ach Kind, es gibt es viele Ursachen dafür, dass Kinder so sind, wie sie sind.»

      Die Anrede «Kind» ließ Kappe schmunzeln. «Du, ich werde am 11. Februar auch schon sechzig Jahre alt.»

      Seine Mutter lachte. «Mein Kind bleibst du trotzdem. Übrigens sitze ich schon an einem Gedicht für deinen Geburtstag.»

      «Schreck lass nach!», rief Kappe. «Da bekomme ich ja wieder alle meine Sünden zu hören.»

      «Und deine Heldentaten. Vor allem, dass du dir bei Adolf nicht die Finger schmutzig gemacht hast. Darauf kannst du stolz sein.»

      Kappe winkte ab. «Die Verdienstkreuze haben eher die anderen gekriegt. Aber lassen wir das.» Er sah auf ihre große Wanduhr, deren Perpendikel ihn von jeher irritiert und geängstigt hatte, weil er so unerbittlich darauf hinwies, dass die Zeit eines jeden Menschen einmal ablief. «Ich bin um zehn Uhr verabredet – mit Hertha.»

      Die Augen seiner Mutter leuchteten auf. «Was, ihr werdet doch noch ein Paar?»

      Er antwortet barsch: «Wir sind dienstlich verabredet. Sie bereitet eine Reportage für den RIAS vor, über den Schwarzmarkthandel in Berlin, und ich soll mich nach dem Mörder dieses Schiebers in Pankow umhören. Hartmut hat mich drum gebeten, der darf ja hier in den Westsektoren nicht mehr ermitteln.»

      «Gott, ist das eine Welt!»

      «Ja, aber keine Welt wäre auch nicht gut – denn was hätten wir sonst?»

      Hermann Kappe verabschiedete sich mit dieser Bemerkung von geradezu philosophischer Qualität von seiner Mutter, natürlich mit einer herzlichen Umarmung, und strebte in Richtung Bahnhof Zoo. Seine Cousine stand schon wartend unter der großen Uhr. Und tatsächlich küsste Hertha ihn, als sei es ihr erstes Rendezvous. Dabei wurde er in drei Wochen sechzig, und so viel jünger war sie auch nicht, Jahrgang 1893.

      «The main three black market centres in the british sector appear to be Bahnhof Charlottenburg, Bahnhof Zoo and Schlüterstraße», begann Hertha Börnicke. «At Schlüterstraße the crowd consists mostly of Polish, Allied and German nationals, while at Bahnhof Charlottenburg Polish, Yugoslav, Bulgarian and other foreigners predominate.»

      «Nur gut, dass wir nicht im russischen Sektor sind», murmelte Kappe.

      «Ich wollte ja nur andeuten, dass bei vielen Geschäften Displaced Persons ihre Hände im Spiel haben.» Damit waren die Zwangsarbeiter und die Verschleppten der Naziherrschaft gemeint, die aus vielerlei Gründen noch nicht in ihre Heimatländer zurückgekehrt waren. Sie bekamen größere Lebensmittelrationen und konnten knappe Güter des täglichen Bedarfs leichter erwerben, hatten also mehr zum Tauschen.

      «Was wollen wir denn alles abklappern?», fragte Kappe.

      Hertha Börnicke holte einen Stadtplan aus der Handtasche, auf dem sie die wichtigsten Plätze für Schwarzmarktgeschäfte mit roten Kreisen versehen hatte. Es waren neben den schon erwähnten drei Orten – den Bahnhöfen Zoo und Charlottenburg sowie der Schlüterstraße – die Brunnenstraße, das Areal zwischen Reichstag und Brandenburger Tor, der Potsdamer Platz, der Alexanderplatz und die Gegend am Schlesischen Tor.

      «Hier am Zoo ist noch nicht viel los», stellte Hertha Börnicke fest. «Ich schlage mal vor, wir fahren zum Brandenburger Tor.»

      «Wieso ist hier noch nicht viel los?», fragte Kappe. «Es singen doch alle: Cia – cia – cio, / Schieber steh’n am Bahnhof Zoo! / Amis, Stella und Orient, / das sind die Marken, die ein jeder Schieber kennt.»

      «Warum keiner hier steht?» Hertha Börnicke sah sich um. «Es wird gerade eine Razzia gegeben haben. Komm, wir fahren mit der Stadtbahn bis Lehrter Bahnhof, und dann sehen wir weiter.»

      «Wenn ich das Wort Razzia höre, zucke ich immer zusammen», sagte Kappe.

      Hertha Börnicke lachte. «Kein Wunder, das Wort kommt aus dem Arabischen – ghazwa heißt so viel wie Kriegszug, Raubzug, Angriffsschlacht.»

      «Mann, bist du gebildet!», lästerte Kappe.

      «Zumindest gebildeter als Klara», gab seine Cousine mit spitzer Zunge zurück.

      Vom Lehrter Bahnhof war es nicht weit zu laufen. Am Brandenburger Tor schien sich tout Berlin versammelt zu haben.

      «Hier ist es so schwarz von Menschen, dass ich endlich weiß, warum es schwarzer Markt heißt», sagte Kappe.

      Hertha Börnicke hörte gar nicht richtig hin, denn ihr war etwas aufgefallen, das sie sofort auf ihrem Notizblock festhalten musste. «Guck mal, die amerikanischen Soldaten wickeln ihre Geschäfte vom Auto aus ab.»

      «Besser als vom Panzer aus», sagte Kappe.

      Von amerikanischen, englischen und russischen Soldaten wurde alles gekauft, was es an Uhren, Kleidungsstücken, Ringen, Juwelen, Stiefeln, Ferngläsern, Fotoapparaten, Rasiermessern, Pelzmänteln und seidener Damenwäsche in den Berliner Haushalten noch gab. Ausgehungerte Menschen brachten ihr letztes Schmuckstück und tauschten dafür Essbares ein, Brot, Butter, Wurst, Speck und Zucker. Die Nikotinsüchtigen waren auf Zigaretten aus.

      «Eine Stange mit zweihundert Zigaretten kostet den GI weniger als einen Dollar», wusste Hertha Börnicke zu berichten. «Und hier auf dem schwarzen Markt kriegt er für eine einzelne Zigarette unter Umständen fünf Reichsmark. So kann er aus einem Dollar tausend Reichsmark machen. Jeder Zigarettenschieber verdient sich eine goldene Nase.»

      Kappe lachte. «Es lebe die Zigarettenwährung!»

      Sie fädelten sich ein in den träge dahinfließenden Menschenstrom. Es war wie bei einer großen Prozession. Alle gaben sich furchtbar gleichgültig und taten so, als ob sie Selbstgespräche führten. Kappe brauchte ein paar Sekunden, um zu begreifen, dass die Leute kundtaten, was sie zu verkaufen oder zu tauschen hatten: «Brotmarken» – «Stopfnadeln» – «Eipulver» – «Schinken» – «Bohnenkaffee» – «Broschen, Ringe, Armbanduhren».

      Hertha Börnicke fiel dabei ein, dass sie ja – es sollte eine Art Selbstversuch werden – einen Ring ihres verstorbenen Vaters mitgebracht hatte. Sie holte ihn aus ihrer Handtasche und steckte ihn auf den Daumen ihrer rechten Hand, denn für den Ringfinger war er viel zu groß. Dann ging sie mit etwas abgespreizter Hand weiter und sprach dabei leise, aber durchaus hörbar vor sich hin: «Weißgold mit Blautopas … Weißgold mit Blautopas …»

      Kappe erinnerte sich an den eigentlichen Grund seines Hierseins: Er wollte sich nach dem ermordeten Schieber Peter Rembowski erkundigen. Aber wen sollte er fragen? СКАЧАТЬ