Название: Razzia
Автор: Horst Bosetzky
Издательство: Автор
Жанр: Исторические детективы
isbn: 9783955520205
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Als sich der Qualm verzogen hatte, wollte Frieda Kopisch ihre Arbeit fortsetzen, doch da kam die Heinze die Treppe hoch, dieses aufgetakelte Ami-Flittchen. Die machte jetzt auf große Dame, dabei war sie die erste Mieterin gewesen, die im letzten Winter, als alle Abflussrohre eingefroren waren, auf Zeitungspapier gekackt und das stinkende Paket dann aus dem Fenster in den Hof geworfen hatte. Eine Ladung war dicht neben Frieda Kopischs Füßen gelandet. «Vor dem Haus unten ist es glatt, da muss einer was ausgekippt haben!», rief ihr die Heinze nun zu. «Sie sollten wieder mal wischen!»
«Nee, ick warte, bis Sie sich de Beene jebrochen ham», murmelte Frieda Kopisch, wusste aber, dass die Heinze recht hatte. Also machte sie sich auf den Weg in den Keller, um sich einen Eimer voll Asche zu holen und auf dem Bürgersteig vor ihrem Mietshaus zu verteilen. Sie hasste das, denn die Leute trugen ihr hinterher die ganze hellbraune Scheiße ins Treppenhaus, doch ihr Sand war schon aufgebraucht. Der Hauseigentümer war zu geizig, davon mehr anliefern zu lassen, und so gab es nur noch Asche zum Streuen.
Gewiss, sie hatte Haare auf den Zähnen und fürchtete weder Gott noch den Teufel, doch vor dem Gang in den Keller hatte sie doch einen ziemlichen Bammel. Wie oft hatte sie im Krieg bei Fliegeralarm hier unten gesessen, zitternd, weil sie einen Volltreffer erwartete. Das war jetzt schon drei Jahre her, aber noch immer roch es hier unten nach Todesangst. Dazu kam die Dunkelheit. Elektrisches Licht gab es nicht, denn die Leute klauten andauernd die Glühbirnen. Sie wusste das und hatte sich eine Kerze und eine Schachtel Streichhölzer in die Schürzentasche gesteckt. Sie zog die Kellertür auf und kramte danach. Um sich Mut zu machen, begann sie wieder zu singen:
Beim ersten Mal, da tut’s noch weh,
da meint man noch, dass man es nie verwinden kann.
Doch mit der Zeit, so peu à peu,
gewöhnt man sich daran.
Als sie mit dem Text nicht weiter wusste, pfiff sie nur – zwar nicht so schön wie Ilse Werner, aber immerhin. Endlich hatte sie alles gefunden, das Streichholz flammte auf, die selbstgegossene Kerze brannte, wenn auch nicht gerade hell. Frieda Kopisch machte sich auf den Weg. Links und rechts von ihr lagen die Keller der einzelnen Mieter, die im Grunde nur Bretterverschläge waren, jeder gesichert mit mindestens einem Vorhängeschloss. Die Kiste mit der Asche stand am Ende des Kellers in einer kleinen Nische. Als sie die erreicht hatte, prallte sie zurück, und ihr Schrei hallte hinauf bis ins oberste Stockwerk. «Hier liegt’n Tota! Hier ham se eenen erschlagen! Hülfe!»
Hartmut Kappe saß am Frühstückstisch und schmierte sich eine Schmalzstulle. Zu Weihnachten hatten sie ein sehr nahrhaftes Paket von seinem Onkel aus Wendisch Rietz erhalten, und noch reichten die Vorräte. Seine Frau war schon in aller Herrgottsfrühe zur Arbeit gegangen. Sie war Schaffnerin bei der Straßenbahn. So konnte er jetzt in aller Ruhe die Berliner Zeitung vom 15. Januar studieren. Obwohl durch und durch ein politischer Mensch, überflog er die erste Seite nur. Westliche Mißklänge. Die Diskussion um den imperialistischen Marshall-Plan der US-Amerikaner kannte er, und auch die anderen Überschriften reizten ihn nicht, sich in die Materie zu vertiefen. Holland pocht auf Eroberungsrecht. Die Kolonialpolitik der Niederlande in Indonesien interessierte in wenig. Trumans «Kriegshaushaltsplan». Dass die Amerikaner Unsummen in die Rüstung steckten, war bekannt. Libyen als USA-Sprungbrett. Man musste kein Prophet sein, um zu erahnen, was sich da global zusammenbraute. Schnell blätterte er weiter und kam zu den Berliner Seiten. US-Soldaten werden gesucht – Hundert Angehörige der Besatzung desertiert. Und nun regten sich die Amis auf, dass sie im sowjetischen Sektor kontrolliert wurden. Evakuierung Berlins schreitet fort. Immer mehr Firmen ließen ihre Betriebsausrüstungen per Schiff in den Westen bringen, auch die Möbeltransporte nahmen zu. Einbruch bei der Polizei. Bei seiner Dienststelle, also bei der Kriminalpolizei in der Dircksenstraße, hatten Einbrecher den Tresor der Asservatenkammer geknackt und Gegenstände von mehreren hunderttausend Mark mitgehen lassen. Sturmschäden verursachten Todesopfer. Der heftige Sturm am Mittwochabend hatte überall Ruinen zusammenfallen lassen, und in der Grünberger Straße hatte eine einstürzende Zimmerdecke eine Frau und ein Kind getötet. Das war tragisch. Eher schmunzeln aber ließ ihn, was in der Rubrik Notizbuch für Hausfrauen zu lesen war: In Kreuzberg gab es 500 Gramm Gemüse- oder Heringssalat für alle Männer über siebzig Jahre, und in Spandau konnte man beim «Amt für Aufbau» bis zum 11. Februar Anträge auf Fensterverglasung einreichen.
Seine Gedanken schweiften ab, denn am 11. Februar hatte sein Vater Geburtstag, da wurde er sechzig Jahre alt. «Mein Gott!» Er zuckte bei seinem Ausruf unwillkürlich selbst zusammen: Als Kommunist brachte man Gott besser nicht ins Spiel. Er wusste, das waren Überbleibsel bürgerlichen Denkens. Es reichte schon, dass sein Vater Hermann hieß – obwohl man ja bei seiner Geburt im Jahre 1888 kaum an Hermann Göring gedacht haben konnte.
Ehe er sich auf den Weg in die Dircksenstraße machte, warf er noch schnell einen Blick auf die hinteren Seiten der Zeitung. Raparations-Saboteure. Er stutzte, ehe er bemerkte, dass es sich hier um einen Druckfehler handelte. In Nürnberg standen fünf Angestellte der Chillingworth-Werke vor einem amerikanischen Militärgericht, weil sie in einem geheimen Keller wertvolle Maschinen eingemauert hatten, um sie der Demontage zu entziehen. Schiebungen von Großformat – Rauschgiftschmuggel, weiße Sklaven und Schwarzmarkt auf Interzonenbasis. Ein alter Nazioffizier, Angehörige der US-Armee und die Tochter eines deutschen Großindustriellen hatten sich in Bayern zu einem Schmugglerring zusammengeschlossen. Die deutschen Behörden waren ihm auf die Schliche gekommen, als die tizianrote Königin der Unterwelt ermordet und verstümmelt aufgefunden worden war. Im Westen waren wieder einmal herrliche Zeiten angebrochen!
Hartmut Kappe beendete seine Zeitungslektüre und machte sich auf zum Dienstantritt. Seit Oktober 1946 war auch die Berliner Polizei in Sektoren aufgeteilt, und die Verfolgung von Straftaten war weithin dezentralisiert, obwohl in der Dircksenstraße noch immer eine zentrale Dienststelle der Kripo existierte. Doch die lag im sowjetischen Sektor, was die Westalliierten mit großem Misstrauen erfüllte, hatten es doch die Kommunisten von Anfang an verstanden, die Leitungsfunktionen der Kripo ausschließlich ihren Leuten zu übertragen. Davon hatte auch Hartmut Kappe profitiert, der in Stalingrad als Leutnant in sowjetische Kriegsgefangenschaft geraten und nach dem Besuch einer Antifa-Schule zum Nationalkomitee Freies Deutschland gestoßen war. Paul Markgraf, den amtierenden Berliner Polizeipräsidenten, kannte er seit dieser Zeit persönlich, sehr gut sogar.
Man hatte Hartmut Kappe und seiner Frau eine Altbauwohnung in der Fruchtstraße zugewiesen, gleich an der Frankfurter Allee. Das hatte ihn sehr gefreut, denn in diesem Kiez hatte er gelebt, bei seinen Eltern noch, ehe er eingezogen worden war. Ein Stückchen weiter hin zum Alexanderplatz war das gewesen, in der Großen Frankfurter Straße, wo jetzt alles in Schutt und Asche lag.
Er hatte sich vorgenommen, zur Dircksenstraße zu laufen. Als er aber vor die Haustür getreten war, ging gerade ein kräftiger Schneeregenschauer nieder. Bei diesem Sauwetter nahm er doch lieber die U-Bahn. Er rannte zum Bahnhof Memeler Straße. Als er am Alexanderplatz ausstieg, wurde er von einem Kollegen angepflaumt.
«Na, Genosse Kappe, hart wie Kruppstahl scheinst du aber nicht zu sein, obwohl du vor Stalingrad gekämpft hast!» Es war Erich Mielke, der ihn da angesprochen hatte, der Leiter der Polizeiinspektion Lichtenberg.
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