Название: Razzia
Автор: Horst Bosetzky
Издательство: Автор
Жанр: Исторические детективы
isbn: 9783955520205
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Kappe war schon beim nächsten Thema. « Hochwasser an Ruhr, Lenne, Volme und Ennepe. »
«Wenn Spree und Havel dran sind, ist das nicht so schlimm», sagte Piossek und zeigte auf seine Beine. «Ich habe sowieso schon Hochwasserhosen an. Geerbt von meinem verstorbenen Bruder, und der war zehn Zentimeter kleiner als ich.»
« Verkehrsstörungen bei der S-Bahn », fuhr Kappe fort. « Zu einer Störung von 45 Minuten kam es am Donnerstag auf der S-Bahnstrecke von Potsdam nach Wannsee infolge eines Kurzschlusses. »
«‹Gibt es auch Langschlüsse?›, würde mein Enkel fragen.» Kappe las unbeirrt weiter. « Der Ausfall eines Zuges durch Moto renschaden verursachte in den Mittagsstunden des gleichen Tages eine Störung von über 30 Minuten auf der Ringbahn zwischen Innsbrucker Platz und Halensee. »
«Interessiert mich nicht», sagte Piossek. «Ich komme mit dem Fahrrad.»
Hermann Kappe aber hatte es in dieser Hinsicht noch wesentlich besser, denn seine neue Wohnung an der Wartburgstraße, Ecke Martin-Luther-Straße lag nahezu in Sichtweite seiner derzeitigen Dienststelle in der Gothaer Straße. Er brauchte bloß quer über den Wartburgplatz zu gehen, dann war er schon zu Hause.
Als er dort angekommen war, wurde er nicht nur von Klara begrüßt, seinem «treusorgenden Weib», sondern auch von Hertha Börnicke, seiner Cousine. Auch das noch! Es kam ihm so vor, als ob sie ihm schon seit hundert Jahren gewaltig auf die Nerven ging. Zunächst hatte sie alles darangesetzt, ihn zu heiraten, dann musste jedes Familienmitglied ihre Romane bis zur letzten Zeile lesen, und schließlich war sie Redakteurin im offiziellen BDM-Organ Mädel im Dienst gewesen, wo sie dafür gekämpft hatte, dass es die echte deutsche Maid als ihr Ziel ansah, für die Wärme des heimatlichen Herdes zu sorgen, Hüterin der Reinheit des Blutes und des Volkes zu sein und die Söhne des Volkes zu Helden zu erziehen. Nun war sie Journalistin beim RIAS, und da der Rundfunk im amerikanischen Sektor im Laufe des Jahres in die Kufsteiner Straße umziehen würde und dann gleich um die Ecke angesiedelt war, würde sie wohl noch öfter bei ihnen auftauchen.
Er konnte sich gerade noch zur Seite wenden, sonst hätte sie ihn auf den Mund geküsst, so traf es nur die rechte Wange. Schon als Kind hatte sie behauptet, Cousine käme von küssen. Er hatte sie deswegen immer nur seine Base genannt, was an Chemie erinnerte und nicht an etwas Erotisches.
Sie setzten sich an den Wohnzimmertisch, wo schon eine Petroleumlampe warmes Licht verbreitete. Strom gab es wahrscheinlich erst ab 22 Uhr. Klara kam mit der Kaffeekanne und goss den Muckefuck ein. Dazu gab es für jeden ein kleines Stück des Stollens, den Kappes Mutter mit den guten Gaben gebacken hatte, die zu Weihnachten aus Wendisch Rietz gekommen waren.
Klara Kappe berichtete von der Tochter einer Nachbarin, dem Fräulein Krause, das gerade einen Captain der US-Army geheiratet hatte und nächste Woche nach New York fliegen sollte.
«Wir hatten im RIAS gerade erst eine Sendung über die warbrides », berichtete Hertha Börnicke. «Eine Untersuchung hat ergeben, dass 95 Prozent der Ehen zwischen US-Soldaten und europäischen Frauen glückliche Volltreffer sind.»
Klara seufzte. «Schade, dass unsere Margarete schon vor dem Krieg geheiratet hat – einen Deutschen auch noch. Sonst würden wir auch immer so schöne Carepakete bekommen.» Und sie zählte auf, was die Nachbarn, die Krauses, alles in ihrem letzten Carepaket gehabt hatten.
Das nun war Hertha Börnicke etwas zu profan, und sie bemühte sich wie immer, das kulturelle Niveau der Familie Kappe zu heben, indem sie über den Film Professor Mamlock referierte, den sie im Kino Aladin in der Friedrichstraße gesehen hatte. « Professor Mamlock ist ja ursprünglich ein Schauspiel von Friedrich Wolf, das im Januar 1934 im Jüdischen Theater Warschau Weltpremiere hatte. 1938 wurde es in der Sowjetunion verfilmt.»
Kappe empfand den Besuch seiner Cousine immer mehr als ärgerliche Störung seiner Feierabendruhe. So fragte er denn auch ziemlich schroff, ob sie nur gekommen sei, um ihnen zu erzählen, dass sie den Mamlock-Film gesehen habe.
«Nein, eigentlich bin ich hier, weil ich eine Sendung über die Gefahren des schwarzen Marktes machen will. Der US-Korporal da in Tempelhof ist offensichtlich auch bei einem Tauschgeschäft ums Leben gekommen, und in Neukölln sind erst vor kurzem zwei Männer ausgeraubt und ermordet worden, die sich in ihrer Wohnung auf Tauschgeschäfte mit Personen eingelassen hatten, die ihnen völlig unbekannt waren.»
«Diesen Rembowski nicht zu vergessen, den sie in Pankow erschlagen haben.»
«Du bist aber nicht mit der Aufklärung des Falles betraut worden, oder?», fragte Hertha Börnicke.
«Nein, das macht mein Herr Sohn in der Dircksenstraße. Da musst du schon Hartmut fragen. Wir sitzen hier im amerikanischen Sektor, und Pankow gehört bekanntlich zum sowjetischen Sektor.»
Seine Cousine winkte ab. «Da darf ich mich als Mitarbeiterin des RIAS nicht sehen lassen.»
«Ich bin lieber auch nur privat und ohne Dienstmarke dort», sagte Hermann Kappe. «Obwohl wir ja eigentlich immer noch eine Polizeibehörde sind und einen gemeinsamen Chef haben, unseren stellvertretenden Oberbürgermeister Ferdinand Friedensburg von der CDU.»
«Verhältnisse sind das!», rief Klara Kappe.
Da musste Hertha Börnicke ihr zustimmen. «Ja, und täglich berichten die Zeitungen von angeblichen Kriminalbeamten, die sich durch Vorzeigen gefälschter Ausweise Zugang zu Wohnräumen erschleichen und dann alles ‹beschlagnahmen›, was sich auf dem schwarzen Markt verkaufen lässt.» Sie sah Kappe an. «Weißt du was davon?»
Kappe grinste. «Was heißt hier ‹angebliche Kriminalbeamte›? Auch wirkliche kommen auf diese Weise zu Essen und Trinken, zu Perserteppichen und Schmuckstücken. Ich ziehe selbst gleich wieder los.»
Er wusste, dass seine schroffe Reaktion damit zusammenhing, dass Hertha Börnicke ihn an seinem derzeit wohl empfindlichsten Punkt erwischt hatte. Er war nämlich durch Zufall dahintergekommen, dass sein Sohn Karl-Heinz kurz vor Weihnachten seine Kripomarke und seinen Dienstausweis gestohlen hatte, um ebendas zu tun, was Hertha Börnicke soeben geschildert hatte. Bis jetzt hatte außer ihm offenbar niemand etwas gemerkt, aber Kappe wusste, dass irgendjemand es früher oder später herausfinden würde.
Karl-Heinz Kappe gefiel sich in der Rolle des schwarzen Schafes der Familie. Was blieb ihm anderes übrig? Zwar sprach sein Vater wieder mit ihm, nachdem die Großmutter mit ihrem Leitspruch Vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben unseren Schuldigern zwischen ihnen beiden vermittelt hatte, aber es waren nicht einmal vier Jahre her, dass es ihn zur Hitlerjugend und zur Waffen-SS gezogen hatte. «Mir wäre lieber, er hätte einen Mord begangen, als das», hatte sein Vater damals gemurmelt. Nach dem Krieg hatten ihn die einen nicht haben wollen, und im Kreise der anderen, der alten Nationalsozialisten und der Wehrmachtsoffiziere, zeigte man sich besser nicht. Er war jetzt 21 Jahre alt und merkte mehr und mehr, dass er der geborene Händler war. Kein Wunder, gab es doch mit Oskar Kappe, seinem Onkel, und Richard Börnicke zwei ausgewiesene Kaufleute in der Familie. Aber bis er ein eigenes Geschäft oder gar einen Großhandel eröffnen konnte, musste er erst noch eine Weile kleine Brötchen backen, das heißt auf dem Berliner Schwarzmarkt sein Glück versuchen. Was ihm dabei zugutekam, waren seine Intelligenz, seine Dreistigkeit und seine Begabung für fremde Sprachen. Das erleichterte die Geschäfte mit den Soldaten aller drei westlichen Besatzungsmächte ganz erheblich, und so kam es, dass sich die Großen der Branche gern seiner bedienten. An diesem Wochenende hatte ihn sogar Arthur Schlattke in seine Villa eingeladen, um einiges mit ihm zu besprechen.
Gemeldet war Karl-Heinz Kappe derzeit in der Eisenacher Straße in Schöneberg, СКАЧАТЬ