Название: Operation Gold
Автор: Petra Gabriel
Издательство: Автор
Жанр: Исторические детективы
isbn: 9783955520199
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Kappe warf dem Verteidiger einen hilfeheischenden Blick zu. «Es handelt sich wohl um eine Art V-Mann. Aber mehr weiß ich nicht.»
Marie erkannte, wie unangenehm ihm die Angelegenheit war. Dieser Mann schien sympathisch zu sein. Sachlich und sympathisch. «Einen Namen wird es doch wohl geben, wenn schon kein Gesicht dazu.»
«Krug, Dieter Krug. Der Name steht jedenfalls auf der Tagesordnung, die neben der Tür zum Gerichtssaal aushängt», meldete sich der Verteidiger zu Wort. «Das ist aber sicher ein Deckname. Der Herr Kriminaloberkommissar hat recht, es wird nur seine eidesstattliche Aussage verlesen. Krug behauptet darin, er kenne Sigrid Dehne und habe sie mit Gladow und seinen Leuten ins Haus des Kaufmanns gehen sehen. Das heißt, er müsste vor Ort gewesen sein. Der Zeuge, den Kriminaloberkommissar Kappe vernommen hat, hätte ihn also ebenfalls sehen müssen. Hat er aber nicht. Außerdem fragen wir uns, warum dieser Krug nicht schon für den Hauptprozess gehört worden ist, da er doch alles so genau beobachtet haben will.»
Krug, tatsächlich Dieter Krug. Maries Gedanken überschlugen sich. Also stimmten ihre Informationen, dass der Stiefvater in Berlin war? Sie war allen Hinweisen nachgegangen, die ihre Mutter ihr hatte geben können, war mit dem Foto von ihm, dem einzigen, das sie hatten, von Pontius zu Pilatus gelaufen. Niemand wusste etwas über den Mann zu sagen. Vielleicht auch, weil er auf dem Foto unter einem Baum stand und sein Gesicht im Schatten lag. Marie hatte manchmal das Gefühl gehabt, sie fahnde nach einem Geist. Sie hatte dennoch beim Roten Kreuz eine Suchanfrage aufgegeben. Manchmal geschahen ja Wunder. Doch nichts passierte. Immer wieder hatte sie der Mutter erklären müssen, dass sie ihren Stiefvater noch immer nicht gefunden hatte.
Nach Monaten des vergeblichen Suchens war sie schließlich an einen ehemaligen Kriegskameraden ihres Stiefvaters geraten, einen, der ihm unlängst bei einem Ehemaligentreffen in Berlin wiederbegegnet war. Der mochte den zweiten Mann ihrer Mutter nicht, wollte aber nicht damit herausrücken, weshalb. Nein, hatte er gesagt, die Berliner Adresse kenne er nicht, wolle sie auch nicht kennen. Er könne ihr nur noch einen Tipp geben: Demnächst stehe vor einem Berliner Gericht – vor welchem genau, wisse er nicht – ein Prozess gegen eine Prostituierte an, in den ihr Stiefvater irgendwie verwickelt sei. Der habe bei dem Treffen davon erzählt. Aber nur ganz am Rande. Mehr könne er wirklich nicht sagen. Und wenn er ihr einen guten Rat geben dürfe: Sie solle froh sein, mit diesem Mann nichts mehr zu tun zu haben, und ihn lieber aus ihrem Leben streichen.
Doch das ging nicht. Nicht mit einer Mutter, die sich vor Sehnsucht verzehrte, vor Gram halb verrückt geworden war, Wahnvorstellungen bekommen hatte und nun in einer Heilanstalt dahinvegetierte, mit irgendwelchen Mitteln ruhiggestellt, weil sie mehrmals versucht hatte sich umzubringen. Denn mit diesem Dieter Krug war all ihre Hoffnung, dieses nach dem Tod des ersten Mannes und den Bombenangriffen so mühsam aufrechterhaltene Fünkchen, verschwunden.
Marie hatte ihr Germanistikstudium kurzerhand abgebrochen, ihre Koffer gepackt, ihre kleine Wohnung hinter sich abgeschlossen, war letzten Monat aufs Geratewohl nach Berlin gereist und hatte sich bei verschiedenen Zeitungen beworben. Denn bei einer Zeitung, so ihre Hoffnung, hätte sie gute Möglichkeiten, den Spuren dieses Mannes zu folgen. Da gab es ein Archiv, da gab es Leute, die Gerichtsberichte schrieben, vielleicht sogar über jenen Prozess, von dem der Kriegskamerad ihres Stiefvaters gesprochen hatte. Der Tagesspiegel hatte sie genommen. Deshalb war sie hier. Als sie dann die Prozessankündigung und seinen Namen gelesen hatte, der auf der Zeugenliste stand, hatte sie Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um zu diesem Prozess geschickt zu werden. Und nun, nach all den Mühen, sollte sie ihn nicht zu Gesicht bekommen? Moment, hatte der Verteidiger nicht gesagt, Dieter Krug war ein Deckname? Es konnte trotzdem derselbe Mann sein. Vielleicht hatte er diesen Namen schon bei der Heirat mit ihrer Mutter benutzt. Gab es eigentlich viele Männer namens Dieter Krug in Berlin? «Krug? Dieter Krug, sagten Sie?», sagte sie gedehnt.
«Wieso fragen Sie so seltsam?», erkundigte sich Weißbrod. Da läutete der Gerichtsdiener. «Ah, es geht weiter.»
Marie schaute sich um. Wo blieb Corvus nur?
Ostertag lächelte. «Machen Sie sich keine Sorgen, das schaffen Sie! Was ist, John, treffen wir uns nach Abschluss des heutigen Prozesstages mit der jungen Dame in der Gerichtslinde? Schräg gegenüber in der Turmstraße. Dann kann ich ihr alle Fragen beantworten. Sie zieht ein Gesicht, als habe sie noch viele.»
John Weißbrod grinste. «Aber klar doch!»
In Marie machte sich trotz der Enttäuschung, dass sie den Mann, der Dieter Krug hieß, nun doch nicht sehen würde, eine gewisse Erleichterung breit. Wenigstens würde sie alles erfahren, was sie wissen musste, um einen guten Bericht zu schreiben. Und das auch noch aus erster Hand. Vielleicht konnte sie den Verteidiger auch bitten, für sie ein Gespräch mit seiner Mandantin zu arrangieren. Krug und Sigrid Dehne kannten sich angeblich. Also konnte diese ihr vielleicht weiterhelfen.
Der Saal, in dem die 5. Große Strafkammer tagte, war bis auf den letzten Platz besetzt. Aber auch eine halbe Stunde nach Weiterführung der Verhandlung war noch immer kein Corvus erschienen. Marie musste an den Rat denken, den ihr der Kolumnist Hans Neuhaus von der Redaktion des Berlin-Teils des Tagesspiegel gestern mit auf den Weg gegeben hatte: «Sie sollten sich mal im Archiv schlaumachen, Fräulein Palmer! Damit Sie wissen, wohin Sie müssen. Das ist schon ein besonderes Haus, das Moabiter Kriminalgericht. Fragen Sie den Kollegen Corvus, der kann Ihnen allerhand erzählen. Aber damit das klar ist: Sie arbeiten ihm nur zu! Sie können ja schon mal ’n bisschen texten, und wenn der Corvus sagt, es ist gut, dann stimmen Doktor Ewald Weitz als Leiter des Berlin-Teils und Chefredakteur Reger – ich meine das genau in dieser Reihenfolge – vielleicht zu, dass wir Teile ihres Geschreibsels in Corvus’ Bericht übernehmen. Versprechen Sie sich jedoch nicht zu viel!»
Geschreibsel! Hielt dieser Neuhaus sie für eine Analphabetin? Marie schwor sich, dass sie es allen beweisen würde. Sicherheitshalber war sie tatsächlich gestern noch nach Moabit gefahren, um sich das Gebäude des Kriminalgerichtes anzuschauen. Sie wollte wissen, in welchen Saal sie am nächsten Morgen musste, damit sie nicht zu spät kam, weil sie sich in dem riesigen Gebäude verlaufen hatte. Schon als sie durch die kolossale Haupthalle gegangen war, 29 Meter hoch, 3 Meter höher als das Brandenburger Tor, wie sie inzwischen wusste, hatte sie sich eingeschüchtert gefühlt. Ein netter Gerichtsdiener, den sie zufällig im Gang traf und der Corvus gut zu kennen schien – «Na, denn grüßen Sie den Meesta ma von mir!» –, hatte nämlich den Aktenstapel, mit dem er unterwegs war, schnell wieder in seinem Büro deponiert und sich Zeit genommen, der neugierigen Besucherin freimütig Auskunft zu geben. Er war unverkennbar stolz auf seinen Arbeitsplatz. Marie blätterte in ihrem Block zurück. Sie hatte eifrig stenografiert. «Wenn das größte Gericht Europas werktags gegen acht Uhr erwacht, treten unzählige Wachtmeister, Schreibkräfte, Putzfrauen, Kanzleiangestellte, Sachverständige, Archivare, Dolmetscher, Köche, Pförtner und viele, sehr viele studierte Juristen, Richter, Staatsanwälte, Verteidiger, Nebenkläger ihren Dienst an.»
Jedenfalls war das Gebäude imposant. Das Haus blickte aus 158 Fenstern auf die Berliner Turmstraße. Als es um 1906 fertig dagestanden hatte, war es laut Maries Fremdenführer eines der ersten offiziellen Gebäude Berlins mit elektrischem Licht gewesen. «Fünftausend Glühlampen, sach ick Ihnen, da ist immer eine hin», hatte der Gerichtsdiener gesagt. Und es gab offenbar nichts zwischen Betrügereien, Sexualdelikten sowie Mord und Totschlag, was hier nicht schon vor den Richter gekommen wäre. Die Delinquenten wurden sauber abgeschirmt von der Welt, durch Geheimgänge vorgeführt, die das Gebäude wie Innereien durchzogen. Die riesige Haupthalle war von einem Reigen allegorischer Skulpturen bevölkert. Besonders die Figur der Lüge rechts in der Halle war Marie aufgefallen, wie sie, in Sandstein geschlagen und mit dem Fuchskopf bekrönt, hinter vorgehaltener Hand zur Streitsucht hinüberzischte. Aus deren Kopf hatte der kaiserliche Bildhauer Schlangen mit aufgesperrten Rachen wachsen lassen.
Maries Gedankenfluss wurde unterbrochen, denn der Gerichtsdiener rief СКАЧАТЬ