Название: Operation Gold
Автор: Petra Gabriel
Издательство: Автор
Жанр: Исторические детективы
isbn: 9783955520199
isbn:
Wilma Wuttke kam mit dem Schlüssel zurück. Kappe schreckte hoch. «Tut mia leid, Herr Oberhauptkommissar. Ick hab den Schlüssel nich gleich jefundn. Denn lassen Se uns mal nach oben gehen!»
Kappe schüttelte den Kopf. «Nein, gnädige Frau, das geht leider nicht. Sie müssten unten bleiben. Wer weiß, was ich da oben finde. Vielleicht ist Ihrem Nachbarn ja was passiert.»
«Mein’ Se? Nee, sicher nich hia. Den ham se doch mitjenomm.»
«Verstehe», sagte Kappe, der nicht sicher war, ob er das alles verstand, aber hoffte, in der Wohnung dieses Schmücke Aufklärung zu erhalten. «Jedenfalls ist es besser, ich gehe erst mal allein.»
«Na jut, wenn Se meinen, Herr Kriminaler.»
Dem Umstand, dass Wilma Wuttke ihm in der Anrede kurzerhand wieder alle Dienstränge weggenommen hatte, entnahm Kappe, dass sie sehr unzufrieden mit ihm war. Er nickte ihr zum Abschied zu und erklomm die Treppe in den Vierten. Er hörte, wie die Türe der Witwe zuknallte.
Der Schlüssel verschaffte ihm ohne Probleme Zutritt zur Wohnung dieses Schmücke. In der nächsten Sekunde stockte er in der Bewegung. Im Flur lag Papier herum. Ein Schränkchen war umgekippt, eine Schublade herausgerissen, die beiden anderen gähnten ihm geöffnet entgegen. «Hallo, ist hier jemand? Herr Schmücke? Kappe, Kriminaloberkommissar. Ist Ihnen etwas passiert?»
Keine Antwort.
Er ging vorsichtig weiter und spähte um die Ecke in die Stube. Nein, hier war niemand. Aber es war ganz sicher jemand da gewesen. Und dieser Jemand hatte in der Wohnung gewütet wie ein Berserker. Die Kommode, der Schrank, der Tisch und die Stühle waren nur noch Sperrmüll. Aus der Sofapolsterung und der Matratze im Schlafraum quollen die Gedärme in Form von Putzwolle und alten Lappen. Die Bilder an der Wand, zwei Drucke von Miró, hingen schief. Die Anrichte in der kleinen Küche bestand nur noch aus herumliegenden Brettern, das Geschirr war zerschlagen worden.
Es knirschte unter Kappes Füßen. Er bückte sich und hob einen silbernen Bilderrahmen hoch. Silber – oho! Das Glas war zersplittert, doch zwei der Personen auf der Fotografie waren noch gut zu erkennen. Eine ältere Frau, um die vierzig vielleicht, sowie ein junges Mädchen, beide mit lockigen blonden Haaren und hellen Augen, soweit er das auf der Schwarzweißaufnahme erkennen konnte. Offenbar Mutter und Tochter. Sie standen in Wintermänteln, dem Anschein nach umgeschneidert aus Wehrmachtsbeständen, vor dem Zaun eines gutbürgerlichen Einfamilienhauses mit Garten in einer Gegend, die Kappe nicht erkannte. Zwischen ihnen, den rechten Arm um die Schulter der Frau gelegt, stand ein Mann in der Uniformjacke der Geheimen Feldpolizei. Kappe vermutete, dass er etwa gleich alt sein könnte wie die Frau, konnte es jedoch nicht genau erkennen. Sein Gesicht war etwas zerkratzt, wahrscheinlich von den Glasscherben. Kappe nahm an, dass das Schmücke war.
Das Gefühl, dass dieser Schmücke Ärger machen würde, wurde noch intensiver. So, so, Geheime Feldpolizei … Das war die «Ordnungstruppe» der Nationalsozialisten innerhalb der Wehrmacht gewesen. Sie hatten spioniert, denunziert, Partisanen verfolgt, gefoltert und getötet. Insbesondere in den von den Deutschen besetzten sowjetischen Gebieten und kommandiert von Angehörigen der Gestapo oder der Kriminalpolizei. Wenn er es recht überlegte, wusste er nicht allzu viel über diese Leute. Alle Mitglieder der Geheimen Feldpolizei und auch ihre zivilen Helfer waren beim Ausscheiden aus dem aktiven Dienst zu absolutem Stillschweigen verpflichtet worden. Kappe vermutete, dass diese Mauer des Schweigens bis heute mehr als nur einen fanatischen Nationalsozialisten schützte. Man redete nicht, auch nicht übereinander. Es war eine verschworene Gemeinschaft.
So, und dieser Schmücke war angeblich Fernmeldefachmann, hatte also mit Nachrichtenaustausch zu tun, und trug früher die Uniform der Geheimen Feldpolizei. Was für eine Mischung! Das konnte ja heiter werden! Kappes Blick wanderte zwischen der Frau und dem Mädchen auf dem Foto hin und her. Schmücke hatte also Familie. Nun mussten sie nur noch herausfinden, wo sie lebte. Und wo er selbst steckte.
Offensichtlich hatte der Mann Feinde, was bei der Vergangenheit eigentlich nicht weiter verwunderte. Möglichkeiten gab es da genug. Es konnte sich zum Beispiel um ehemalige Partisanen handeln, die es ins Nachkriegsberlin verschlagen hatte, oder um Bewohner von ehemals besetzten Gebieten, die nach Rache dürsteten. Wer auch immer in Schmückes Wohnung eingedrungen war, er musste sehr zornig gewesen sein. Wenn die Eindringlinge schon den Möbeln mit einer derartigen Brachialgewalt begegnet waren, bedeutete das nichts Gutes für die körperliche Unversehrtheit des Bewohners. Kappe überlief es siedend heiß. Und wenn gar die Familie zu Besuch gewesen war? Nein, die Witwe Wuttke hatte nichts dergleichen erwähnt. Er durfte aber nicht vergessen, sie demnächst danach zu fragen.
Doch zunächst war das hier ein Fall für die Spurensicherung. Hoffentlich konnte er Klingbeil von der Kriminaltechnik loseisen, einen etwas weichlich wirkenden Mann, aber einen der detailversessensten und stursten im Bereich Spurenauswertung, die er kannte. Er brauchte auch Gerhard Piossek, mit dem er sich das Büro teilte. Kappe arbeitete gerne mit dem Kollegen. Er hielt ihn für einen kompetenten Mann. Ansonsten betrachtete er Piossek eher mit zwiespältigen Gefühlen. Der Sohn eines Bäckermeisters aus der Lichtenberger Pfarrstraße galt bei vielen Kollegen als arrogant. Er konnte sehr hochfahrend sein und war einst mit einiger Begeisterung in die NSDAP eingetreten. Zum Glück hatten ihn gnädige amerikanische Offiziere beim Entnazifizierungsverfahren als «Mitläufer» eingestuft, deshalb hatte er seine Laufbahn bei der Berliner Kriminalpolizei fortsetzen können. Vermutlich war es hilfreich gewesen, dass bei den Kämpfen in Polen seine rechte Hand durch einen Granatsplitter verstümmelt worden war. Kappe akzeptierte Gerhard Piossek als Kollegen. Doch dass sie einmal Freunde würden, hielt er für ausgeschlossen, obwohl sie schon etliche gefahrvolle Situationen miteinander durchgestanden hatten.
Während Kappe die Treppen hinunterstürmte, vorbei an der Wohnungstüre von Wilma Wuttke, fiel ihm noch etwas auf. Seltsam, das Wüten in Schmückes Wohnung musste einen Heidenlärm gemacht haben. Normalerweise aber vermieden es Verbrecher, auf sich aufmerksam zu machen. Hatten sie es in diesem Fall vielleicht darauf angelegt, dass jemand aufmerksam wurde? Jemand wie Wilma Wuttke?
Kappe war schon an der Wohnungstür der Witwe vorbei, als diese geöffnet wurde und die Frau ihm hinterher schaute. Sie hätte ihm von dem Hintereingang erzählen sollen, von dem aus man durch den Hinterhof in den Keller des angrenzenden Trümmerhauses kam, dachte sie. Das hatte sie bei all der Aufregung vergessen. Nun ja, bei nächster Gelegenheit würde sie das nachholen.
KAPITEL ZWEI
in dem Marie Palmer kurzen Prozess macht
GEGEN MITTAG war Marie Palmers Selbstbewusstsein zur Größe eines Staubkorns zusammengeschnurrt. Was war sie heute Morgen noch stolz und glücklich gewesen! Nicht nur, dass sie es geschafft hatte, einen Platz als freie Mitarbeiterin der Redaktion des Berliner Tagesspiegel zu bekommen. Darüber hinaus hatte sie noch einen Auftrag als Gerichtsreporterin bei ebendieser Zeitung ergattert. Und nicht irgendeinen Auftrag, sondern diesen.
Chefredakteur Erik Reger höchstselbst hatte gestern das Bewerbungsgespräch mit ihr geführt. Dabei war sie doch ein Niemand, eine von vielen jungen Menschen, die derzeit nach Berlin strebten und hofften, dort trotz der Teilung der Stadt ihr Glück zu finden. Vielleicht weil er wie sie selbst aus dem Rheinland kam. Nach einem ersten kritischen Blick auf ihre kurzen, karottenrot gefärbten Haare und einem anschließenden, sehr positiv verlaufenen Gespräch hatte er ihr eine Broschüre in die Hand gedrückt, quasi als Begrüßungsgeschenk.
Im Vademecum waren die strengen Sprachregeln des Hauses aufgelistet. Verpönt waren unter anderem die Worte vornehmen und durchführen. Alle aus dem Griechischen stammenden Begriffe mussten СКАЧАТЬ