Das letzte Sandkorn. Bernhard Giersche
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Название: Das letzte Sandkorn

Автор: Bernhard Giersche

Издательство: Автор

Жанр: Контркультура

Серия:

isbn: 9783943795745

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СКАЧАТЬ ab, Väter blickten ihre Kinder und Frauen an, als hätten sie sie noch nie gesehen und keiner wollte mehr Bier und Schnaps oder Grillwürstchen kaufen.

      Die Kassierer des Supermarktes wollten auch nicht mehr kassieren und der Marktleiter wollte den Markt nicht mehr leiten.

      Niemand wollte noch irgendetwas tun, außer, die Welt zu retten. Denn jeder von ihnen war von Gott berufen worden, jeder von ihnen als Einziger der sieben Milliarden Seelen.

      Kurz bevor Evelyn mit ihrem Wagen gegen eine große Werbetafel prallen würde, erwachte auch sie aus ihrer Starre und trat auf die Bremse. Außerhalb des Autos war mittlerweile das Chaos ausgebrochen. Menschen liefen durcheinander und die meisten eilten zu ihren Autos. Sie sah wie in Trance, wie ein Mann eine Frau grob an den Armen fasste und ihr den Wagenschlüssel entriss, sie dann so heftig schubste, dass sie hinfiel und auf ihrem buntberockten Hintern landete. Doch statt in Tränen auszubrechen, rappelte die Frau sich erstaunlich schnell auf, sprang den Mann von hinten an und schlug mit den Fäusten auf seinen Kopf ein. »Gib mir den Schlüssel, du Wichser«, konnte sie deutlich hören, schließlich waren die Fenster heruntergekurbelt. Überall spielten sich ähnliche Szenen ab, und trotz ihrer Benommenheit brachte sie die Konzentration auf, ihr Auto vom Parkplatz, der so plötzlich zu einem Tollhaus geworden war, zu steuern und aus dem Chaos herauszulenken. Auf den Gehwegen Puttgardens liefen, nein, rannten Menschen hin und her, jeder hatte scheinbar ein sehr konkretes Ziel und eilte dorthin. Und auch sie musste nun handeln.

      Wer war schuld an all dem? Gott hatte ihr eine Chance gegeben, das Ende der Menschheit zu verhindern. Waren es nicht all jene, die ohne jede Moral und ohne jedes Mitgefühl Menschen wie sie ausnutzten, nur um Geld zu horten wie Stroh?

      Die, die immer davon redeten, dass nur schöne Menschen ihre Daseinsberechtigung hatten, und die andere ablehnten, nur weil sie nicht den Schönheitsidealen entsprachen? Diese selbstgerechten Modezaren, diese Manager, die andere zu einer bestimmten Art von Prostitution zwangen? Sie schämte sich, selbst bei diesem Spiel mitgemacht zu haben. Die waren schuld, die, die jede Moral und jede Ethik über Bord geworfen hatten, um Gottes Gaben für sich alleine zusammenzuraffen. Sie wusste, wohin sie musste, um diejenigen dafür bezahlen zu lassen, die verantwortlich waren für Gottes Entschluss. Mit verengten Augen trat sie das Gaspedal durch, innerlich bebend vor Zorn auf die Schuldigen.

      Plötzlich sprang ein beleibter Mann mit glänzender Halbglatze und hochrotem Kopf direkt vor ihr auf die Straße und sie konnte wieder nur in letzter Sekunde das Auto zum Halten bringen.

      Der Mann schlug mit beiden Händen auf die Motorhaube und trat dann erstaunlich behände an ihre Tür, riss sie auf und fasste sie sehr grob an den Arm, um sie herauszuziehen.

      »Raus da, ich muss das Auto haben«, brüllte der Mann ihr ins Ohr und nur der Gurt verhinderte, dass er sie aus dem Wagen zerren und auf die Straße werfen konnte.

      Sie trat instinktiv das Gaspedal durch und mit quietschenden Reifen schoss das Auto vorwärts, den schwitzenden Mann mit sich reißend. Der brüllte wie am Spieß und ließ dennoch nicht ihren Arm los.

      Der Schmerz in ihrem Arm war unerträglich, so sehr krallte der Mann sich fest. Die offene Fahrertür schlug gegen den Kopf des Mannes und endlich ließ er los.

      Im Rückspiegel sah sie ihn über die Straße rollen. Die Verletzungen an seinen nackten Beinen und den halb abgerissenen Fuß sah sie nicht.

      Das Blut schien in ihren Adern zu kochen, sie atmete schnell, und ihr ganzer Körper war mit einem Schweißfilm überzogen. Evelyn hatte das Gefühl, ihre Knochen seien aus Gummi, und sie zitterte am ganzen Körper. Das Rauschen des Blutes in ihrem Kopf übertönte jedes Geräusch, und sie raste heraus aus Puttgarden und bog nach rechts in Richtung Lübeck ab. Völlig außer sich nahm sie nicht wahr, dass von hinten ein schwarzer Mercedes heranraste und sie überholte. Der Fahrer des schweren Wagens lenkte diesen viel zu früh wieder auf ihre Spur und so knallte der Kofferraum seitlich mit großer Wucht gegen ihre Motorhaube. Sie fuhr nur einen kleinen VW Polo und die Wucht des Aufpralls reichte aus, um ihren Wagen von der Straße zu drücken.

      Die Reifen verließen den Asphalt, der Wagen schoss mit hoher Geschwindigkeit über den Straßengraben und landete auf dem Acker rechts der Landstraße. Der Polo überschlug sich in Längsrichtung, rutschte noch wenige Meter auf dem Dach weiter und kam zum Stehen.

      Sie hatte die ganze Zeit geschrien, unfähig, an dem Unfallverlauf irgendetwas zu ändern. In dem Moment, in dem sich der Wagen in den Acker bohrte, löste der Airbag aus und verhinderte so schwerere Verletzungen. Die Sekunden, bis das Auto zum Stillstand kam, waren unerträglich lang für sie, und mit einem Mal war Stille, von dem Ticken des Motors abgesehen. Kopfüber hing sie in ihrem Gurt und eine gnädige Ohnmacht hatte Evelyn Passmann, Fotomodell und Mannequin, für den Moment erlöst.

      »Ich muss die Fähre kriegen«, war das Erste, was sie dachte, als sie langsam ihr Bewusstsein wiedererlangte. Danach strömten die Bilder des dicken Mannes, der sie aus dem Auto zerren wollte, und sein anschließender Purzelbaum auf der Straße, in den Kopf. Sie öffnete die Augen und bemerkte erstaunt, dass der Himmel erdfarben war und nach Gülle roch. Nach und nach kam die Erinnerung an den Unfall, an den schwarzen Wagen, der sie von der Straße gedrängt hatte, an den kurzen Flug über den Straßengraben und die harte Landung zurück. Endlich wurde Evelyn klar, dass sie kopfüber in ihrem Gurt hing und machte sich am Gurtverschluss zu schaffen. Mit einem »Klick« gab der Verschluss den Gurt frei und sie fiel unsanft auf den Kopf.

      Da das Dach des Polo auf der Beifahrerseite stark eingedrückt war, war es sehr eng in dem Fahrzeug. Sie lag nun auf ihrem Nacken, die Knie am Lenkrad. Sie versuchte gar nicht erst, ihre Tür zu öffnen, sondern kroch nach einigen Verrenkungen durch das Fenster der Fahrertür.

      Ihre Jeans war am rechten Knie zerrissen und etwas Blut hatte das Loch rot umrahmt.

      Sie spürte Schmerzen an der Stirn, dort wo der Airbag sie getroffen hatte.

      Evelyn hielt sich am Radkasten des Hinterrades fest, als ihr schlecht wurde und sie in einem hohen Bogen ihren Mageninhalt auf den Acker spie. Sterne tanzten vor ihren Augen, und bevor sie auch nur die Chance erhielt, ihre Gedanken zu ordnen, verlor sie erneut das Bewusstsein.

      Nach weniger als fünf Minuten öffnete Evelyn wieder die Augen.

      Sie lag neben ihrem Auto, das wie ein Käfer auf dem Rücken lag und seine Beine in den Himmel reckte, und blinzelte in die Sonne.

      »Ich heiße Evelyn Passmann, bin 24 Jahre alt und Fotomodell«, murmelte sie. »Mama und Papa leben in Köln, und ich wohne in Düsseldorf.« Der Geruch von Gülle durchdrang die Realität wie eine olfaktorische Bombe.

      »Es stinkt«, dachte sie.

      »Ich muss doch die Fähre kriegen«, dachte sie und wandte den Kopf nach rechts, wo ihr zerstörter Wagen lag.

      »Ich hatte einen Unfall«, konstatierte sie in geradezu karikaturhafter Naivität, die ihre Wurzeln in dem Schockzustand hatte, in dem sie sich befand.

      Sie lag immer noch auf dem von Gülle durchtränkten Ackerboden, als sie begann, ihren Körper auf Verletzungen zu untersuchen. »Rechter Arm? Ok. Linker Arm ... naja, fast ok. Beine: Null Defekte, außer der Wunde am rechten Knie. Im Nacken tut es weh und das Gesicht fühlt sich an, als wäre da einiges verändert worden. Die Nase ist zugeschwollen ...«

      Langsam versuchte sie, sich aufzurichten. Der Motor des zertrümmerten Polo tickte noch immer, und auf einmal bekam sie Angst, dass das Auto wie in diesen Hollywood-Filmen explodieren könnte. Hastig robbte sie einige Meter weg von ihrem Wagen.

      Warum kam denn keiner, СКАЧАТЬ