Название: Das letzte Sandkorn
Автор: Bernhard Giersche
Издательство: Автор
Жанр: Контркультура
isbn: 9783943795745
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Als er sich langsam beruhigte, nur dieses schluckaufartige Zittern nach dem Weinkrampf, das er nicht bewußt abstellen konnte, in kurzen Abständen seinen Körper erschauern ließ, konnte er von der anderen Seite der Tür merkwürdige Geräusche hören. Geräusche, die durch die Stahltür gedämpft wurden und so einen sehr unwirklichen Klang bekommen hatten.
Ein Knirschen und Poltern, erst weit weg, dann näherkommend. Die batteriebetriebenen Lüfter summten und das fahle Neonlicht flackerte und erlosch schließlich, und auch das Summen, das den Raum bislang erfüllt hatte, verstummte. Laurenz Beck saß in völliger Dunkelheit in einem Raum von zwei mal drei Metern und draußen schien, den Geräuschen nach zu urteilen, die Welt unterzugehen, schien sich die Apokalypse zu vollziehen.
»Was zum Teufel ist da los?«, fragte sich Beck immer wieder. Er tastete sich zu der Stahltür vor und presste sein Ohr an diese, in der Hoffnung, irgendwelche Informationen über das, was draußen vorging, zu erhalten. Auf keinen Fall wollte er länger in dieser Gruft bleiben, als unbedingt nötig. Ihm war klar, dass in den oberen Etagen des Gebäudes ein Feuer ausgebrochen sein musste, und die Detonation des abstürzenden Flugzeuges klang ihm noch in den Ohren. Dass plötzlich alle Menschen um ihn herum wahnsinnig geworden zu sein schienen, konnte er ebensowenig verdrängen.
Und er hatte einen Auftrag, eine Mission zu erfüllen. Und das ging schlecht in diesem Loch, in dem er festsaß und aus dem er sich nicht heraustraute.
Zuerst konnte er nicht sagen, ob er sich das einbildete, aber ihm schien, als würde die Tür sich erwärmen. Er nahm seinen Kopf zurück und legte beide Hände auf die glatte Fläche der Stahltür. Tatsächlich. Die Tür war warm und sie wurde immer wärmer. Bis sie so heiß war, dass er sie loslassen musste. Instinktiv zog er sich an die Wand zurück, die am weitesten von der Tür entfernt war. Drei Meter. Maximal.
Augen können sich an Dunkelheit gewöhnen. Die sensiblen Rezeptoren auf der Netzhaut vermögen auch kleinste Lichtmengen zu sinnvollen Informationen zu verarbeiten. Aber wo jedes Licht fehlt, nicht die geringste Beleuchtung ist, wo absolute Dunkelheit herrscht, sind Menschen und Tiere blind.
Laurenz Beck sah trotz der Dunkelheit Lichtflecken, skurrile Schatten und kleine Blitze. Die Dunkelheit in dem Panikraum war wie zäher Brei und sein Gehirn füllte die dem Sehnerv fehlenden Informationen mit Fantasiebildern. Er hatte sich an die hintere Wand gekauert und spürte bis hierhin, dass sich die Luft im Raum erwärmte. Der Geruch von seinem Erbrochenem, seinem Urin und der metallische Geruch von Blut lag in der Luft.
Ihm war klar, leider völlig klar, dass das Bankgebäude wohl in voller Ausdehnung brennen musste. Außer den Inhalten der Schließfächer gab es hier unten kaum etwas Brennbares. Die Türen waren aus Stahl und die Böden waren gefliest.
Lichtschalter und Lampen, Bilder und derartige Kleinigkeiten mochten brennen, aber die Hitze, die die Stahltür, die ihn schützte und gleichzeitig gefangen hielt, abstrahlte, konnte ihre Ursache nur darin haben, dass das Gebäude komplett in hellen Flammen stand.
Unwillkürlich musste er an die Twin-Tower in New York denken. Vor allem daran, wie die Konstruktion irgendwann kollabiert und in sich zusammengestürzt war. Das Bankgebäude hatte nur sieben Stockwerke und er hoffte, dass die Feuerwehr schnell genug den Brand gelöscht haben würde, bevor ihm hier unten die Luft ausging oder er gebacken wurde. Egal, was früher eintrat, er hatte keine favorisierte Todesart. Gar nicht sterben war sein klares Ziel.
Mittlerweile war er zwei Stunden in dem Raum.
Die Temperatur mochte etwa 40 Grad betragen und Laurenz Beck hatte sich bis auf die Unterwäsche entkleidet. Seine Zunge klebte an seinem Gaumen und das Atmen fiel ihm immer schwerer. Er hatte Erschütterungen wahrgenommen, als einzelne Gebäudeteile einstürzten und jedesmal aufgeschrien, weil er dachte, nun unter den Trümmern des ausgeglühten Hochhauses zerquetscht zu werden, statt zu ersticken oder zu verbrennen. Und das alles in völliger Dunkelheit.
Was ihn bei Verstand hielt, war die Tatsache, dass Gott ihm wohl kaum den Auftrag zur Weltrettung gegeben hätte, wenn er die Absicht gehabt hätte, ihn hier unten sterben zu lassen. Also würde alles gut werden, musste einfach.
Wo blieb nur seine Rettung? Sein Mobiltelefon lag in der Schublade seines Schreibtisches und war nun wohl längst in Rauch und Asche aufgegangen. Im Panikraum gab es ein Telefon, und er hatte so lange in der Dunkelheit umhergetastet, bis er es gefunden hatte. Das Telefon war allerdings tot. Nicht mal ein Knistern oder Rauschen war zu hören.
Von draußen waren auch nach acht Stunden immer noch die Geräusche der Zerstörung zu hören, aber sie wurden weniger.
Die Luft in dem kleinen Zimmer wurde immer schlechter. Laurenz Beck stellte fest, dass er dicht am Boden besser atmen konnte, als wenn er stand, und so lag er auf dem gestrichenen Estrichboden und atmete langsam und flach, um möglichst wenig Sauerstoff zu verbrauchen.
Die Wahrscheinlichkeit, dass er aus dieser Situation lebend hervorgehen würde, schätzte er von Stunde zu Stunde geringer ein, und auch die Rettung der Welt wurde ihm nach nunmehr acht Stunden in seinem Kerker immer gleichgültiger. In seinem Privatleben gab es wenig, woran er denken musste. Er hatte keine Frau. Das lag daran, dass er irgendwie asexuell war. Es interessierte ihn nicht wirklich, dieses Leben an der Seite eines geliebten Menschen, das die meisten anderen als höchsten Lebenszweck ansahen. Er war noch nie verliebt gewesen.
Manchmal hatte er so seltsame Impulse, aber die gingen eher in eine ganz andere Richtung. Er hatte sich immer gegen Gedanken in diese Richtung zur Wehr gesetzt, und das ziemlich erfolgreich. Er konnte nicht ausschließen, dass er schwul war. Jedenfalls ein bisschen. Aber auch das war ihm egal.
Im Moment war er froh darüber, dass es da draußen niemanden gab, um den er sich Sorgen machen musste. Er war der klassische Karrierist, und er fühlte sich gut in der Rolle. Er konnte gut mit Menschen umgehen, und er war zeitlich frei und ungebunden. Seine Energie hatte er in seine Ausbildung gesteckt. Studium, dazu Praktika und immer schön lächeln auf dem Weg nach oben. Und mit Geld konnte er umgehen. Er genoss die Macht, bei Kreditanfragen »Ja« oder »Nein« sagen zu dürfen und so Handlungsstränge schaffen zu können. Oder zu verhindern. Hatte Gott nicht auch davon gesprochen? Er hatte Handlungsstränge geschaffen. So wie er, Bankdirektor und Liebling des Vorstandes, auch. Und er sah gut aus. Gut. Irgendwie so, wie man sich einen Banker vorstellte.
Kurze, dunkle Haare, ein leicht schelmenhaftes Lächeln und kleine Fältchen um die Augen, die ihm Seriosität verliehen, und gleichzeitig besaß er etwas jugendhaftes, lausbubenartiges. Die Kunden vertrauten ihm sofort, und niemand nahm ihm je eine Entscheidung übel.
Glatt und sauber, gut gekleidet, tolle Armbanduhr, die zwar über tausend Euro gekostet hatte, die ihm aber nichts zu trinken geben konnte, was sie hier für ihn absolut wertlos machte. Er besaß eine Eigentumswohnung, und in der Tiefgarage der Bank verbrannte wohl gerade sein imposanter BMW.
Das alles war ihm allerdings im Moment völlig egal.
Er wollte nur raus hier, aber er hatte gleichzeitig auch diese schreckliche Gewissheit, dass er sterben würde, in dem Moment, in dem er die Stahltür öffnete.
Der Durst wurde unerträglich, und die Hitze in dem Raum raubte ihm den Verstand. Er musste schon seit Stunden Wasser lassen. Nun hielt er es nicht mehr aus und urinierte in eine Ecke des Raumes. Der Uringestank machte die Luft noch unattraktiver für das Atmen.
Nach weiteren sechs Stunden war Laurenz Beck alles gleichgültig. Seine Lippen waren aufgesprungen und brannten . Seine Augen schmerzten СКАЧАТЬ