Название: Aviva und die Stimme aus der Wüste
Автор: Vesna Tomas
Издательство: Автор
Жанр: Религия: прочее
isbn: 9783961401642
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Aviva lag immer noch am Boden. Mit ihren Händen versuchte sie ihre Beine mit dem Rock zu bedecken. Auf keinen Fall durfte man den Pfeil bei ihr finden. Ihr schwirrte der Kopf, sie konnte jedoch alles mit anhören. Lieber würde sie sterben, als zu Rapo zu kommen. Sie hatte auch keine Ahnung, ab wann man heiratsreif war und wie lang ihre Zeit bei Rapo dauern würde. Das entschieden die Ältesten. Einen kleinen Hoffnungsschimmer hatte sie: Kala, ihre Großmutter! Trotz ihres Alters hielt diese sich kerzengerade in der Runde. Ihre Wangen sahen aus wie gegerbtes Leder. Die langen, inzwischen mithilfe von Baumrinde schwarz gefärbten Haare trug sie geflochten. Ihre Augen waren tiefdunkel, ihr Blick konnte eine Person durchbohren. Meist war ihr Blick gehetzt, was Aviva immer irritiert hatte. Nie war es ihr gelungen, ihrer Großmutter nahezukommen, ihr Wesen zu spüren. Würde die Großmutter für sie einstehen und nur für die Ausgangssperre plädieren?
Da ergriff Lendor wieder das Wort: „Aviva muss öffentlich bestraft werden, sie soll nicht so einfach davonkommen! Was ist, wenn sie andere durch ihr Verhalten ansteckt? Unser Ruf ist in Gefahr!“
Als Aviva sah, wie Kala zustimmend nickte, erstarrte sie und ihr Herz versank in Verzweiflung. Der Ratsälteste bedeutete dem Wächter mit der Hand, zu schweigen. Dann schaute er Aviva an und sagte: „Du bist mutig. Die Götter hätten aus dir einen Mann machen sollen. So bleibst du nutzlos.“ Er blickte zu Lendor hinüber und befahl ihm: „Geh mit ihr in den Wald. Du weißt schon, den Zweig nicht zu dick, nicht zu dünn. Dann bring Aviva in die Gefangenenhütte. Geh, wir haben hier Wichtigeres zu besprechen.“ Narog deutete ungeduldig mit der Hand zur Tür.
„Ich werde sterben“, durchzuckte es Aviva. Sie fühlte sich so hilflos und allein. Lendor stapfte triumphierend auf sie zu, packte sie am Arm und zerrte sie aus dem Holzhaus. Während sie auf gröbste Art durchs Dorf und in Richtung Wald gezerrt wurde, spürte sie den Pfeil an ihrem Bein unter dem Rock. Die Dorfbewohner schauten ihnen mit besorgten, aber teilnahmslosen Blicken nach. Als ob ein Schleier über ihren Augen läge, dachte Aviva.
Lendor stellte Aviva vor einen kleineren Baum am Waldrand. „Du darfst sogar auswählen“, grinste er sie voller Genugtuung an. Aviva gehorchte, und wie so oft, wenn sie dazu gezwungen wurde, Sachen zu tun, die ihr widerstrebten, spürte sie ihren Körper nicht mehr. Sie wählte einen dickeren Zweig aus, brach ihn ab und fing an, die grünen Blätter zu entfernen. Mit ihren Nägeln löste sie die Rinde ab und streckte dann die Rute Lendor hin. Aviva schaute ihn dabei direkt an. Er wich ihrem Blick aus, nahm die Rute und bog sie ein paar Mal hin und her, um zu prüfen, ob sie fest und zugleich elastisch war. Dann packte er Aviva wieder am Arm und stieß sie zurück ins Dorf. Beide hatten nicht bemerkt, dass sie im Wald beobachtet worden waren. Leroy hatte sich hinter einem Baum versteckt und alles mit angesehen.
Die Gefangenenhütte war ein kleines Häuschen aus Holzbrettern, mehr ein Verschlag als eine Hütte. Lendor öffnete die Tür, trieb Aviva hinein, schloss die Tür von außen mit einem metallenen Riegel und stapfte davon. Kurz darauf kam er zurück, diesmal begleitet von Rapo und zwei weiteren Jägern. Sie fanden Aviva am Boden sitzend. Ich muss es geschehen lassen, dachte sie und spürte, wie sie ihrem Körper entwich. Sie spürte sich nicht. Aviva wusste zwar nicht, wo sie sich befand, aber auf eine geheimnisvolle Weise konnte sie sich selbst von außen sehen, wie sie in der Mitte saß, umkreist von den Männern.
Sie sah, wie Rapo die Rute hob und immer wieder auf sie niederschlug. Sie spürte jedoch keinen Schmerz. Obwohl die Wucht der Schläge sie verletzte, kam kein Ton über ihre Lippen. Die Jäger schienen trunken zu sein, wie im Rausch spornten sie sich gegenseitig an und ein jeder trat mit seinen Füßen gegen Avivas zierlichen Körper.
Das Lachen der Männer holte Aviva wieder in die Gegenwart zurück. Kraftlos lag sie zusammengekauert am Boden. Sie hörte noch, wie Rapo selbstbewusst ausrief: „Bindet sie vor meinem Haus an! Sie existiert für uns nicht mehr, solange ich es sage. Alle sollen sehen, wer hier der Herr ist. Wir feiern heute Nacht. Sie gehört jetzt mir.“ Der letzte Hoffnungsschimmer in Aviva war erloschen. Sie spürte nur noch eine tiefe Sehnsucht nach der ihr so vertrauten Stimme. „Wo bist du?“, hörte sie sich weinend fragen.
Zwei der Männer nahmen Aviva in ihre Mitte und schleppten sie zu Rapos Hütte. Aviva war so in sich eingesunken, dass sie das Geschehen um sich herum nicht mehr wahrnahm. Vor Rapos Tür, über der ein ausgestopfter Wildschweinkopf hing, wurde sie wieder auf die Knie gedrückt und mit den Handgelenken an einem Pfosten festgebunden.
Aviva wusste nicht, wie lange sie da gekniet hatte, als sie langsam wieder denken konnte. Ihr ganzer Körper schmerzte und sie erkannte, wo sie sich befand. Sie blickte zum Tor, das aus dem Dorf hinausführte. Ihre Knie schmerzten besonders, da sie auf ungeschliffenem Holz kniete. Sie versuchte, eine bessere Sitzposition einzunehmen. Es musste schon später Nachmittag sein, denn die Sonne verschwand langsam hinter dem Wald.
Aviva schämte sich, hier so gefesselt ausgestellt zu sein und gleichzeitig zu wissen, dass man sie nicht beachten durfte. Die Dorfbewohner trauten sich nicht, zu Rapos Hütte zu schauen, geschweige denn etwas zu sagen. Aviva konnte nur noch warten, bis es dunkel wurde.
Plötzlicher Lärm riss Aviva aus ihren Gedanken. Eine Wache am Tor rief laut: „Sie kommen! Sie kommen!“ Alle Leute liefen zum Dorfplatz und es lag große Aufregung in der Luft. Dann sahen sie den Wagen, von zwei Ochsen gezogen, durch das Tor einfahren. Drei Männer eines anderen Stammes saßen auf dem Kutschbock. Sie trugen Umhänge aus Fell und ihre lauten, freudigen Rufe erfüllten die Atmosphäre. Alle schienen sich zu freuen.
Der Wagen stoppte am Dorfplatz und die Männer stiegen herab. Narog ging ihnen mit ausgebreiteten Armen entgegen. Da sie zu weit entfernt war, konnte Aviva nicht verstehen, was sie sagten. Aber sie ahnte den Grund des Besuches. Es ging wohl um die Bezahlung der Ländereien.
Die Männer gingen in Narogs Haus und einige Männer des Dorfes bereiteten ein großes Feuer für die Feier vor. Holz wurde angehäuft, Baumstümpfe in einem Kreis angeordnet und mit Leder bedeckt. Krüge, gefüllt mit Wein und Schnaps, wurden bereitgestellt. Wenig später sah Aviva, wie Kala mit Gora und Jada in Narogs Haus ging und verspürte auf einmal einen abgrundtiefen Schmerz. Sie ahnte, dass sie ihre Schwestern bald nie wiedersehen würde.
Nach einer geraumen Zeit kam Kala allein aus dem Haus. Sie konnte nicht anders, als zu Rapos Hütte zu schauen, und ihr Blick begegnete den fragenden Augen ihrer zerschundenen Enkelin. Aber ihr ledernes Gesicht blieb ausdruckslos, als sie sich abwandte und zu ihrem Haus eilte.
Nach einer Weile kamen Gora und Jada wieder heraus und gingen schnellen Schrittes zu Kalas Haus. Frauen und Männer hielten in ihrer Arbeit inne und Feldarbeiter eilten ebenfalls zum Dorfplatz. Ein Gemurmel ging durch die Menge. Sie alle freuten sich, dass eine Feier stattfinden würde, aber ganz ungetrübt war diese Freude nicht. Immer wieder schaute jemand zu Aviva, blickte aber schnellstens wieder weg und ging weiter.
Da sah sie die Tür zu Großmutters Hütte aufgehen. Kala kam heraus. In ihren Händen trug sie zwei dicke Leinenbündel. Hinter ihr erschienen Gora und Jada. Wie schön sie aussehen! Die Haare waren geflochten und sie trugen knöchellange Kleider aus hellem Leinenstoff, die sie sonst nur bei besonderen Anlässen tragen durften. Um ihre Taillen waren fein verarbeitete, braune Kordeln gebunden. Beide trugen eine Art Amulett um den Hals, das Aviva nie zuvor gesehen hatte.
Salin kam ebenfalls aus dem Haus und schritt neben ihnen her. Er sah traurig aus und Gora nahm ihn an der Hand. Als ob eine stillschweigende Übereinkunft getroffen worden wäre, schritten sie zum Ochsenwagen. Kala ging ihnen voran. Die СКАЧАТЬ