Название: Kommissar Schlemperts zweiter Fall: Recht & Unrecht
Автор: Michael Schlinck
Издательство: Автор
Жанр: Зарубежные детективы
isbn: 9783960087724
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„Gibt es das denn“, lass ich nun meinen Frust heraus, „können wir denn nichts tun als warten?“
Und so ist es. Genau so ist es. Warten, dass etwas von Frankreich kommt. Warten, bis der Obduktionsbericht kommt. Warten, bis jemand eine Vermisstenanzeige aufgibt und unser Opfer identifiziert. Warten auf den Bericht der Spurensicherung. Es ist einfach zum Mäusemelken. Da es eh schon auf siebzehn Uhr zugeht, beschließen wir, Feierabend zu machen und uns zum Ausgleich morgen eine halbe Stunde früher zu treffen. Laura erklärt sich noch spontan dazu bereit, mich nach Hause zu fahren, damit ich den ungeliebten Kadett loswerde und wieder in meinem Mini herumdüsen kann.
Zu Hause angekommen, nehme ich mir Timos Rat zu Herzen und krame meine Laufsachen hervor.
Wie ich so losjogge, muss ich schon sagen, dass mein Kollege absolut recht hatte. Bei so einer sportlichen Betätigung ändert sich schlagartig das Stimmungsbild. Inzwischen stehen schon zweihundertfünf Meter auf meiner Fitness-App und ich habe das Gefühl, Berge versetzen zu können. Bei dreihundertzwanzig Metern öffnen sich die Poren und bei dreihundertfünfundfünfzig Metern bade ich im eigenen Schweiß. Bei dreihundertneunzig Metern passiere ich endlich das Ortsschild und bereue, mich auf die Körperertüchtigung eingelassen zu haben. Schlagartig drossele ich die Geschwindigkeit um zwei Drittel mit dem Vorsatz, wenigstens das Stück Radweg, das an der B48 entlangführt, im Laufschritt zu schaffen.
Ich schaffe es. Auch wenn ich dabei sicher wie ein Gehbehinderter auf der Flucht ausgesehen habe. Zwischendurch hat auch mal ein Autofahrer gehupt. Warum weiß ich nicht. Der Schweiß lässt meine Augen dermaßen brennen und tränen, dass ich im Blindflug dem heiß ersehnten Vollochweg entgegentaumle. Das Hupen war sicher nur der Gruß eines Bekannten, könnte aber auch eine Warnung gewesen sein, weil ich nichts sehend den Radweg verlassen habe und der Fahrbahn gefährlich nahe gekommen bin. Wieder so eine Sache, die ich nie erfahren werde.
Jetzt stehe ich am Anfang des Vollochwegs und habe eine ausgeprägte Schnappatmung. Anstatt meiner Beine fühle ich nur ein Brennen. Das Höllenfeuer fühlt sich sicher identisch an. Ein Wunder, dass sie mich noch tragen, meine Beine. Dabei war ich noch vor nur einem Jahr topfit. Urplötzlich ist alles aus dem Ruder gelaufen. Ganz schnell war der Spaß am Laufen einfach weg. In der gleichen Zeit haben Axel und Stan die Dashwings verlassen. Ja, die Deutschrockband, in der ich die Leadgitarre gespielt habe, war somit auch Geschichte. Wie ich so am Anliegerfreischild lehne, hab ich schon das Gefühl, dass es schwarze Katzen von links auf mich herabregnet.
Glücklicherweise geht der Nachhauseweg bergab, was dazu führt, dass ich ihn im Trab bewältige. Meine App interessiert mich schon längst nicht mehr. Als ich in unsere Straße einbiege, sehe ich mitten auf der Fahrbahn meinen Nachbarn stehen.
Der Reiner ist ja schon ein seltsamer Kauz. Ich würde wetten, dass er ursprünglich Rainer hieß, sich aber, wegen einer aus seiner Sicht genialen Geschäftsidee, den Vornamen auf Reiner umschreiben ließ. So vertreibt er nun sehr fragwürdige Produkte von Reiner Buttermilch.
Da steht er nun, der Nachbar, und grinst und winkt mich zu ihm her. Wer kann da schon Nein sagen. Ich könnte schon, doch das gute Benehmen verbietet es mir. So kommt es, dass ich trotz meines erbärmlichen Zustands bei ihm stehen bleibe.
„Hey, Dieter, ich muss dir unbedingt von meiner neuen Geschäftsidee erzählen“, sprudelt es aus ihm heraus und das ohne Begrüßung. Bin mal gespannt, was nun kommt. Sicher macht er nun Pudding aus Kuhdung oder so. Seine Buttermilch holt er auch als Abfallprodukt aus einer Butterfabrik und das mit einem alten Güllefass. Wenn man das sieht, vergeht einem die Lust auf Bio. Wobei erwähnt werden muss, dass er menschlich echt okay ist, der Reiner. Als letztes Jahr unser Haus brannte, hat er meine Musikinstrumente aus dem Keller vor einem Wasserschaden gerettet, während meine Familie und ich mit Rauchvergiftung im Krankenhaus verweilten.
„Wir haben jetzt auch Gästezimmer mit Wellness-Kur“, erzählt er voller Stolz. „Schönheit von innen mit Reiner Buttermilch.“
Hab ich es mir doch gedacht. Seine Ideen werden immer abstruser.
„Toll. Hast du das Gewerbe denn schon beim Fremdenverkehrsamt angemeldet?“, sag ich, weil mir gerade nichts anderes einfällt.
„Woher denn. Ich melde doch nichts an. Das spart Steuern, weißt du?“
Ja, das weiß ich. Aber dass ich nun offizieller Mitwisser bin, stört mich ungemein. „Steuerhinterziehung nennt man das!“, warne ich ihn.
Doch er sagt trocken und allen Ernstes: „Nicht meine, deine!“ Hä? „Schau doch, da der Staat nichts von meinem landwirtschaftlichen Betrieb weiß, braucht er mich auch nicht zu subventionieren. Das spart Steuern.“
Nun sag ich nichts mehr, weil mir einfach nichts mehr einfällt.
Dafür ist mein Nachbar umso gesprächiger: „Heute ist auch schon unser erster Kurgast eingetroffen. Ich kann dir sagen, ein ganz heißes Gerät! Eine Dame der besseren Gesellschaft von Frankfurt. Irgendeine Kaufhauserbin. Schau doch nur mal zur Wäscheleine! Solche Teile sollte sich Kordula auch mal zulegen. Dann wäre mal wieder was los auf der heimatlichen Pritsche, wenn du verstehst, was ich damit sagen will.“
Und ob ich verstehe. Sofort verbiete ich meinem Gehirn, die dazugehörenden Bilder zu liefern. Es verweigert mir den Gehorsam. Nun bin ich nicht nur deprimiert, jetzt ist mir auch noch übel.
Durch den Blick zur Wäscheleine wird dieses Gefühl noch verstärkt, was nicht an den schwarzen Teilen aus Spitze und Nylon liegt, die dort hängen, sondern an den selbst gehäkelten Schafswolleunterhosen, die Kordula gehören und gleich daneben hängen. Reiners Lebensgefährtin ist eben der Inbegriff von Öko.
Ohne ein weiteres Wort gehe ich nun nach Hause. Ob zum Kotzen oder zum Duschen, weiß ich noch nicht. Das entscheide ich dann spontan.
Papa. Mein Gebet richtet sich an meinen geliebten Papa. Lieber Papa im Himmel, der mich immer beschützt hat, mich großgezogen hat nach Mutters Tod. Der für mich gesorgt hat. Dann im Kampf für ein freies Land gefallen ist. Papa, ich habe die Ukraine verlassen. Anstatt für die Freiheit zu sterben, bin ich in die Freiheit geflüchtet. Ich weiß, dass du es sicher als feige empfindest, einfach bei Nacht und Nebel abzuhauen, um dann illegal in einem fremden Land zu sein. Aber mir ist es das wert. Keine Schüsse. Keine Leichen auf offener Straße. Kein Rauch in der Luft und keine Einschlagkrater.
Das ist es mir wert, mich zu verstecken. Ich wurde aufgenommen und kann ein wenig arbeiten. Und lerne Sprachen. In jeder freien Minute lerne ich. So kann ich schon etwas Deutsch, Englisch und Französisch. Das sei wichtig, wenn ich dann mal voll arbeite, wurde mir gesagt.
Außerdem gibt es einen Mann. Er hat mich auf der Flucht gefunden und über die Grenzen gebracht. Er ist anders als die anderen. Er ist einzigartig und trotzdem wie du, Papa. Ich liebe ihn und er liebt mich. Ich weiß das. Er ist der Mann meines Lebens. Endlich weiß ich, warum ich lebe. Endlich weiß ich, für wen ich lebe.
In Liebe, deine Veroschka.
Dienstag
Der Weg zur Arbeit macht heute deutlich mehr Freude, was daran liegt, dass ich nach den Tagen im Wohnmobil und in dem alten Streifenkadett endlich wieder in meinem Mini sitze. Das Teil ist schon der Hammer. Der ist es doch wert, meinen ungeliebten Job zu machen. Das Fahren macht mir so viel Freude, dass ich nun einen Umweg über Annweiler in Kauf nehme, um eines meiner СКАЧАТЬ