Название: Tödliche Zeilen
Автор: Uwe Schimunek
Издательство: Автор
Жанр: Зарубежные детективы
isbn: 9783955522322
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»Ja, wir sollten uns auf jeden Fall umhören«, entgegnete Kutscher. »Morgen gibt die Frau meines Verlegers einen Salon. Wie wäre es, wenn ich dir eine Einladung besorge?«
»Morgen, sagst du?« Wank sah aus dem Augenwinkel, wie der Richter den Saal betrat.
»Am Abend«, bestätigte Kutscher.
»Da bin ich eigentlich schon an Eleonore vergeben.« Der Richter schlug mit dem Hammer auf den Tisch und bat um Ruhe.
»Doch das werde ich regeln können«, flüsterte Wank seinem Freund zu und richtete den Blick auf den Richter, der das Verfahren eröffnete.
Thomas Kutscher brummte der Schädel. Er saß in seiner Wohnstube, vor ihm schimmerte das bleiche Papier im Glanz der Kerzen. Die Feder ruhte im Tintenfass wie ein letzter, vergessener Grashalm auf einer frischgemähten Wiese. Kutscher suchte nach Worten, doch er konnte keinen klaren Gedanken fassen.
Er sann über Karl May und dessen Sieg vor Gericht nach. Die ganze Zeit über hatte sich Kutscher im Gerichtssaal umgeschaut und sich gefragt, ob unter den Zuschauern wohl Orlogs Mörder sitzen könnte. Ihm waren ein paar bekannte Gesichter aufgefallen – Redakteure, Buchhändler, Angestellte von Verlagen. Doch er traute keinem einen Mord zu, sosehr er seine Fantasie auch bemühte. Immerhin hatte er nun Stoff für seinen nächsten Detektivroman. Dutzende Ideen waren ihm während der Verhandlung in den Sinn gekommen.
Zunächst musste er sich jedoch um dringendere Angelegenheiten kümmern und einen Brief an seinen Bruder verfassen, auch wenn ihm die Augen immer wieder zufielen. Die schwierige Aufgabe erlaubte keinen Aufschub mehr.
Kutscher öffnete die Schatulle, die seine Barschaft enthielt, und blickte auf die letzten Geldscheine und den kümmerlichen Haufen Münzen. Spätestens bis zur nächsten Mietzahlung musste das Kästchen aufgefüllt werden. Rollnik brauchte er in Geldsachen vorläufig nicht zu konsultieren. Gleich nach der Abgabe seines Detektivromans hatte Kutscher von Rollnik dafür einen Vorschuss erhalten. Der Rest desselben lag nun vor ihm. Sein Theaterstück war vom Aufführungsplan genommen worden. Selbst wenn er ein neues Stück schreiben würde, bekäme er dafür erst in Monaten Bares.
Die bittere Wahrheit lautete: Es blieb ihm nichts anderes übrig, als bei seiner Familie um Geld zu betteln. Deswegen saß er vor einem Bogen Briefpapier. Und deswegen brachte er kein Wort aufs Blatt.
Kutscher erhob sich und machte sich auf den Weg zur Küche. Dort wartete ein halbvoller Bierkrug auf dem Fensterbrett und gab der Winterkälte hinter der Scheibe einen Sinn.
Im Flur betrachtete er die Bilder an der Wand. Zeichnungen und Malereien in kleineren Formaten, Originale von Bekannten oder von Bekannten von Bekannten, die alle ein ungleich kargeres Leben bestritten als er. Wenn er solch ein Bild erwarb, tat er das freilich nicht nur aus Großherzigkeit dem armen Schlucker gegenüber. Nein, er betrachtete diese Passion auch ein wenig als ein Lotteriespiel. Es genügte, wenn einer der Maler zu Ruhm und Ehre käme. Schon würde sich sein kleiner Einsatz in einen riesigen Gewinn verwandeln. Doch derzeit lag die Aussicht auf Erlöse in weiter Ferne. Im Moment stand er eher vor der Frage, wohin er die Gemälde und Zeichnungen bringen sollte, wenn er sich die Wohnung nicht mehr leisten konnte.
Kutscher erreichte die Küche. Sämtliches Geschirr stand in der Spüle, Tisch und Backofen blitzten frisch geputzt. Vom Bier abgesehen, fand er in diesem Raum keine Ablenkung. Also füllte er sich etwas vom kalten Gerstensaft in einen Becher. Einen kleinen Schluck trank er sofort, dann machte er sich wieder auf den Weg in seine Schreibstube. Mit jedem Schritt wurde er langsamer, er schlurfte über den Boden und freute sich über das Geräusch, dass seine Hauslatschen verursachten.
Wieder am Schreibtisch, nahm er einen weiteren Schluck, griff zur Feder und begann zu schreiben: Lieber Hanno, mein Bruderherz … Die Feder in seiner Hand wurde immer schwerer. Kutscher malte sich aus, dass sein Bruder schon beim Lesen der ersten Worte ahnte, warum er ihn anschrieb. Vermutlich würde Hanno sein Ich-hab’s-doch-immer-gewusst-Grinsen schon aufsetzen, wenn er den Absender auf dem Briefumschlag las. Insgeheim verfluchte Kutscher seine Großmäuligkeit, mit der er nach dem Erhalt seines ersten Honorars für einen Detektivroman der Familie verkündet hatte, dass er nun auf eigenen Beinen stehe und Zuschüsse aus den Erlösen der väterlichen Chemiefabrik nicht mehr nötig habe. Denn seitdem musste er alle paar Monate einen Bettelbrief verfassen.
Er nahm noch einen Schluck Bier, um sich auf andere Gedanken zu bringen. Was für eine Wohltat! Wie leicht alles wurde! Die Worte schlichen durch seinen Kopf, auf leisen Pfoten, wie eine Katze zum Fressnapf. Da war es plötzlich – das Gedicht. Kutscher sprang auf und riss ein Blatt aus der Schublade. Hastig klierte er darauf die Worte:
Ein Handelsmann in Xanten
hatte gar schreckliche Tanten.
Nur Milch bekam er hier,
doch trank er heimlich Bier
und meuchelte seine Verwandten.
Kutscher steckte die Feder zurück ins Tintenfass. In einem Zug leerte er den Becher und ließ ihn auf den Tisch krachen. Vollbracht! Er pustete die Tinte auf dem Blatt Papier trocken und legte den Limerick in die Mappe zu den anderen Biergedichten.
Verblüfft stellte Kutscher fest, dass die Schwere aus seinem Kopf verschwunden war. Er warf einen Blick auf den Briefbogen. Nun erschien ihm die Sache gar nicht mehr so dringend. Denn das Postamt öffnete ohnehin erst am nächsten Morgen. Genau genommen war es gleich, ob er den Bettelbrief jetzt verfasste oder erst nach dem Aufstehen.
»Hast du schon etwas getrunken?«, fragte Edgar Wank.
»Ein Schlückchen mit den Kollegen«, antwortete Eleonore Rada. Sie stellte den Pelzkragen ihres Mantels auf, sodass ihr Gesicht beinahe in dem Fell verschwand. Nur ihre Nasenspitze lugte ins Freie wie eine vorwitzige Maus aus ihrem Loch.
Wank seufzte und führte sie weg vom Theater in die dunkle Nacht.
»Du hast mich warten lassen, mein Lieber.« Eleonore schmiegte sich an ihn. »Ich hatte gehofft, dass auch du mit mir noch einen Wein trinkst.« Sie kam noch etwas näher und flüsterte ihm ins Ohr: »Bei mir.«
»Es tut mir leid, dass ich mich verspätet habe. In der Redaktion ist gerade allerhand zu tun.« Wank führte Eleonore auf der Töpferstraße in Richtung Töpferplatz.
»Ich habe heute einen Gerichtsfall um den Schriftsteller Karl May verfolgt.«
»Karl May? Hat der etwas angestellt? Man hört da so einiges.«
»Nein, nein. Nun ja, doch, aber das ist schon lange her, und darum ging es heute nicht.« Wank dachte an seine Unterlagen und die Diebstähle, die May in jungen Jahren begangen hatte und über die einige Presseberichte herumgeisterten. Der Schriftsteller hatte deswegen sogar im Gefängnis gesessen. Seine Feinde nutzten dies aus und ritten auf der dunklen Vergangenheit des Schriftstellers herum. Doch das wollte Wank Eleonore jetzt nicht in aller Breite erklären, daher sagte er nur: »Vor dem Reichsgericht hat er recht in einer Verlagsangelegenheit bekommen. Herr May macht im Übrigen den Eindruck, als habe er es schon lange nicht mehr nötig, irgendwen zu bestehlen. Leider bin ich aber in den Rechtswissenschaften nicht sonderlich bewandert, sodass es mir nicht gerade leichtfällt, einen angemessenen Bericht zu verfassen.«
Eleonore gähnte.
»Mit einem richtigen Toten habe ich auch gerade zu tun. Ich bin sicher, es handelt sich um einen Mord.«
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