Название: Tödliche Zeilen
Автор: Uwe Schimunek
Издательство: Автор
Жанр: Зарубежные детективы
isbn: 9783955522322
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Wank betrachtete das Blut und murmelte: »Hier lag dann wohl der Kopf. Wo waren die Füße? Wie herum lag der tote Herr?«
»So herum«, antwortete Kutscher und deutete an, dass der Leichnam mit den Füßen in Richtung Dresdner Straße gelegen habe.
Etwas an Kutschers Beschreibung erschien Wank seltsam, so als würde ein Detail aus einem anderen Bild stammen. Wank hob den Hut und kratzte sich an der Stirn. Die Kopfbedeckung, das war es! »Der Hut des Herrn war völlig unversehrt?«
»Der Hut wird ihm wohl vom Kopf geweht worden sein, bevor der Stein ihn traf.«
»Sagtest du nicht, es herrschte Windstille?«, entgegnete Wank.
»Hm«, brummte Kutscher. »Das ist in der Tat seltsam.«
»Und wo, meintest du, lag der Hut des Herrn?« Kutscher zeigte ein paar Meter weiter in Richtung Dresdner Straße. »Dort.«
»Ach du lieber Gott! Hast du das auch Machuntze gesagt?«
»Was?« Kutscher blickte drein wie ein Bengel, der von der Mutter beim Stibitzen eines Bonbons erwischt worden war. »Der Kommissar hat mich nicht danach gefragt. Warum willst du das wissen?«
»Stell dir vor, der verblichene Herr hat jemanden getroffen und seinen Hut gezogen, bevor ihn der Stein traf. Und während er dann stürzte, ließ er ihn fallen. Wo wäre der dann gelandet?«, fragte Wank, tippte an seine Krempe und hob dann seinen Hut. Er zeichnete mit der Hand in der Luft die Fluglinie der Kopfbedeckung nach.
Kutscher drehte den Kopf und folgte Wanks Handbewegung – hin zu der Stelle, an der er den Hut gefunden hatte.
Wank merkte, wie bei seinem Freund der Groschen fiel.
»Wenn Orlog jemandem begegnet ist, vor dem er den Hut gezogen hat, dann hat der ihn vielleicht auch mit dem Stein angegriffen«, murmelte Kutscher. »Das wäre Mord.«
»Es sieht so aus«, bestätigte Wank.
»Stellt euch vor, meine Freunde, ich habe dem Verblichenen im vergangenen Jahr eines meiner Gedichte angeboten!«, rief Thomas Kutscher. Er musste ziemlich laut sprechen, um das Gemurmel in der »Elster-Klause« zu übertönen, denn zu dieser Abendstunde war in der Schankwirtschaft jeder Platz besetzt.
Fridolin Hartmann, der Neue und Fritz Lutemüller saßen mit Kutscher am Tisch und schwiegen. Bei Letzterem war das nichts Ungewöhnliches. Lutemüller sprach kaum. Selbst wenn der Wirt das Bier abstellte, nickte er höchstens kurz. Den Neuen konnte Kutscher noch nicht richtig einschätzen. Der hatte sich als Hans Pöttger, Pöttiger oder Pötticher vorgestellt. Anscheinend war er jahrelang zur See gefahren und gerade erst nach Leipzig zurückgekehrt, um eine Stelle als Kommiss anzutreten. Gedichte verfasste er zumeist nachts. Hartmann redete indes gern und sich häufig auch in Rage. Wenn er jetzt den Mund hielt, dann wohl nur, weil er noch weitere Details über den mysteriösen Tod des Literaturkritikers hören wollte.
Also fuhr Kutscher fort: »Ich habe soeben noch einmal zu Hause nachgeschaut. Die Absage war in einem Ton verfasst, als handelte es sich um eine Amtssache. Immerhin hat der Herr mir zugesagt, dass ich ihm gelegentlich eine Arbeit zu einem anderen Thema einreichen dürfe.«
Der Ober kam mit einem Tablett Bier. Kutscher leerte schleunigst seinen Humpen und nahm den neuen entgegen. Hartmann, der Neue und Lutemüller taten es ihm gleich.
Kutscher hob den vollen Bierkrug in die Höhe und stieß mit den anderen Dichtern auf die Kunst an. Sie tranken und ließen anschließend die Humpen auf die Tischplatte krachen. Kutscher spürte, wie ihn die anderen erwartungsvoll anschauten, deshalb fügte er an: »Ansonsten kann ich nicht viel über Orlog berichten. Mit den Detektivromanen eines Tom Tock hätte der Herr sich in seinem feinen Blatt niemals beschäftigt. Bestimmt hatte er noch nie von ihnen gehört. Und wenn, dann ahnte er mit Sicherheit nicht, dass diese und meine Gedichte aus derselben Feder stammen.«
»Nun ja …« Hartmann guckte auf seinen Krug, als wäre dort notiert, was er sagen wollte. »Über andere Kolportageautoren wusste er ziemlich gut Bescheid.«
»Ich schreibe keine Kolportage«, knurrte Kutscher. »Meine Romane werden in ordentlichen Geschäften verkauft. Nur weil sie beliebt sind, handelt es sich noch lange nicht um Schund.«
»Jaja.« Hartmann winkte ab. »Zu einer Fehde mit den Edelfedern bei den hochrangigen Blättern reicht es bei dir aber nicht.«
Kutscher wusste nicht so recht, worauf Hartmann hinauswollte.
»Hast du die Artikelserie über die Charakterschwäche des Schriftstellers Karl May nicht verfolgt?«
Kutscher schüttelte den Kopf.
»Mensch, Thomas! Orlog ist monatelang über den armen Kerl hergezogen, in übler Weise, wie über einen Todfeind. Ich habe die Zeitschriften zu Hause. Ich borge sie dir gern zur Lektüre.«
»Unbedingt!«
»Freilich lässt sich eine Feindschaft auch gar trefflich durch Ignoranz begründen«, warf der Neue ein und lächelte dabei milde. »Wenn der Kerl sich mit anderen einen Krieg leistet, wäre ich jedenfalls schwer beleidigt, wenn ich diesem Schnösel nicht einmal einen Verriss wert wäre.«
»Feindschaft ist ein großes Wort«, murmelte Kutscher.
»Wer soll das große Wort denn führen, wenn nicht wir Dichter!« Hartmann schlug mit der Faust auf den Tisch.
»Nun, ich glaube kaum, dass Orlog außerhalb der Dichterkreise viele Freunde hatte«, erwiderte Kutscher. »Wenn beim Rollnik-Verlag oder in der verlagseigenen Buchhandlung das Wort auf Orlogs Kritiken kam, habe ich kaum Begeisterung vernommen.«
»Viel Feind, viel Ehr!« Hartmann hob seinen Humpen und rief: »Darauf ein Prost!«
Kutscher stieß mit den Freunden an. Während das Bier seine Kehle hinunterrann, dachte er nach. Wenn hier über Feinde eines Mordopfers – und ein solches war Orlog wohl – geredet wurde, sprachen sie dann auch über Verdächtige? Vermutlich hatte jeder an diesem Tisch mindestens eine Absage von Orlog in der Schublade des heimischen Sekretärs liegen.
Kutscher stellte seinen Bierkrug ab und sagte: »In diesem Falle könnte es auch heißen: Viel Feind, sehr tot.«
»Ein paar von meinen Gedichten hat der Knilch immerhin abgedruckt«, warf Hartmann ein und wandte sich an den Neuen. »Deinen Namen habe ich in den Bacchus-Blättern auch schon lesen dürfen.«
»Mag sein.« Der Neue sprach so leise, dass er im Kneipenlärm gerade kaum noch zu verstehen war. »Dennoch, auf hoher See kannten wir nur zwei Sorten von Fieslingen.«
»Ach«, sagte Kutscher verwundert, »und welche?«
»Nun, die einen waren skrupellose Kapitäne oder Steuermänner. Sie regierten auf den Schiffen mit eiserner Faust. Denen kam keiner zu nahe. Die anderen jedoch …« Der Neue grinste und machte eine kurze Pause. »Die anderen hatten keine Macht. Und die gingen häufig nachts bei einem tragischen Unfall über Bord.«
Kutscher bemerkte, СКАЧАТЬ