Tödliche Zeilen. Uwe Schimunek
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Название: Tödliche Zeilen

Автор: Uwe Schimunek

Издательство: Автор

Жанр: Зарубежные детективы

Серия:

isbn: 9783955522322

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СКАЧАТЬ weilten Lektoren und Buchhalter zuhauf, vermutlich auch Rollnik selbst. Wie sollte er seine Neugier erklären, wenn er zur Rede gestellt wurde? Bevor er das Für und Wider abwägen konnte, riss ihn eine Stimme aus seinen Gedanken.

      »Herr Kutscher, Sie sind einen Tag zu früh.« Fräulein Helene Seidel stand in der Hintertür des Verlagsgebäudes und strahlte ihn an.

      Er trat auf die Vorzimmerdame zu. »Es ist nur …« Vier, fünf Schritte blieben ihm noch, sich eine Antwort einfallen zu lassen … »Nun ja, eigentlich bin ich wegen des gestrigen tragischen Vorfalls noch einmal in die Blumengasse gekommen.«

      »Sie wissen schon davon?«

      »Ich selbst habe den armen Kerl gefunden.«

      »Oh!« Das Lächeln wich aus Fräulein Seidels Antlitz. »Das war sicher schrecklich.«

      »Herr Orlog sah wahrlich nicht gut aus«, bestätigte Kutscher. Er nahm ihre Hand und deutete einen Handkuss zur Begrüßung an.

      Fräulein Seidel schlug die Augen nieder. Sie rang offensichtlich nach Worten, sodass Kutscher ihr am liebsten ein Stichwort gegeben hätte. Doch er schwieg, und die Zeit schien so langsam zu verrinnen wie ein zäher Lavafluss.

      Schließlich sagte Fräulein Seidel leise: »Nicht einmal eine halbe Stunde, bevor Sie das Verlagshaus verließen, habe ich den Herrn noch verabschiedet.« Sie seufzte und fügte mit belegter Stimme hinzu: »Herr Orlog war, weiß Gott, nicht nur ein Freund des Verlags Rollnik. Dennoch, so ein Ende hat niemand verdient. Zumal er auch ein Kunde unserer Druckerei war und seine Zeitschrift bei uns herstellen ließ.«

      Kutscher zog ein Taschentuch aus seinem Jackett und reichte es der Dame. Dabei sprach er immer noch kein Wort. Weinende Frauen verschlugen ihm stets die Sprache.

      Fräulein Seidel schluchzte ein »Danke« und tupfte sich die Augen ab. »Wenn Sie mit der Polizei zu tun hatten, wissen Sie sicher auch um unsere missliche Situation.«

      Kutscher schüttelte stumm den Kopf.

      »Seit gestern Nachmittag kommen immer wieder Polizisten zu uns in den Verlag. Sie befragen die Angestellten und Arbeiter. Vor allem aber untersuchen sie unser Dach. Zeitweise mussten wir sogar die Druckmaschinen abstellen.« Fräulein Seidel gewann mit jedem Wort ein bisschen mehr die Fassung zurück. Schließlich klang ihre Stimme beinahe trotzig. »Ich möchte mir lieber nicht ausmalen, was es für unseren Verlag bedeutet, wenn die Beamten uns wegen des tödlichen Dachziegels eine Fahrlässigkeit attestieren würden.«

      Kutscher schaute zur Werkhalle hinüber. Ob die Polizisten auch jetzt auf dem Dach Untersuchungen betrieben? Nicht auszudenken, wenn sie ihn beim Herumschnüffeln erwischt hätten! Er wandte sich wieder der Dame zu. »Bitte seien Sie sicher, dass meine Gedanken bei Ihnen sind. Ich werde Sie nicht weiter behelligen. Zumindest bis morgen.«

      »Vielen Dank, Herr Kutscher.« Fräulein Seidel reichte ihm das Taschentuch zurück und verabschiedete sich.

      »Das ist er«, flüsterte Edgar Wank und wies mit seinem Notizbuch in der Hand Richtung Tür.

      Sein Freund Thomas Kutscher saß neben ihm im großen Saal des Reichsgerichts und murmelte: »Tatsächlich, der Schriftsteller Karl May.«

      Ein Raunen ging durch die Reihen, als May den Gang entlangschritt. Er trug einen hochgeschlossenen schwarzen Anzug, im Kragen steckte ein sorgfältig gefaltetes Tuch. Den Hut hielt er in der Hand. Über seiner hohen Stirn fiel das Haar in grauen Strähnen bis über die Ohren. Obwohl er gebeugt ging, strahlte er eine enorme Autorität aus. Das lag aber vielleicht nur daran, dass ihm in gemessenem Abstand ein Anwalt in schwarzer Robe und weitere Gäste folgten.

      Der Schriftsteller schaute sich im Saal um. Für einen Moment blickte er Wank an. Trotz der tiefen Tränensäcke sahen Mays Augen wie die eines viel jüngeren Mannes aus. Wank nickte dem Schriftsteller zu, und auch May bewegte den Kopf ein kleines bisschen. Dann ließ er seinen Blick wieder schweifen.

      Der Anwalt berührte Mays Arm und wies ihm den Weg zur Bank, an der die Kläger ihren Platz hatten.

      »Ich wünsche ihm so sehr, dass er gegenüber diesen Halsabschneidern sein Recht bekommt«, zischte Kutscher.

      Es war nicht nötig, besonders leise zu sprechen. Denn immer noch strömten Menschen in den Gerichtssaal, und in den Rängen tuschelten die Zuhörer.

      Auf der Anklagebank umringten mehrere Herren eine ältere Dame. Wank konnte sie kaum sehen, da die Männer ihm die Sicht versperrten. Es musste sich um Pauline Münchmeyer handeln, die Witwe des bereits vor fünfzehn Jahren verstorbenen Verlegers Heinrich Gotthold Münchmeyer.

      Wank steckte das Notizbuch in die Tasche und öffnete die Akte, die Bollmann ihm gegeben hatte. Er überflog seine Stichpunkte an den Seitenrändern. May hatte im Laufe der 1880er-Jahre eine Reihe von Kolportageromanen unter einem Pseudonym verfasst und Honorare im Bereich von 35 bis 50 Mark pro Roman erhalten. Die Titel hatten sich hunderttausend- oder gar millionenfach verkauft. Wie hoch die Verkäufe genau gewesen waren, war unklar, denn May hatte keine Abrechnungen über sie erhalten. Und genau diese Abrechnungen klagte der Schriftsteller nun ein. Wenngleich er keinen schriftlichen Vertrag mit dem Verleger abgeschlossen hatte, so stehe ihm doch eine nicht näher bezifferte feine Gratifikation für Auflagen zu, die zwanzigtausend Exemplare überschritten. Dies sei mündlich vereinbart gewesen und zudem bis heute übliches Geschäftsgebaren. Tatsächlich hatte May in den Vorinstanzen recht bekommen.

      Wank überflog das nächste Papier in seiner Akte. Mays rechtliche Situation wurde dadurch erschwert, dass Pauline Münchmeyer den Verlag schon vor fünfzehn Jahren an den Leipziger Verlagsbuchhändler Adalbert Fischer verkauft hatte. May hatte dem neuen Verleger ursprünglich die Nutzung seiner alten Werke untersagt, stand aber nun dem Vernehmen nach vor einem Vergleich. Doch darum ging es in diesem Prozess nicht.

      Während noch immer Menschen in den Saal drängten, lehnte sich Wank zurück, legte die Akte auf seinen Schoß und wandte sich zu seinem Freund. »Du schließt doch hoffentlich schriftliche Verträge mit Rollnik?«

      »Wir leben in einem neuen Jahrhundert, Edgar! Seit sieben Jahren haben wir ein deutschlandweit gültiges Bürgerliches Gesetzbuch. Heute brauche ich länger, um einen Vertrag abzuschließen, als für das Schreiben eines Romans.« Kutscher kicherte so laut, dass sich ein Herr in der Reihe vor ihnen umdrehte. Kutscher nahm das anscheinend nicht wahr, oder er ließ sich davon nicht beeindrucken. »Wie du anhand dieses Prozesses erkennen kannst, war Literatur auch schon im letzten Jahrhundert ein Geschäft. Und heute ist sie es mehr denn je.«

      Wank warf entschuldigende Blicke zu den Gästen ringsherum.

      Kutscher bemerkte das, beugte sich zu ihm und fügte im Flüsterton hinzu: »Ich weiß nicht, ob das in deinen Unterlagen steht, aber die Nachforderungen Mays belaufen sich auf bis zu dreihunderttausend Reichsmark.«

      »Dreihunderttausend?« Nun war es Wank, dem es schwerfiel, leise zu sprechen. Um solch einen Betrag einzustreichen, musste er jahrzehntelang Polizeiberichte für die Leipziger Zeitung schreiben. Er musterte May eingehend. Der Schriftsteller strahlte zwar eine gewisse Erhabenheit aus, doch wie ein Millionär wirkte er nicht.

      »Bei dieser Gattung ist die Schreiberei mehr Geschäft als Kunst«, sagte Kutscher. Obwohl er flüsterte, klang er so stolz, als würde er selbst hohe Honorare kassieren.

      Wanks Gedanken lösten sich vom klagenden Abenteuerschriftsteller und schweiften zum Fall Orlog. Er zögerte einen Moment, bevor er sagte: »Vielleicht sollten wir uns auch über die finanziellen Befindlichkeiten СКАЧАТЬ