Название: Tödliche Zeilen
Автор: Uwe Schimunek
Издательство: Автор
Жанр: Зарубежные детективы
isbn: 9783955522322
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Einige Studenten krakeelten auf dem Fleischerplatz. Sie trugen die Scherpen einer Burschenschaft und lallten völlig betrunken ein Lied. Eleonore rückte so nah an Wank heran, dass er den Eindruck hatte, sie wolle unter seinen Mantel kriechen. Seltsamerweise fühlte er sich dadurch stärker. Vermutlich hätte er es voller Übermut sogar mit den besoffenen Burschen aufgenommen, wenn sie Ärger gemacht hätten, doch die nahmen keinerlei Notiz von ihnen. Sie schwankten Richtung Schulplatz von dannen, ihr Gebrüll ging nun im Plätschern der Pleiße unter.
Wank führte Eleonore eilig über den Thomasring zur Promenadenstraße. An dieser Stelle war von dem Fluss nichts mehr zu sehen oder zu riechen, denn die Pleiße floss hier seit ein paar Jahren unterirdisch. Die Laternen tauchten die Straße vor ihnen in fahles Licht, die Fassaden wirkten wie die Gemäuer eines Gespensterschlosses. Doch hier wohnten keine Bösewichter, sondern honorige Menschen wie Eleonore. Ihre Wohnung befand sich im zweiten Haus der Straße, im Parterre.
»Schnell, mir ist so kalt!« Eleonore ließ Wank los, öffnete die Haustür und eilte ins Treppenhaus. »Im Ofen liegen noch die Kohlen, die du aus dem Keller geholt hast.« Hurtig schloss sie die Wohnungstür auf und zog Wank hinein.
Jedes Mal, wenn Wank Eleonores Reich betrat, überkam ihn Wehmut. Der Flur führte in eine Stube, in eine Essküche und in ein Schlafzimmer. Die Wohnung hätte ohne Weiteres für sie beide gereicht. Vielleicht wäre sogar Platz für einen Sohn oder eine Tochter. Doch daran wagte Wank nur in seinen kühnsten Träumen zu denken. Seit Jahren traute er sich nicht, mit Eleonore über die gemeinsame Zukunft zu sprechen. Sie machte diesbezüglich auch keinerlei Andeutungen, und so wohnte er immer noch in seinem kargen Zimmer in der Karlstraße. Auch jetzt schien ihm nicht die rechte Zeit für dieses Thema zu sein. Er schritt in die Stube, ohne den Überzieher abzulegen, und entfachte das Feuer im Ofen.
»Ach, ist das herrlich!«, sagte Eleonore. »Allein das Flackern macht mich so froh.«
Wank zog seinen Überzieher aus und schob den Sessel vor den Ofen. »Komm«, sagte er, »hier ist es warm.«
»Warte noch einen Moment«, sagte Eleonore, zog ihren Mantel aus und setzte sich ans Klavier. Leise spielte sie eine Weise aus Millöckers Bettelstudent. Die ersten Zeilen summte sie nur, dann sang sie: Ach! Und wärst du arm, träfe dich Schmach/Wahre, inn’ge Liebe, sie fragt nicht danach/Nich lockt mich Reichtum, prunkender Schein/Ich will dein Herz nur allein!
Wank schaute zum Klavier. Die Noten standen aufgeschlagen im Ständer. War das ein Zufall? Oder wollte Eleonore ihm mit der Textstelle etwas sagen? Und wenn ja, was? Sicher, er verfügte nicht über den Reichtum, den sein Freund Kutscher durch das Unternehmen seiner Familie mitbrachte. Doch sein Einkommen bescherte ihm durchaus ein Leben ohne Sorgen.
»Du siehst so nachdenklich aus.« Eleonore erhob sich vom Klavierhocker und kam auf Wank zu. »Heute Abend sollten wir nicht mehr über die Arbeit sinnieren.« Sie streifte ihr Kleid von den Schultern und setzte sich auf Wanks Schoß.
Tagebucheintrag vom 9. Januar 1907
Es gibt Gerechtigkeit. Ich sorge dafür. Ich bin Kläger, Richter und letzte Instanz. Unbestechlich. Die Welt ist eine bessere dank meines beherzten Tuns.
Freilich bleibt noch genug zu erledigen. Noch kann ich mich nicht in meinem Sessel zurücklehnen oder mich anderweitig zur Ruhe setzen. Im Gegenteil. Mir scheint Eile geboten. Vielleicht kehrt durch meine Taten gar Vernunft in gewissen Kreisen ein.
Denn besser als der Richter herrscht die Weisheit. Ich stehe ihr zu Diensten.
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