Die Leiche im Landwehrkanal. Uwe Schimunek
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Название: Die Leiche im Landwehrkanal

Автор: Uwe Schimunek

Издательство: Автор

Жанр: Исторические детективы

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isbn: 9783955520359

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СКАЧАТЬ dem Feld geblieben. Wir haben getrauert. Und wenn ich jetzt daran denke, fallen mir auch die schrecklichen Bilder ein. Abgeschlagene Gliedmaßen und Köpfe. Aufgeschlitzte und zerrissene Körper. Doch ich kann mich beim besten Willen nicht daran erinnern, so durcheinander gewesen zu sein wie heute im Thiergarten. Wegen einem Mann.

       Vielleicht sind tausend Tote leichter erträglich als ein einzelner. Die Franzmänner waren uns sowieso egal. Da haben wir bei jedem Kadaver gejubelt. Aber auch bei unseren Toten konnten wir uns nicht lange mit der Trauer aufhalten. Kaum gedachten wir eines gefallenen Kameraden, blieb der nächste auf dem Feld. Eine alltägliche Tragödie. Bittere Rituale.

       Ein paar zarte Geister haben das natürlich nicht vertragen. Erst sind sie still geworden, haben nicht mehr gesprochen. Dann nicht mehr gekämpft. Sie sind aufs Schlachtfeld geschlichen wie alte Männer. Zumeist mussten wir bald ihrer gedenken.

       Auch ich habe schlechte Erinnerungen aus dem Krieg mit nach Hause gebracht. Die jedoch kamen mir selten und unvermittelt in den Sinn. Manchmal in der Nacht. Dann habe ich mir klargemacht, dass ich auf der richtigen Seite stand. Ich habe getan, was getan werden musste. Das Richtige.

       Das sage ich mir auch heute: Ich habe vor drei Tagen das Richtige getan! Daran kann es keinen Zweifel geben. Und wenn der Kerl noch hundert Mal vor meinem inneren Auge zu Boden stürzt. Der ist doch selbst schuld.

       Ja, ich habe abgedrückt. Ich habe auf sein Herz gezielt, und allem Anschein nach habe ich getroffen. Aber ich wäre doch niemals ohne Grund an diesen gottverlassenen Ort vor den Thoren der Residenzstadt geritten. Und ich schieße auch nicht ohne Sinn und Verstand auf Menschen.

       Was hat dieser Puch sich gedacht? Dass er den Herrn über meine Zukunft spielen darf? Dass ich zusehe, wie er meinen Ruf zerstört? Mein Leben verpfuscht? Nein, ich habe das Recht, mich zu verteidigen. Wenn nötig, auch mit der Waffe in der Hand. Da sei der Herrgott mein Richter – ich habe nur getan, was ich tun musste. Wie auf dem Schlachtfeld.

       Immerhin habe ich jetzt ein wenig zur Ruhe gefunden. Ich werde zu Bett gehen und schlafen. Das mit dem Tagebuch führe ich fort. Gleich morgen. Bis dahin habe ich eine Nacht vor mir. Den Schlaf eines Gerechten. Denn der bin ich. Soll der Mann doch ins Wasser fallen, wie er will.

      Freitag, 23. August 1850

      Christian Philipp von Gontard schritt durch das Treppenhaus zum Bureau seines Lehrstuhls. Seine Schritte hallten durch das Gemäuer. Er war zeitig in die Vereinigte Artillerie- und Ingenieurschule gegangen, denn noch herrschten draußen Unter den Linden erträgliche Temperaturen. Nicht nur er schien auf diesen Gedanken gekommen zu sein, denn als er am Treppenabsatz kurz stehenblieb, klackten weiterhin Stiefel über die Stufen. Die Geräusche kamen von oben.

      Gontard überlegte, ob er umkehren sollte. So früh am Tage fehlte ihm die Lust zur Konversation, und im Labor warteten die Proben vom Landwehrkanal. Aber vielleicht ging der Mann über ihm auch ganz woandershin, zu einem anderen Lehrstuhl oder ins Rektorat. Sicher reichte es, ein wenig zu trödeln, um dem anderen aus dem Weg zu gehen. Gontard schlenderte gemächlich in die nächste Etage. Dort lehnte er sich an das Geländer und hörte die Schritte verhallen.

      Jetzt herrschte Stille in der Vereinigten Artillerie- und Ingenieurschule. Gontard eilte, nun da die Gefahr von Zwiegesprächen am Morgen gebannt schien, zu seinem Lehrstuhl. Im zweiten Geschoss bog er in den Gang und traute seinen Augen nicht: Ausgerechnet vor seinem Bureau stand eine Gestalt in derart militärischer Haltung, dass Gontard sie kurz für eine Statue hielt. Nur, wo sollte die herkommen? Nein, es musste sich um den Mann handeln, dessen Schritte er gerade gehört hatte. Das Gesicht konnte er im Zwielicht des Ganges nicht erkennen, genauso wenig den Dienstgrad des Mannes.

      Gontard dachte erneut daran umzukehren. Doch wie würde das aussehen? Es gab kein Zurück. Aber immerhin war es sein Lehrstuhl, sein Reich. Er würde mit dem Mann zwei, drei Sätze wechseln und ihn dann abwimmeln. Gontard merkte, wie seine Schritte zackig wurden.

      »Guten Morgen, Herr Oberst-Lieutenant!« Die Gestalt trat in die Mitte des Ganges.

      Gontard erkannte Lieutenant von Heye. Der junge Offizier belegte seine Ballistik-Vorlesung. Er gehörte zu den Studenten, denen Gontard eine große Karriere in der preußischen Armee vorhersagte. Er verfügte über beste Beziehungen, war eine attraktive Erscheinung und zeigte gute Leistungen. Leider ließ er das seine Kommilitonen und Lehrkräfte regelmäßig wissen.

      »Guten Morgen, Lieutenant! Was wünschen Sie zu dieser Morgenstunde?«

      »Ich möchte mich freiwillig melden. Ich hörte, Sie suchen Studenten, die den Unfall am Landwehrkanal untersuchen.«

      Gontard fixierte seinen Studenten. Der wirkte bei allem Hochmut arglos. Gontard hatte gestern in einem Seminar wirklich von dem Erdrutsch berichtet. Es war nicht ausgeschlossen, dass einer der Studenten das am Abend in der Kneipe weitererzählt hatte. Verwerflich wäre das nicht, Gontard suchte schließlich Freiwillige. Dennoch, etwas machte ihn skeptisch. Er fragte deshalb: »Und das fällt Ihnen mitten in der Nacht ein? Hätte das nicht Zeit bis zum Seminar gehabt?«

      »Ich dachte, Sie könnten mich vielleicht über die Aufgaben ins Bild setzten. Und gleich nach den Vorlesungen mache ich mich dann ans Werk.«

      Gontards Misstrauen verstärkte sich. Dieser Enthusiasmus war völlig untypisch für einen Studiosus an der Vereinigten Artillerie- und Ingenieurschule. Hier lernten die Offiziere Seiner Majestät, und die pflegten nach Erledigung der nötigsten Arbeit zu Bierstuben zu eilen oder nach Schürzen zu jagen. Gontard schwieg.

      Heye zögerte ebenfalls einen Augenblick, bevor er hinzufügte: »Ich habe gehört, mit dem Unglück ist auch ein Criminalfall verbunden …«

      Daher wehte also der Wind, dachte Gontard. Von der Leiche hatte er am Vortag im Seminar allerdings nichts erwähnt.

      »Ich habe den Verstorbenen ein paarmal im Haushalt der Familie von Traunstein gesehen und daher ein gewisses Interesse an der Sache.«

      »Sie kannten diesen Puch?«

      »Nun ja, kennen ist zuviel gesagt. Mein Vater und Herrmann von Traunstein sind befreundet.« Heye verlor für einen Moment seine Überheblichkeit, so wie ein Ritter, der sein Schild senkt. »Deswegen war auch ich oft ein Gast der Familie.«

      »Und was hatten Sie für einen Eindruck von Puch?« Heye guckte, als habe Gontard ihn bei einer Peinlichkeit erwischt, und antwortete: »Ich habe ihn kaum wahrgenommen, es handelte sich bei Puch schließlich nur um einen Secretär.«

      »Immerhin ist er Ihnen in Erinnerung geblieben.«

      »Ich … ich … interessiere mich nun mal für Menschen …« Gontard sah den Lieutenant scharf an. Da gewährte der junge Offizier einen Blick hinter seine großtuerische Fassade, und schon wurde das große Nichts offenbar. Nur nicht lachen, dachte Gontard. Er wollte den Jungen weiter in die Enge treiben. Vielleicht verriet der doch mehr über Puch.

      »Mein Vater hat gemeint, ich solle mich mit solchen Leuten nicht weiter abgeben.«

      »Weshalb?«

      »Weshalb? Es war ein Hinweis meines Vaters. Und um ehrlich zu sein, galt mein Interesse im Haus von Traunstein nicht den Bediensteten.« Lieutenant von Heye verschanzte sich wieder hinter seinem Panzer aus Hochmut.

      »Und wäre der Mann nicht tot, würden Sie auch kein Abenteuer in СКАЧАТЬ