Название: Die Leiche im Landwehrkanal
Автор: Uwe Schimunek
Издательство: Автор
Жанр: Исторические детективы
isbn: 9783955520359
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Sie passten den rechten Moment ab und eilten über den Fahrweg. Nun waren es nur noch ein paar Meter.
Ferdinand zog Quappe am Ärmel und fragte: »Herr Quappe, würden Sie nicht gern wissen, was in den Papieren steht?«
Nein, das wollte er nicht. Ganz sicher wollte er das nicht. Oder sollten sie doch einen Blick in die Blätter werfen? Aber würden sie überhaupt etwas verstehen?
Quappe sagte: »Da Diensthabende hat mich die Papiere inner Rolle jegeben und nich lose inne Hand jedrückt. Ditte wird schon Jründe ham.«
»Vermutlich ließen sie sich so besser transportieren.« Dem jungen Herrn fiel stets eine Spitzfindigkeit ein.
Quappe öffnete den Dienstboteneingang des Gontardsch’schen Hauses. »Ick werd de Rolle uffbewahrn, bis da Herr Oberst-Lieutenant mit seine wichtijen Erledijungen fertig is.«
»Die Papiere werden doch nicht schlechter, wenn wir sie betrachten.«
Quappe trat ins Haus.
»Wenn das streng geheime Unterlagen wären, hätte mein Vater sie bestimmt versiegeln lassen. Ganz sicher.«
Quappe inspizierte die Rolle. Der junge Herr hatte recht. Die Rolle war verpropft, aber nicht versiegelt.
»Mein Vater würde nicht einmal bemerken, dass wir die Papiere eingesehen haben.«
Es kam Quappe so vor, als würde der Leibhaftige persönlich ihm eine Versuchung ins Ohr flüstern. Er schlich durchs Gontard’sche Haus. Natürlich war er auch neugierig. Und sicher würde keiner bemerken, wenn er mal über die Papiere schaute. Vielleicht konnte er dem Herrn sogar besser zu Diensten sein, wenn er die Unterlagen studierte.
»So ’n janz winzijen Blick könn wa ja uff de Papier wagn.« Quappe betrat die Dienstküche. »Aba erst machen wa den Tisch sauba.«
Als Quappe aufblickte, hielt Ferdinand bereits einen Lappen in der Hand. Der junge Herr wischte den Tisch ab – persönlich. Quappe zog den Propfen aus der Rolle und breitete die Blätter aus.
Die Papiere enthielten Tabellen mit jeder Menge Zahlen. Wollte Oberst-Lieutenant von Gontard den Mörder mit einer mathematischen Formel errechnen?
»Wie stark ist die Strömung an dieser Stelle?« Gontard zeigte in das Bassin, in dem sie am Vortag die Leiche gefunden hatten.
»Hier in dem Bassin steht das Wasser. Auch der Landwehrkanal ist nicht gerade ein reißender Strom.« Peter Joseph Lenné wiegte den Kopf, als fühle er die Fließgeschwindigkeit nach. »Aber er ist natürlich in Bewegung. Ich lasse Ihnen die genauen Messdaten gern zukommen.«
»Das wäre gut. Für die Berechnungen bezüglich des Erdrutsches werde ich die Unterlagen gebrauchen können. In dem Mordfall werden sie mir wohl nicht helfen.«
Der Königliche Gartendirektor und Stadtplaner zuckte mit den Achseln. Er schritt auf das Bassin zu und zeigte auf die Wasseroberfläche, die wie frisch geplättet vor ihnen lag. »Da werden Sie keine weiteren Daten benötigen«, sagte Lenné. »Der Mann wird wohl ungefähr an der Stelle ins Wasser gefallen sein, wo er gestern aufgetaucht ist. Das scheint mir auf der Hand zu liegen.«
Gontard überlegte, trat neben Lenné und fragte: »Wenn der Mann dort auf dem Grund lag, als das Ufer abrutschte … warum ist er dann nicht verschüttet worden?«
»Hm.« Lenné zog seine Stirn in Falten. Er trat auf dem Boden herum, als wolle er ihn befestigen. Oder versuchte er, einen weiteren Erdrutsch auszulösen? Tatsächlich purzelte ein Erdklumpen hinab. Er blieb am Rande des Wassers liegen. Ein paar Wellen zogen gen Bassinmitte.
»Ich vermute, das Erdreich hat den Leichnam in die Mitte des Bassins geschoben und nur teilweise bedeckt. Dann kam er wieder hoch und hing mit einer Extremität fest.«
Gontard schaute den Wellen nach. Das Mordopfer konnte am Rande des Bassins gestanden haben und dort von dem Schuss oder dem Hieb getroffen worden sein. Oder der Mörder hatte ihn erschossen und danach in den Kanal geworfen. Aber warum war das Kanalufer abgerutscht? Doch nicht etwa, weil ein einzelner Mann in das Gewässer gestürzt war?
»Konnten Ihre Offiziere schon an den Bodenproben forschen?«, unterbrach Lenné Gontards Gedanken.
»Ich hoffe, die Herren widmen sich zur Stunde im Labor ihrer Aufgabe.« Gontard musste ein Grinsen unterdrücken. Tatsächlich glaubte er nicht, dass die beiden Freiwilligen noch in der Schule weilten. Aber sicher hatten Heye und sein Kumpan genügend Messungen vorgenommen, um morgen mit ein paar Daten aufwarten zu können.
»Ja, ich weiß, wie langwierig solche Untersuchungen sein können.« Lenné kratzte sich an der Stirn. »Aber um ganz ehrlich zu sein, glaube ich nicht, dass Sie in dem Baumaterial Ursachen für mein Problem mit der Böschung finden.« Lenné trat einen Schritt näher.
Gontard schwieg.
»Schauen Sie«, fuhr Lenné fort, »die Backsteine für die Klinkerverkleidung kommen von der Königlichen Ziegelei in Johannisthal. Deren Qualität ist über jeden Zweifel erhaben.« Lenné beugte sich nah zu Gontard, so dass er beinahe flüsterte. »Ich persönlich würde für einen Privatbau die Ziegel aus Rathenow bevorzugen, aber auch das Material aus Johannisthal ist makellos.«
Gontard dachte daran, wie ungehalten Häußler am Vortag auf die Entnahme der Bodenproben reagiert hatte. Und nun verteidigte Lenné das Baumaterial, ohne die Laborergebnisse zu kennen. Verbarg der Königliche Gartendirektor etwas? Gontard wechselte das Thema und fragte: »Warum muss der Kanal eigentlich so eilig fertiggestellt werden? Er ist doch schon seit Jahren im Bau.«
»Seit mehr als fünf Jahren, um genau zu sein.«
»Kommt es da auf ein paar Tage an?«
Lenné lachte. Es klang, als hörte er einen Witz zum dritten Mal und kicherte gegen die Langeweile an. »Herr Oberst-Lieutenant, hier geht es nicht um ein paar Tage. Der Termin ist bereits angekündigt. Wenn der nicht gehalten wird, müssen wir einen neuen suchen. Was glauben Sie, wann alle Honoratioren wieder Zeit haben? Im Herbst? Zur Weihnacht? Im nächsten Frühjahr?« Der Königliche Gartendirektor lächelte bitter. »Wie Sie vielleicht wissen, Herr Oberst-Lieutenant, habe ich eine Vision für die Erweiterung der Residenzstadt. Seit Jahren sind die Pläne fertig. Der König höchstpersönlich hat sie abgezeichnet.« Lenné zeigte mit der rechten Hand über die Wiesen gen Stadt. »Hier, wo wir jetzt stehen, könnte längst alles bebaut sein. Nur bekommen wir die verdammten Baumaterialien nicht heran!«
Wie viele Menschen könnten auf den Wiesen vor den Thoren Berlins wohnen? Gontard wusste, dass in den Jahrzehnten seit der Bauernbefreiung Zigtausende von Bauern nach Berlin gekommen waren, und viele suchten auch jetzt ihr Glück in der Stadt. Hier schossen die Fabriken aus dem Boden wie Pilze nach einem Herbstregen, und die Fabrikherren brauchten billige Arbeitskräfte. Aber schon jetzt wohnten über 430 000 Menschen in Berlin. Wo sollte das hinführen?
»Und jetzt auch noch der!« Lenné zeigte über die Wiesen. Häußler stapfte mit einem Mann durch den Rasen, den Gontard irgendwoher zu kennen meinte.
Der Gartendirektor zeterte: »Bestimmt macht dieser Schmierfink mit seinem Geschreibe unser ehrbares Gewerbe schlecht. Als wenn СКАЧАТЬ