Название: Die Leiche im Landwehrkanal
Автор: Uwe Schimunek
Издательство: Автор
Жанр: Исторические детективы
isbn: 9783955520359
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»Vielleicht gestern Abend oder nach dem Gewitter in der Nacht«, sagte Häußler. »Mein Geselle hat den Erdrutsch heute Morgen entdeckt.«
»Ich brauche Proben von allem. Da lernen meine jungen Offiziere in der Ingenieurschule gleich, welche Probleme ihnen später bei den Pioniertrupps unterkommen können. Bringen Sie etwas von da vorn«, Gontard zeigte zum Anfang des Erdrutsches im Kanal und wies dann mit der Hand in das Bassin hinein, »und auch von dort hinten!«
»Wir haben natürlich schon Untersuchungen angestellt«, sagte Häußler. »Ich glaube nicht, dass Sie etwas Ungewöhnliches finden werden.«
Lenné tippte Häußler an die Schulter und zischte: »Es sind nicht einmal mehr zwei Wochen, dann sollen hier Schiffe fahren. Sie werden Herrn Oberst-Lieutenant von Gontard auf jede erdenkliche Art und Weise unterstützen!«
Häußler winkte seine Gesellen herbei und wies sie an, die Bodenproben zu nehmen. Dann sagte er zu Gontard: »Wir haben nur an dieser Stelle des Kanals derartige Schäden an der Befestigung. Ich kann mir dieses Malheur nicht erklären.«
Gontard schaute den Bärtigen an. Häußler hielt seinem Blick stand. Dabei sah er aus wie einer, der genau weiß, dass die Sache schlecht für ihn steht – wie einer, der mit der Schatztruhe unterm Arm neben einer verlassenen Postkutsche steht und behauptet, er sei zufällig vorbeigekommen.
»Meista Häußla! Kieken Se ma, hier blubbat wat!« Einer der Gesellen rief vom Bassinufer herüber. Seine Stimme klang so, als würde er die Worte vor Schreck herauspressen. Gontard sah hinüber – der Junge zählte sicher noch keine achtzehn Jahre und zitterte am ganzen Leib.
Häußler eilte zu seinem Stift, Lenné und Gontard folgten ihm. Der Junge stand inzwischen wie versteinert am abgerutschten Erdreich und blickte auf das Wasser. Dort zerplatzten faustgroße Blasen.
Häußler trat mit einer Stiefelspitze ins Wasser. Ein paar sanfte Wellen waberten vom Ufer weg. Aus der braunen Brühe stiegen weitere Blasen auf, die wie Pusteln zerplatzten. Der Baumeister nahm eine Gerte, beugte sich zum Wasser und rührte darin herum. Dann winkte er. »Schauen Sie sich das an!«, rief er.
Gontard guckte Häußler über die Schulter und sah, wie er mit der Rute gegen einen Stiefel tippte. Die Spitze wuchs aus der Brühe hervor. Zwischen den Nägeln hatte sich die Sohle beinahe aufgelöst, der Schuh schien schon eine Weile in der trüben Soße zu liegen.
Häußler stichelte mit der Gerte am Schaft herum, offenbar wollte er den alten Treter aus dem Gewässer fischen. Doch der Stiefel schien festzuhängen. Dafür stieg ein neuer Schwall Blasen aus dem Wasser auf.
»Nun hilf mir doch!«, rief Häußler seinem Gesellen zu. Der Junge brach einen Ast aus einem Gestrüpp und zerrte ebenfalls an der Stiefelspitze herum. Die Brühe waberte, und ein Stück Stoff kam an die Oberfläche. Am Ende des Stoffes erschien eine Art Wurst … Sollte das ein Finger sein? Die Haut spannte, als hätte jemand zu viel Fleisch hineingestopft. Noch ein Finger tauchte auf, dann noch einer – da schwamm eine Hand!
Der Geselle schrie wie ein Mädchen, dem jemand unter den Rock griff. Dabei sprang er rückwärts die Böschung hinauf, bis er stolperte, abrutschte und ins Wasser plumpste.
Neue Blasen blubberten aus der Brühe.
»Führ nicht so einen Tanz auf! Pack lieber mit an!« Häußler hob die Hand gegen seinen Gesellen, um seine Worte mit einer Ohrfeige zu unterstreichen.
Der Junge hielt den Unterarm schützend vor sein Gesicht und rief eilig: »Natürlich, Meista!« Er stand auf, griff nach dem Stiefel und zog. Ein Bein in grobem Leinen kam zum Vorschein. Der Geselle zerrte am Stiefel herum, drehte ihn nach rechts nach links, zog. Dabei klatschte der Stoff aufs Wasser. Die Brühe spritzte bis zu Gontard.
Häußler fluchte und packte den Stiefelschaft. Der nächste Ruck wirkte. Meister und Geselle sausten mit dem Hosenboden in den Schlamm der abgerutschten Böschung. Beide schwiegen – genau wie Gontard, Lenné und der herbeigeeilte zweite Geselle. Der Anblick der Wasserleiche verschlug ihnen die Sprache. Der Bauch war aufgebläht wie ein Ballon. Darüber klaffte in der linken Brust eine tellergroße Wunde. Die Innereien, die daraus hervorquollen, sahen aus wie vergammelte Wurst. Vom Kopf ragte nur das Gesicht aus der Brühe – oder genauer gesagt, was davon übrig war. Aus den Augenhöhlen wanden sich Aale und glitten zurück ins Wasser. Die Fische hatten den Schädel bis zu den Wangenknochen abgeknabbert. Erst über der Stirn hing die Haut in Fetzen auf den Knochen.
Der Geselle stürzte die Böschung hinauf und übergab sich.
Gontard hatte den Waffenrock geöffnet und die Pickelhaube an der Pferdetränke abgelegt. Die Augusthitze drückte auf die Berliner Wiesen, die Brühe im Kanal kühlte das Ufer kaum. Vor über zwei Stunden hatte Meister Häußler seinen Gesellen mit dem Gaul losgeschickt, um Criminal-Commissarius Waldemar Werpel über den Leichenfund zu informieren. Nun endlich näherten sich zwei Pferde über die Wiesen – im lockeren Trab. Gontard wusste, dass Werpel bei einer Verfolgungsjagd zu Pferde kaum eine Frau im Damensattel einfangen könnte, doch in dieser Hitze erschien ihm die Trippelei von Werpels Mähre beinahe wie eine Provokation. Gontard hatte zwar seine Lehrveranstaltungen am Vormittag hinter sich gebracht, und die Arbeit im Labor konnte er auch morgen fortsetzen, aber er hatte allemal etwas Besseres zu tun, als hier in der Hitze auf einen Polizeibeamten zu warten.
Lenné guckte ebenfalls empört zu den beiden Reitern, das sah Gontard aus dem Augenwinkel. Häußler sprang auf und brüllte seinem Gesellen eine Schimpftirade entgegen. Der Baumeister war aus gutem Grund ungeduldig. Er hatte mit seinem zweiten Gesellen den Leichnam aus dem Bassin geborgen, von Getier befreit und mit einer Plane abgedeckt. Nun standen die Handwerker neben dem Toten und achteten darauf, dass die Decke nicht von einer der raren Brisen davongeweht wurde.
Häußler fuchtelte mit den Händen herum und rief etwas von einer Abreibung. Tatsächlich beschleunigte der Geselle sein Pferd. Auch Werpels Gaul verfiel in leichten Galopp. Offenkundig ohne Befehl seines Reiters, denn der Criminal-Commissarius klammerte sich an die Zügel wie ein Schiffbrüchiger an eine Planke.
Der Geselle band sein Pferd an der Tränke fest und kam herbeigeeilt. Werpel brauchte eine Weile, um aus dem Sattel zu steigen. Auf wackeligen Beinen verharrte der Criminalbeamte für ein paar Augenblicke an den Zügeln seines Gauls. Das ausgesprochen gutmütige Exemplar eines Reittieres schien mit dem dicken Commissarius Mitleid zu haben und ihn zu stützen, bis er wieder allein stehen konnte.
»Hier liegt der Tote!«, rief Häußler dem Commissarius entgegen.
»Ja, ja.« Werpel trottete herbei, besonders eilig schien er es weiterhin nicht zu haben. »Haben Sie gut auf das Corpus Delicti aufgepasst?«
»Schon seit mehreren Stunden!« Häußler sagte das so vorwurfsvoll, als habe er den Leichnam mit dem Schwert gegen Piraten verteidigen müssen.
»Wir werden noch eine Weile hierbleiben müssen.« Werpel japste schon nach den paar Schritten. »Die Männer mit dem Leichenwagen brauchen noch etwas für die Anreise.« Der Leichenwagen wurde im Volksmund »der Nasenquetscher« genannt, da seine Fracht im wahrsten Sinne des Wortes gegen den Wind roch. Die Karre würde kaum bis hierher fahren können, dachte Gontard. Sicher mussten die Kerle den Leichnam mit der Bahre über das tiefe Gras bis vor zur Straße schleppen. Das konnte seine Zeit dauern.
»Was machen Sie denn schon wieder hier, Herr Oberst-Lieutenant?«, fragte Werpel. »Kann ich nicht einmal eine Leiche finden, ohne Sie anzutreffen?«
»Ich stehe eigentlich Herrn Lenné in physikalischen Fragen zur Seite. СКАЧАТЬ