Die Leiche im Landwehrkanal. Uwe Schimunek
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Название: Die Leiche im Landwehrkanal

Автор: Uwe Schimunek

Издательство: Автор

Жанр: Исторические детективы

Серия:

isbn: 9783955520359

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СКАЧАТЬ privilegirten Berlinischen Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen, im Volksmund bekannt als die Vossische.

      Gontard führte sein Pferd an der Hand und grinste. Er hatte sich von Lenné verabschiedet, bevor Grahsen den Kanal erreicht hatte, und hinter der Baumgruppe gewartet. Den Journalisten wollte er lieber unter vier Augen sprechen. Und tatsächlich, das Warten hatte sich gelohnt. Grahsen kam, allein.

      Der Reporter schien in Gedanken versunken zu sein. Er guckte auf seine Füße und brabbelte vor sich hin. Hin und wieder schüttelte er den Kopf, so als würde er eine Geschichte erzählen, die er sich selbst nicht glaubte. Im Schatten der Baumgruppe blieb er kurz stehen und hob gestikulierend den Arm – eine Bewegung voller Pathos … und zu hektisch für Gontards Pferd. Der Rappe wieherte, als wollte er davonjagen.

      »Ruhig, Großer, ruhig.« Gontard straffte die Zügel und tätschelte dem Rappen den Hals. Das Pferd beruhigte sich schnell. Nicht zuletzt, weil Grahsen plötzlich wie versteinert dastand.

      »Wenn Sie nicht zu schnell machen, können Sie die Hand wieder herunternehmen«, spottete Gontard.

      Grahsen verzog keine Miene. Es vergingen noch Sekunden, bis er den Arm bewegte. Er zeigte mit dem Finger auf Gontard und sagte: »Sie … Was machen Sie denn hier?«

      »Ich vertreibe mir die Zeit an einem schattigen Fleck. Da draußen in der Sonne ist es nicht auszuhalten.«

      Grahsen schien nicht so recht zu wissen, was er mit Gontards Sarkasmus anfangen sollte. Immerhin entspannte er sich und ließ den Arm sinken.

      Gontard sagte versöhnlicher: »Ich habe hier nur ein wenig herumgestanden und gewartet. Das ist doch nicht verboten.«

      »Nein, das hat der Dicke noch nicht wieder verboten«, erwiderte Grahsen.

      Der Correspondent erlaubte sich vorlaute Sprüche über den König gegenüber einem preußischen Offizier. Sollte er auf diese Provokation eingehen? Gontard entschied sich dagegen, ein Correspondent der Vossischen lockte ihn nicht aus der Reserve. Er sagte: »Ihrem Blatt sollten Sie solche Reden besser nicht mehr anbieten, oder?«

      »Sie sind ein Spaßvogel!«

      Tatsache war, dass die Vossische in den letzten Monaten vor der Reaktion kuschte. In ganz Berlin spotteten die Leute über das Vorzeigeblatt der Liberalen während der März-Revolution und seine seltsame Wandlung ins Harmlose. Da musste sich ein Redakteur Häme gefallen lassen, fand Gontard, und grinste den Reporter an.

      »Sie mit Ihrer Pickelhaube haben es gerade nötig!« Grahsen stemmte seine Hände in die Seiten. »Sie werfen uns vor, dass wir uns an die Zeiten anpassen? Ich sehe doch genau, wer im Café Stehely herumsitzt und dabei genau aufpasst, welche Ohren welche Worte hören.«

      Da hatte Grahsen wohl recht. In der Residenzstadt schauten alle, wie sie ihren Allerwertesten retteten. Zu viele waren geflohen oder vertrieben worden. Außerdem hatte Gontard eine Familie zu versorgen – und er war ein Militär. Er konnte doch nicht einfach bei einer anderen Armee dienen, bei einer gegnerischen am Ende.

      Gontard wechselte das Thema und fragte: »Eigentlich möchte ich nur wissen, was Sie hierher führt. Ist es der Erdrutsch oder der Mordfall?«

      »Zunächst wollte ich mich über die mögliche Verzögerung bei den Kanalarbeiten informieren. Aber jetzt, da ich von dem Mord erfahren habe …« Grahsen ließ den Satz unvollendet in der Sommerhitze stehen.

      »Sie haben mit Herrn Häußler ein angeregtes Gespräch geführt. Ging es um den Toten?«

      »So eine Leiche ist schon etwas Außergewöhnliches.« Grahsen guckte, als wartete er, dass ihm weitere Worte zuflögen. Nach einem Moment fuhr er fort: »Das gilt natürlich besonders, wenn der Leichenfund mit einem Unglück an der Baustelle zusammentrifft.«

      »Herr Häußler glaubt an einen Zusammenhang zwischen dem Mord und dem Erdrutsch?«

      »Ach was«, Grahsen winkte ab, »ich finde nur, dass hier zu viele Zufälle zusammenkommen. Die Sache stinkt. Das sage ich Ihnen.«

      Was meinte Grahsen? Mit vagen Andeutungen konnte Gontard nichts anfangen. Aber wenn der Reporter so redete, hatte er sicher etwas mitzuteilen. Gontard tätschelte seinem Pferd die Mähne, auf dass es noch etwas Geduld habe.

      »Das ist doch geradezu unglaublich.« Grahsen wies mit der Hand hinüber nach Berlin. »Vor den Thoren Berlins arbeiten eine Handvoll Menschen an einem Kanalstück. Dann liegt ein Schreiberling tot im Wasser, und alle hier draußen kannten den Mann. Wer wird da nicht stutzig.«

      Tatsächlich erinnerte sich Gontard daran, dass Lenné das Opfer zumindest flüchtig gekannt hatte – aber die anderen? Da war ihm nichts aufgefallen. Er sagte: »Ich war hier mit niemandem bekannt, auch nicht mit dem Opfer.« Grahsen guckte, als wisse er nicht, ob er angelogen oder veralbert wurde.

      »Nun gut, dem Herrn Gartendirektor bin ich schon zuvor begegnet«, gab Gontard zu. »Aber ich hatte nicht den Eindruck, dass er zu dem Todesopfer einen besonders engen Kontakt pflegte.«

      »Das glaube ich auch nicht. Lenné wird wohl eher mit dem werten Herrn von Traunstein verkehrt sein.« Grahsen blickte um sich und fuhr dann leiser fort: »Und den Häußler kannten Sie nicht?«

      »Nein, ich hatte ihn noch nie zuvor gesehen.«

      »Der war einer von den Kellerhalsrednern und hat große Volksreden gehalten, damals vor den Märztagen. Genauso wie Puch. Und dann standen die beiden Seit an Seit auf der Barrikade.« Grahsen lachte. »Und jetzt zieht der eine den anderen aus dem Wasser. Das finden Sie nicht seltsam?«

       Tagebucheintrag No. 2, 23. August 1850

       Den ganzen Tag habe ich auf diesen Moment gewartet. Darauf, dass ich meinen Stift ergreifen und Worte in dieses Buch schreiben kann. Nun ordne ich meine Gedanken. All das, was mir den ganzen Tag durch den Kopf geistert.

       Es ist die Vergangenheit. Ich komme mir vor, als verfolge ich mich selbst. So als würde ich mein eigener Schatten sein. In einem fort suche ich dunkle Ecken. Aber ich entkomme nicht.

       Auch Ablenkung will mir nicht gelingen. So wie heute Nachmittag. Ich sitze in der Conditorei und studiere Zeitungen. Noch vor ein paar Tagen hätte ich die Zeilen aufmerksam gelesen. Und heute? Mein Blick schwebt über die Absätze. Die Worte geben keinen Halt. Und ich ertappe mich immer wieder dabei, wie ich mich umschaue. Beobachtet einer, was ich lese? Erkennt einer, wonach ich suche? Nach einer Meldung über den Mordfall am Landwehrkanal?

       Nein, Gedanken lesen können die nicht. Auch wenn Dr. Wiesenburg und seine Spitzel es gern täten. Die grauen Männer sitzen weiterhin nur herum und gucken dumm. Die machen lange Ohren und sehen aus wie Esel.

       Wie schnell ich mich an diesen Unsinn wieder gewöhnt habe … Es ist wie vor dem ganzen Revolutionszauber. Das hätten wir wissen müssen. Nie ändert sich etwas. Vielleicht sieht es für ein paar Augenblicke so aus. Aber das geht schnell vorbei. Am Ende will das Geschmeiß einen vollen Wanst und seine Ruhe. Freiheit, pah! Als würde der Pöbel sich für so etwas interessieren.

       Auf meinen Wanderungen durch die Stadt passiere ich die abgerissenen Gestalten. Lange sah man die kaum noch. Ein paar Groschen am Tag mehr gab’s nach den Kämpfen. Und nun? Alles wieder weg. Da stehen sie wieder in den Schlangen und betteln nach den Arbeiten für billigen Tagelohn.

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